Müller: Kann George Bush seine Antiterrorpolitik, auch im Vorfeld des 11. Septembers aufgrund dieser Ergebnisse, wir haben gerade einige Details gehört, noch glaubwürdig rechtfertigen?
Voigt: Für mich persönlich steht ganz eindeutig fest, dass Präsident Bush, sein Kabinett und die amerikanische Administration die Gefahr, die vom Irak ausging, überschätzt und die Gefahr, die von El-Kaida ausging, unterschätzt haben. Das ist, glaube ich, eine eindeutige Zwischenbilanz, die man ziehen kann. Es ist natürlich immer schwierig, Gefahren aufgrund von nachrichtendienstlichen Berichten realistisch einzuschätzen, trotzdem ist diese Bewertung insgesamt, dass eine falsche Priorität bei der Einschätzung von Gefahren vorgelegen hat, doch heute eindeutig zu ziehen.
Müller: Kann sich George Bush denn diese Vorwürfe politisch leisten, beziehungsweise kann er diese politisch in den kommenden Monaten verkraften?
Voigt: Ich glaube, dass wir in Europa häufig die Neigung haben, die Chancen, die Präsident Bush bei den Wahlen hat, zu unterschätzen und die Chancen, die Kerry hat, zu überschätzen. Aber bei so einer Wahlentscheidung spielen ja nicht nur Dinge eine Rolle wie zum Beispiel so ein einzelner Bericht, sondern es spielen dann auch Dinge eine Rolle, wie man die Führungsfähigkeit von Personen einschätzt, wie man die Wirtschaftslage einschätzt. Also, aus diesen jetzt vorgegebenen Berichten herauslesen zu können, wie das Wahlergebnis aussieht, - und letzten Endes entscheidet das Wahlergebnis über das Schicksal von George Bush und nicht das Ergebnis von einzelnen Kommissionen -, dazu ist es, glaube ich, zu früh.
Müller: Auf der anderen Seite: Es gibt ja nun auch entsprechende Vorwürfe natürlich auch wegen der Irakpolitik aufgrund der Defizite bei der Umsetzung des Wiederaufbaues des Iraks, wir haben weiterhin hohe Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten, auch wenn die Wirtschaft etwas mehr in Gang kommt als dies in Europa der Fall ist. Womit kann George Bush im Moment denn noch punkten?
Voigt: Die Wahrnehmung ist in Washington, und da sind die meisten Journalisten aus dem Westen ja auch stationiert, und in New York anders als im Homeland, also mitten im Zentrum des Landes. Das Land ist tief geteilt, die Küstenregion, die Ostküste und die Westküste sind im Wesentlichen für Kerry, mit gewissen Ausnahmen. Der Süden ist nach wie vor in überwiegendem Maße doch für Bush und der eigentliche Streit geht um ganz wenige Staaten, die schwanken zwischen Bush und Kerry und um diese wenigen Staaten, um wenige Wähler wird in Wirklichkeit jetzt im Wahlkampf gerungen. Man muss sehr aufpassen, dass man nicht deshalb, weil Kerry, der von der Ostküste kommt und in der Art und Weise seiner Argumentation doch etwas näher bei dem liegt, was in Europa die Art und Weise ist, wie man Politik macht und Politik artikuliert, dass man deshalb glaubt, dass er auch die größeren Chancen hat. Ich glaube, man ist als Bundesregierung nach wie vor klug beraten, wenn man unabhängig von seinen persönlichen Sympathien und Einstellungen sagt, so lange diese Regierung Bush im Amt ist, müssen wir mit der bestehenden Regierung zusammenarbeiten, gleichzeitig bemühen wir uns um gute Kontakte jetzt schon zu der jeweiligen Opposition, die auch Chancen und eine Rolle hat, selbst wenn sie nicht gewinnen sollte, aber wir werden uns nicht in den inneramerikanischen Wahlkampf einmischen. Das würden selbst Befürworter von Kerry letztenendes nicht schätzen, wenn Ausländer versuchen, sich in den Wahlkampf in der einen oder anderen Weise einzumischen.
Müller: Gut, dann wollen wir uns nicht einmischen. Frage dennoch noch einmal nach ihrer persönlichen Einschätzung als langjähriger Kenner der amerikanischen Szene: Welche Führungsqualitäten von George Bush gerade auch in der Außenpolitik und in der Antiterrorpolitik sind denn noch präsent?
Voigt: Es geht ja nicht darum, welche Führungsmöglichkeiten ich sehen würde, denn dass in Europa Kerry eindeutig gewählt werden würde, das ist ja überhaupt nicht umstritten. Sondern es geht um die Frage, welche Führungsfähigkeiten der amerikanische Wähler sieht und diese Entscheidung ist keineswegs so eindeutig, wie viele Leute sagen. Es ist nach wie vor so, dass Kerry und Bush sehr nahe liegen und zwar auch aus dem Grunde, weil ein grüner Kandidat, Ralph Nader, auch Kerry Stimmen weg nimmt. Wir haben schon voriges Mal die Situation gehabt, dass, wenn Ralph Nader nicht kandidiert hätte, Gore gewählt worden wäre und nicht Bush. Und deshalb ist es auch diesmal so, dass Bush weniger Stimmen kriegt als Ralf Nader und Kerry zusammen und dass er trotzdem gewinnt.
Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es also in erster Linie dort um die Wahrnehmung und nicht um die inhaltliche Ausgestaltung der Themen?
Voigt: Das geht übrigens bei jeder Wahl darum. Es geht ja auch bei den Meinungsumfragen in Deutschland nicht darum, ob eine Politik objektiv richtig ist, wenn sie Reformen durchführt, sondern es geht darum, wie der Wähler sie wahrnimmt. Es wird ja über Wahrnehmungen, über Empfindungen, über Einstellungen entschieden und nicht über objektive Tatsachen, es ging immer um die Bewertung von Tatsachen durch den Wähler.
Müller: Und da hat George Bush nach wie vor ganz gute Karten, wie sie sagen?
Voigt: Hat er nach wie vor ganz gute Karten. Es liegen beide sehr nahe beieinander und es ist heute noch nicht möglich aus Europa gesehen zu sagen, wer von den beiden letzten Endes das Rennen machen wird.
Müller: Der SPD-Außenpolitiker Karsten Voigt war das, Koordinator für die Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, vielen Dank für das Gespräch.