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Eingeschränkte Pressefreiheit
EU-Parlament will Haltung zeigen gegenüber der Türkei

Die Lage von Journalisten in der Türkei alarmiert die Europa-Abgeordneten: Wegen der massenhaften Entlassungen, Drohungen und Verhaftungen will das EU-Parlament eine Resolution verabschieden. Fast jedes Medium, das nicht auf Regierungslinie ist, heißt es im Entwurf, sei mittlerweile von Repressalien betroffen.

Von Annette Riedel | 26.10.2016
    Can Dündar, Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet", bahnt sich am 1. April den Weg durch Fotografen vor einem Istanbuler Gerichtsgebäude.
    Can Dündar, Chefredakteur der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" (afp / Ozan Kose)
    Verhaftungen, Einschränkungen von Journalisten, Drohungen gegen Pressevertreter – das gab es in der Türkei schon vor dem Putsch-Versuch des Militärs gegen die türkische Regierung. Seitdem ist, aus Sicht der Europaparlamentarier, die Pressefreiheit aber noch einmal erheblich weiter eingeschränkt worden. So sieht es mit einer Mehrheit im Europäischen Parlament der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt: "Seit Jahren beobachten wir, wie in der Türkei die Presse- und Informationsfreiheit abnimmt. Das ist eine Angelegenheit, bei der die Europäische Union eine Position einzunehmen hat – in der Kommission, im Parlament, in den Ministerräten." Das genau will das EU-Parlament mit seiner Resolution tun, die heute diskutiert wird und morgen mit großer Mehrheit verabschiedet werden dürfte: Haltung zeigen.
    Mindestens 90 Journalisten verhaftet, über 2.500 entlassen
    "Weltberühmte Autoren, geschätzt international, sind im Gefängnis, unter härtesten Bedingungen und müssen mit härtestem Bestrafungen rechnen und ich glaube, dass es wirklich an der Zeit ist, dass man zu diesem Thema ganz explizit Stellung nimmt." Viele von diesen Autoren, von denen die Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms, spricht, sehen sich dem gleichen Vorwurf gegenüber: Sie hätten den Coup vom Juli direkt oder indirekt unterstützt. Seitdem wurden mindestens 90 Journalisten verhaftet, über 2.500 entlassen und gegen Hunderte Medienangestellte wurden Haftbefehle erlassen. Fast jedes Medium, das nicht auf Regierungslinie ist, heißt es im Entwurf der Resolution, ist mittlerweile davon betroffen. Die Türkei sei, laut Presse-Index 2016 von Reporter ohne Grenzen, auf Platz 151 von 180 gerutscht, was die Medienfreiheit angeht.
    "Wer stolz ist darauf, dass er Rechtsstaatlichkeit verteidigt hat, der muss auch beweisen, dass er Rechtsstaatlichkeit praktiziert." Und so fordert der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, wie die große Mehrheit seiner Parlamentskollegen: Die Aufarbeitung des Putsch-Versuchs, auf dessen Niederschlagung die Türkei - vor allem auch die Zivilgesellschaft in der Türkei - mit Recht stolz sein könne, müsse mit rechtsstaatlichen Mitteln geschehen. Als EU-Kandidaten-Land, heißt es im Resolutions-Entwurf, habe auch in der Türkei die Unschuldsvermutung für jeden zu gelten – bis zum juristisch einwandfreien Beweis des Gegenteils. "Bei allen Schritten, die jetzt notwendig sind, im EU-Türkei-Verhältnis, wird das die Grundlage sein – nämlich die Bewertung, ob die Türkei die Rechtsstaatlichkeit umsetzt und die Prinzipien ernst nimmt", so Weber. Will sagen: bei Schritten hin zur von der Türkei gewünschten Visafreiheit und bei weiteren Beitrittsverhandlungen.
    EU-Parlament hat Can Dündar für Sacharow-Preis nominiert
    Zu bewerten ist die Türkei-Resolution vor dem Hintergrund, dass die EU beim Thema Flüchtlinge auf Ankara angewiesen ist. Ließe die Türkei den Flüchtlings-Deal mit der EU platzen, kämen mit Sicherheit wieder deutlich mehr Flüchtlinge nach Europa. Und so ist diese Resolution auch als ein Signal zu verstehen, dass sich die Abgeordneten davon bei ihrer Haltung zur Pressefreiheit nicht beeindrucken lassen wollen. Es gibt noch ein weiteres solches Signal: Das EU-Parlament hat Can Dündar, den ehemaligen Chefredakteur der führenden türkischen Oppositionszeitung Cumhuriyet, als einen von drei Kandidaten für den renommierten Sacharow-Menschenrechts-Preis nominiert.
    "Der Fall Can Dündar ist der bekannteste Fall aus der Zeit vor dem Coup, aber es seit dem Coup eben ein noch viel größeres Problem", so Harms. Dündar wurde wegen angeblichem Verrat von Staatsgeheimnissen zu 5 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt. Inzwischen lebt er im Exil, nachdem er einen Mordanschlag überlebt hat. Schon seine Nominierung, sagt die grüne Abgeordnete Barbara Lochbihler, sei ein wichtiges Zeichen dafür, dass Europa einen Blick hat auf die Situation von kritischen Journalisten in der Türkei. "Ich denke, es wäre sehr wichtig, einen Journalisten eben auszuzeichnen, um dieses Thema in der Türkei zu besetzen." Ob Dündar den Preis bekommt, wird Donnerstag bekannt gegeben. Kurz vor der Abstimmung des EU-Parlaments über die Türkei-Resolution.