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Einigung bei Erwerbsunfähigkeitsrente heute möglich

    Heinemann: Das Rentensystem zu reformieren, das scheint keine schöne Aufgabe zu sein. Was muss man sich da nicht alles sagen lassen: Ein Funktionär der IG Metall (Horst Schmitthenner) bezeichnete das rot/grüne Projekt als - Zitat: "Scheißdreck" - Zitat Ende! Auch die grüne Haushaltspolitikerin Antje Hermenau fühlte sich wohl an das erinnert, was in der Natur am Ende hinten 'rauskommt, als sie bemerkte: "Die Verschiebung der geplanten Kürzung des Rentenniveaus sei ein Beschiss an der jungen Generation". Gestritten wird auch über die Invalidenrente. Deren Neuordnung ist Bestandteil der Rentenreform und soll eigentlich am 1. Januar 2001 in Kraft treten. Bei befristeten Erwerbsunfähigkeitsrenten müssen die Krankenkassen die Ausgaben in den ersten sechs Monaten übernehmen, und weil das so ist, befürchten die Grünen, deren Parteimitglied Fischer das Gesundheitsministerium leitet, den Krankenkassen würden zusätzliche Kosten von 1,8 Milliarden Mark entstehen. Das Arbeitsministerium bekräftigt dagegen nochmals seine Schätzung von etwa 400 Millionen Mark. Heute Abend versammeln sich Gesundheitsministerin Andrea Fischer, Arbeitsminister Walter Riester, der Fraktionsvorsitzende der Grünen Rezzo Schlauch, Kanzleramtsminister Frank Walter Steinmeier abermals zu einem Krisengespräch, mit dabei natürlich auch Peter Struck, SPD, der Chef der größten Fraktion im Bundestag. Guten Morgen!

    Struck: Guten Morgen Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Struck, was ist los in der Koalition?

    Struck: Ein bisschen Aufgeregtheiten von Seiten der Grünen, aber keine ernsthafte Krise, sondern Debatten über einen inhaltlichen Punkt. Ich habe gar keinen Zweifel daran, dass wir uns heute Abend zu dem gerade bezeichneten Thema Erwerbsunfähigkeitsrente einigen werden.

    Heinemann: Wie könnte diese Einigung aussehen?

    Struck: Das will ich jetzt nicht vorwegnehmen. Ich will nur dazu sagen, dass mir die Schätzungen des Gesundheitsministeriums, was die zusätzlichen Belastungen der Krankenversicherung angeht, zu hoch erscheinen. Wir werden heute Abend also noch einmal ausführlich über die finanziellen Auswirkungen reden. Generell muss man darauf hinweisen, dass dieser Teil des Gesetzes über die Erwerbsunfähigkeitsrente schon seit langem bekannt ist. Es ist eine Arbeit, die Blüm damals vorgelegt hat, an der wir nichts verändert haben.

    Heinemann: Wie erklären Sie es sich, dass Arbeits- und Gesundheitsministerium etwa 1,3 Milliarden Mark auseinander liegen bei den Berechnungen der Belastungen der Krankenkassen?

    Struck: Das ist eigentlich kaum zu erklären. Es liegt wohl daran, dass die Krankenkassen in diesem Fall den schlimmstmöglichen Fall angenommen haben. Ich habe den Eindruck, dass viele Krankenkassen auch jede gesetzgeberische Maßnahme, die wir auf den Weg gebracht haben oder die wir auf den Weg bringen, zum Vorwand nehmen, darüber zu diskutieren, dass daraus zwangsläufig Beitragserhöhungen resultieren. Ich bin der Auffassung, dass man das sehr genau überprüfen muss. Der Verband der Rentenversicherungsträger hat uns andere Zahlen genannt, ebenso wie das Arbeitsministerium, und das werden wir dann heute Abend klären.

    Heinemann: Herr Struck, Sie haben den schwarzen Peter jetzt an die frühere Bundesregierung und an die Krankenkassen weitergegeben. Sie müssen den Sack aber zubinden. Noch einmal die Frage: Wie könnte eine Einigung aussehen?

    Struck: Herr Heinemann, das will ich jetzt nicht hier im Deutschlandfunk, wenngleich das ein hoch geachteter Sender ist, verkünden, sondern das werden wir heute Abend mit den Beteiligten klären.

    Heinemann: Man dankt! - Keine Woche ohne einen neuen Beitrag des Bundesarbeitsministers zur Rentenreform. Langsam stellt sich die Frage: ist Walter Riester überfordert?

    Struck: Nein, absolut nicht. Es handelt sich um eine sehr komplizierte Materie. Wir wollen die Renten sichern bis zum Jahre 2030. Das ist ein sehr ehrgeiziges Vorhaben. Der Arbeitsminister muss seinen Teil dazu bringen, das Finanzministerium auch. Gerade was die Frage der Förderung der privaten Zusatzvorsorge angeht hat das Finanzministerium Berechnungen vorgelegt und Vorschläge gemacht. Wir werden morgen in der SPD-Bundestagsfraktion sicher mit großer Mehrheit die Einbringung dieses Gesetzentwurfes, so wie er jetzt vom Arbeitsminister Walter Riester und von Hans Eichel, dem Finanzminister, erarbeitet worden ist, beschließen.

    Heinemann: Stehen alle Mitglieder der Fraktion hinter Riesters Rentenreform?

    Struck: Im Augenblick haben einige Mitglieder meiner Fraktion noch Probleme mit dem einen oder anderen Punkt. Das Gesetz wird dann in das normale Gesetzgebungsverfahren gehen. Wir werden Anhörungsverfahren durchführen noch im Dezember und hoffen dann, dass wir im Januar oder spätestens Anfang bis Mitte Februar das Gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Ich bin der festen Überzeugung, dass nachher bei der Abstimmung im deutschen Bundestag die Koalition eine eigene Mehrheit haben wird.

    Heinemann: Sie sprachen eben von einigen noch unentschlossenen. Die Gewerkschaften haben Gerhard Schröder nach seinem Renten-Basta ausgepfiffen. Lässt sich die SPD-Fraktion eine solche Sprache ihres Parteivorsitzenden gefallen?

    Struck: Das war eine eher spontane Äußerung des Bundeskanzlers, die ich menschlich nachvollziehen kann, weil er in seiner Rede permanent von einem oder zwei bestimmten Zwischenrufern dort gereizt worden ist. Es gilt, dass das Gesetz, das wir jetzt einbringen, natürlich auch Gegenstand von Gesprächen mit den Gewerkschaften sein wird. Sie haben vorhin eine Bewertung eines IG Metall-Funktionärs zitiert. Eine solche Bewertung kann ich nun überhaupt nicht nachvollziehen. Ich weis, dass wir uns alle sehr viel Mühe gegeben haben und auch gerade Walter Riester sich sehr viel Mühe gegeben hat. Am Ende werden wir dann sehen, welche Konsequenzen aus den Gesprächen mit den Gewerkschaften, aber auch mit der Opposition im deutschen Bundestag zu ziehen sein werden. Es ist ja so, Herr Heinemann, dass die Union inhaltlich eigentlich kaum noch Einwände gegen unseren Gesetzentwurf hat, wohl aber nur taktische Überlegungen anstellt, um vielleicht mit diesem Thema noch Wahlkampf zu machen in den anstehenden Landtagswahlen, aber vielleicht auch in der Bundestagswahl.

    Heinemann: Das heißt Ihr Problem sind eher die eigenen Leute. - Jetzt noch mal ganz klar zum Mitschreiben: Wann tritt die Förderung der privaten Vorsorge in Kraft und wann die Absenkung des Rentenniveaus?

    Struck: Die bisherige Planung sieht vor, dass die Förderung der privaten Vorsorge ab 1. Januar 2001 gilt, dann jeweils mit einem Prozent, ansteigend auf vier Prozent. Die Kürzung des Rentenniveaus wird im Jahre 2011 dann einsetzen bis hin zum Jahre 2030, so dass aber immerhin noch jemand, der eine private Zusatzvorsorge von diesem Zeitpunkt an betreibt, im Jahre 2030 ein Rentenniveau von 67 Prozent hat.

    Heinemann: Anders ausgedrückt: der angenehme Teil noch vor der Bundestagswahl und der unangenehmere danach?

    Struck: Nein, das ist nicht richtig. Wir sagen ja ganz genau, spätestens jetzt im Frühjahr diesen Jahres, wie die Rentenreform gestaltet wird. Jeder weis, welche Konsequenzen auf ihn zukommen. Es galt ja, einen Ausgleich zu finden zwischen den jetzigen Rentnergenerationen einerseits, das heißt das Niveau nicht zu verändern - die jetzigen Rentnerinnen und Rentner werden auch nicht beeinträchtigt -, und mit den jüngeren Generationen, mit denjenigen, die jetzt Beiträge zu zahlen haben. Unser Ziel bleibt nach wie vor, die Rentenversicherungsbeiträge nicht über 22 Prozent bis zum Jahre 2030 steigen zu lassen und ein Rentenniveau von 67 Prozent zu erreichen.

    Heinemann: Mit der Rentenreform hat auch die Ökosteuer zu tun. Herr Struck, wird die kommende rot/grüne Benzinpreiserhöhung zum 1. Januar durch eine höhere Entfernungspauschale begleitet oder nicht?

    Struck: Nach unseren Vorstellungen ja. Wir haben ein Gesetz im deutschen Bundestag eingebracht. Das wird auch in Kürze dann den Bundesrat erreichen. Ich höre und sehe, weis aus Gesprächen, dass zunächst einmal die CDU/CSU-regierten Länder diese Entfernungspauschale nicht wollen beziehungsweise die Mitfinanzierung nicht wollen. Die Mitfinanzierung ist zwingend geboten, weil es sich um eine steuergesetzliche Maßnahme handelt, so dass die Einnahmeausfälle auch bei den Ländern und den Gemeinden entstehen.

    Heinemann: Herr Struck, eines ist dort nicht ganz richtig. Das sind nicht nur die CDU-geführten Länder, zum Beispiel auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident.

    Struck: Das hätte ich jetzt gleich gesagt, Herr Heinemann. Ich verschweige das ja nicht. Ich weis auch aus verschiedenen Gesprächen, dass sozialdemokratisch regierte Länder Probleme haben mit diesen Einnahmeausfällen. Ich kann auch nachvollziehen, dass jeder Landesfinanzminister sich zunächst mal dagegen wehrt, vielleicht auch jeder Ministerpräsident, dass er weitere Einnahmeausfälle zu verkraften hat. Auf der anderen Seite erinnere ich mich sehr gut auch an manche Äußerungen von Ministerpräsidenten, die genau das nämlich gefordert haben, eine Verbesserung der Entfernungspauschale und die Erhöhung dieser Entfernungspauschale gegenüber der vorigen Kilometerpauschale. Wir müssen jetzt abwarten. Das Gesetz wird in den Bundesrat eingebracht. Dann wird es verhandelt werden, sicherlich im Vermittlungsausschuss, und dann können wir sehen, ob und gegebenenfalls welche Kompromisse möglich sind.

    Heinemann: Wird der Bund gegebenenfalls auch die Kosten allein tragen?

    Struck: Bei der Entfernungspauschale halte ich das für völlig ausgeschlossen. Es geht einfach technisch nicht, weil es sich um Steuergesetze handelt. Wir haben schon ein Angebot gemacht, was den einmaligen Heizkostenzuschuss angeht, für besonders von der Ölpreisexplosion Betroffene. Dort kann ich mir vorstellen, dass wir eine solche Maßnahme durch den Bund alleine finanzieren. Mehr ist aber nicht drin!

    Heinemann: Herr Struck, noch ist es nicht so weit, aber der Advent ist eigentlich die Zeit der Ankunft, nicht des Aufschiebens. Hans-Olaf Henkel hat gestern in unserem "Interview der Woche" den Reformstau der rot/grünen Bundesregierung beklagt. Da wird - wir haben schon darüber gesprochen - die private Vorsorge, also das Herzstück der Rentenreform, vertagt. Gleiches passiert mit der Reform der Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente. Wir sprachen gerade über die Entfernungspauschale. Die Justizreform wird von SPD-Länderministern zerrissen. Haben Sie fertig?

    Struck: Nein, absolut nicht. Das ist ja wohl ein Witz, wenn Herr Henkel sagt, der Reformstau besteht. Wir haben den Reformstau in Deutschland aufgelöst, wenn ich allein an die Steuerreform denke. Natürlich wird es eine Rentenreform geben und wir werden auch die Erwerbsunfähigkeitsrente ganz schnell regeln.

    Heinemann: Irgendwann!

    Struck: Für die Kilometerpauschale gibt es auch eine Regelung. Das ist ja lächerlich. 16 Jahre lang hat es in Deutschland Reformstau gegeben. Wir haben den jetzt aufgelöst und wir werden auch in den nächsten zwei Jahren noch die Maßnahmen durchsetzen, die wir uns vorgenommen haben, zum Beispiel die Umsetzung des Ausstiegs aus der Kernenergie und weitere Familienförderungsmaßnahmen. Also absurd!

    Heinemann: Werden sich Rote und Grüne jetzt bis zur Bundestagswahl 2002 gegeneinander profilieren?

    Struck: Davon kann ich nur dringend abraten. Das betrifft nicht meine eigene Partei oder meine eigene Fraktion, sondern im Augenblick gibt es etwas Aufgeregtheiten bei dem kleineren Koalitionspartner. Man kann nur gemeinsam gewinnen. Man kann nicht dadurch gewinnen, dass man versucht, sich gegen den anderen Koalitionspartner zu profilieren. Das muss jeder wissen, der sich äußert.

    Heinemann: Wo wir gerade über Image reden. Einer Emnid-Umfrage zufolge, Herr Struck, meinen 51 Prozent der Bundesbürger, Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt, gegen den wegen Beihilfe zur Untreue ermittelt wird, solle den Hut nehmen. Nur 14 Prozent sagen nein. Soll der Mann gehen?

    Struck: Nein, er soll nicht gehen. Er hat, wie ich finde, den generellen Fehler gemacht, Präsident eines Fußballvereins zu werden. Das ist für einen Politiker nicht anzuraten. Das andere ist: Er hat den Vorstellungen seiner in seinem Vorstand vertretenen Anwälte, ob er solche Verträge unterschreiben kann, entsprochen. Er wollte dem 1. FC Saarbrücken helfen. Das hat mit seiner politischen Arbeit, insbesondere mit seiner Arbeit jetzt als Verkehrs- und Bauminister überhaupt nichts zu tun.

    Heinemann: "Wenn der Strafbefehl gegen Herrn Klimmt rechtskräftig wird, dann ist der Mann vorbestraft." So zitiert "der Spiegel" ein Mitglied des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Wenn eine Vorstrafe kein Rücktrittsgrund ist, was dann?

    Struck: Ich sehe das anders. Es handelt sich um keine Strafe, wenn dieser Strafbefehl so kommt, wie man aus den Zeitungen liest, die für ein polizeiliches Führungszeugnis relevant wäre. Ich bleibe bei meiner Meinung.

    Heinemann: Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. - Herr Struck, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio