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Einigung zu Aufnahmeeinrichtungen
"Es wird beim Zuwanderungsdruck bleiben"

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch bezweifelt, dass die neu beschlossenen Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge einen großen Abschreckungseffekt haben werden. Die Einigung sei vor allem ein politisches Signal, bei dem sowohl Horst Seehofer als auch Angela Merkel ihr Gesicht wahren können, sagte sie im DLF.

Ursula Münch im Gespräch mit Peter Kapern | 05.11.2015
    Porträt der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (Bayern), Ursula Münch
    Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (dpa/OPeter Kneffel)
    Peter Kapern: Die Entscheidung der Kanzlerin, die Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, sei falsch. So der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer zu Beginn des Koalitionskrachs vor ein paar Wochen. Und dann hat er beständig nachgelegt. Die Zahl der Flüchtlinge müsse reduziert werden. Angela Merkel müsse eine Obergrenze definieren und durchsetzen. An den Grenzen müssten geschlossene Transitzonen eingerichtet werden. Das alles untermauerte der CSU-Chef mit einem Ultimatum und der Drohung, Notfallmaßnahmen zu ergreifen, auch vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, wenn CDU und SPD nicht auf den Kurs der Christsozialen einschwenken sollten. So ungefähr klang das Crescendo, mit dem Seehofer die deutsche Politik aufgemischt hatte. Und dann heute Abend eine Einigung zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten.
    Bei uns am Telefon ist jetzt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Guten Abend.
    Ursula Münch: Guten Abend, Herr Kapern.
    Kapern: Frau Münch, bevor wir darüber sprechen, was die Vereinbarung von heute Abend für die Koalition bedeutet, möchte ich gern wissen, was sie für die Flüchtlingskrise und deren Bewältigung bedeutet. Werden jetzt weniger Menschen nach Deutschland kommen?
    Münch: Das wird sich so schnell nicht ändern. Es wird weiterhin bei dem Zuwanderungsdruck bleiben, weil die Zuwanderung ja vor allem davon abhängt, von der Situation in den Regionen, zum Beispiel in Jordanien, in der Türkei. Solange sich da nichts bessert - und das wird sicherlich noch dauern, wenn es überhaupt klappt -, solange sich da nichts ändert, werden weiterhin sehr viele Menschen kommen. Diesen Abschreckungseffekt, auf den man ja wohl auch ein bisschen setzt mit diesen Beschleunigungsbeschlüssen, dass der tatsächlich wirksam wird, bezweifeln erstens viele. Man weiß nicht - das hängt immer von der Not der Menschen ab -, ob so was tatsächlich wirkt. Und vor allem wirkt er natürlich auch nicht von einer Woche auf die andere. Da müssen alle Beteiligten noch Geduld haben.
    "Die Neuerung ist, von vornherein zu trennen"
    Kapern: Worin sehen Sie genau diesen Abschreckungseffekt und wie weit wird er Ihrer Meinung nach wirksam sein?
    Münch: Für diejenigen, die tatsächlich in einer extrem schwierigen Situation sind, sprich vor allem für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, da kann wahrscheinlich Abschreckung überhaupt nichts bewirken, weil den Leuten geht es tatsächlich schlecht, sei es in Syrien, sei es in den Flüchtlingscamps, oder wo immer sie in der Nachbarregion untergekommen sind. Da wird Abschreckung ohnehin nicht sehr viel bringen. Abgeschreckt werden aber diejenigen, die "nur" deshalb kommen, weil sie ihre Lebenssituation verbessern wollen, egal aus welchen Regionen. Die werden dadurch abgeschreckt, dass sie im Grunde von vornherein ja wenig Chancen haben auf überhaupt ein erfolgreiches Asylverfahren, und die will man ja in Zukunft sofort in diese speziellen Aufnahmeeinrichtungen schicken, wo sie dann auch ganz schnell wieder rauskommen werden, wenn der Asylantrag nicht erfolgreich ist. Da wird also keine Integration stattfinden in das deutsche Arbeitsleben und dort wird vor allem auch sehr knappe Taschengeld- und Unterhaltsmittel nur erfolgen.
    Kapern: Damit haben Sie ja sozusagen theoretisch die Funktionsweise dieser Aufnahmezentren oder Registrierungszentren skizziert. Die sollen ja so funktionieren, dass dort die Asylverfahren innerhalb nur eines Monats komplett abgeschlossen werden. Das funktioniert nicht einmal an den Flughäfen reibungslos, wo es ja jedes Jahr nur wenige hundert Asylanträge gibt. Selbst da muss man die Asylbewerber dann aus der Transitzone rauslassen, weil die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist nicht einzuhalten ist. Können Sie sich vorstellen, dass das in Registrierungszentren mit tausenden von Asylbewerbern funktionieren kann?
    Münch: Im Augenblick fällt es schwer, sich das vorzustellen. Da gebe ich Ihnen völlig recht. Natürlich verbindet man das ja wieder mit dieser Hoffnung, dass man dadurch, dass man ja noch mehr Personal in das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hineinsetzen will, dass man noch mehr Personal abstellt, davon erhofft man sich das. Aber die Schwierigkeit ist, wie Sie sagen: Die Neuerung ist - und das ist ja etwas, was die SPD ursprünglich nicht wollte -, die Neuerung ist, jetzt tatsächlich von vornherein zu trennen. In diese Aufnahmezentren sollen ja tatsächlich nur die Asylsuchenden kommen, denen man von vornherein wenig Chancen gibt, weil sie aus sicheren Herkunftsländern kommen. Das wäre der Hauptgrund, um relativ schnell entscheiden zu können. Dann ist aber natürlich immer noch die Schwierigkeit: Man muss sie dann auch ganz schnell wieder abschieben können. Und es gibt nach wie vor immer noch faktische Abschiebegründe. Da muss schon einiges sich noch verändern, um das tatsächlich zu erreichen. Im Augenblick ist man einfach froh, dass man dieses Signal, dieses politische Signal nach außen geben kann.
    "Seehofer hat erreicht, was Bayern immer schon wollte"
    Kapern: Sie haben gerade unterstrichen, dass die SPD da im Zuge dieses Kompromisses etwas schlucken musste, was sie ursprünglich nicht haben wollte. Ich habe eingangs der Sendung das bayerische Eskalationsmodell noch einmal beschrieben, von der Verurteilung der Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn bis hin zum Ultimatum, das Horst Seehofer der Bundesregierung gesetzt hat inklusive einer Drohung eines Gangs zum Bundesverfassungsgericht. Kann sich Seehofer mit dem Ergebnis von heute in Bayern sehen lassen?
    Münch: Im Großen und Ganzen ja. Was er nicht erreicht hat, sind diese Transitzonen direkt an der Grenze. Sein Sinnen und Trachten war ja, diese Asylsuchenden mit den voraussichtlich geringen Bleibechancen, die überhaupt nicht einreisen zu lassen. Das hat er nicht erreicht.
    Kapern: Aber das war doch das, was er wollte. Warum kann er sich dann trotzdem mit dem Ergebnis sehen lassen?
    Münch: Er kann sich deshalb sehen lassen, weil er etwas erreicht hat, was Bayern ja immer auch schon haben wollte und wofür Bayern beziehungsweise die CSU immer gescholten worden ist, nämlich diese frühe Trennung zwischen den verschiedenen Gruppen von Asylsuchenden. Dafür gibt es ja in Bayern bereits diese Aufnahmezentren Bamberg und Manching, die jetzt insgesamt noch stärker ausgebaut werden sollen nach diesem neuesten Beschluss. Aber diese Trennung herbeizuführen und von vornherein zu sagen, wir schleusen manche viel, viel schneller durch, das ist tatsächlich die Kröte, die die SPD schlucken musste, die eben bedeutet, dass ein größerer Teil der Flüchtlinge, nämlich die aus den sogenannten sicheren Herkunftsländern, und im Grunde ja auch die, die über sichere Drittstaaten eingereist sind - das ist ja die Krux daran. Auch derer kann man sich ja relativ schnell entledigen, weil man sagt, die haben woanders einen Asylanspruch und nicht in der Bundesrepublik. Insofern: Da hat Seehofer diesen Punkt voll durchsetzen können und das wird er natürlich nach außen hin stärker darstellen.
    "Kanzlerin kann sagen, sie bleibt bei ihrer Linie"
    Kapern: Und wie steht die Kanzlerin am Abend dieses Kompromisses da?
    Münch: Wenn man bedenkt, dass die Kanzlerin ja ursprünglich sich ganz vehement gegen überhaupt solche Aufnahmezentren, vor allem, wenn sie das Stichwort Transitzone tragen, gewehrt hat, dann hat sie da ja im Laufe der Zeit, im Laufe der letzten drei Wochen relativ viel Zugeständnisse gemacht. Aber sie kann ja etwas immer noch sagen, und das ist dann sicherlich auch insgesamt das Positive dieses nicht ganz unproblematischen Kompromisses, dass man insgesamt sagen kann, die Bundesrepublik setzt keine Deckelung. Weil bei der bisherigen Diskussion: Die Deckelung hätte ja bedeutet, dass unter Umständen auch Menschen zurückgeschickt werden, von denen jeder weiß, dass sie tatsächlich einen Bleibestatus benötigen, weil sie aus einem Bürgerkriegsland kommen, aus einer extrem schwierigen Lebenssituation kommen. Das geschieht jetzt nicht. Es wird keine Obergrenze verankert. Das bedeutet, dass diejenigen - und das ist wahrscheinlich der Punkt, wo die Kanzlerin sagen kann, sie bleibt in ihrer Linie und sie tut es dann auch tatsächlich -, diejenigen, die verfolgt sind oder aus einem Bürgerkriegsland kommen, haben nach wie vor die Möglichkeit und auch große Chancen, in der Bundesrepublik zumindest vorübergehend Zuflucht zu bekommen.
    Kapern: Noch kurz zum Schluss, Frau Münch. In Deutschland gibt es ja nach wie vor eine große Hilfsbereitschaft bei den Menschen, die hier leben, die Flüchtlinge aufzunehmen. Aber es gibt auch zunehmend den Eindruck, dass da was passieren muss, weil es so nicht weitergeht. Kommt die Bundesregierung mit dem heutigen Kompromiss dieser Erwartungshaltung der Deutschen entgegen?
    Münch: Ja! Das ist das Positive und deshalb braucht man gar nicht groß herumrechnen, wer jetzt mehr herausgeschunden hat oder mehr für sich erreicht hat. Das ist das Positive, dass nun diejenigen, die unterstützen, diejenigen, die ehrenamtlich tätig sind, wissen, sie tun es in einer Situation, dass voraussichtlich weniger zumindest für eine längere Zeit da bleiben, und insgesamt gehe ich mal davon aus, dass die Bevölkerung eher wieder das Gefühl bekommt, die Politik ist handlungsfähig, und das ist die zentrale Botschaft.
    Kapern: Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.