Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag

11.04.2002
    Remme: Auch wenn die USA unstrittig die einzig verbliebene Supermacht sind und eine Führungsrolle Washingtons in vielen Fragen fast selbstverständlich ist, so geschehen in der internationalen Politik doch ab und zu Dinge gegen den Willen der Vereinigten Staaten. Heute ist so ein Tag, und viele sind froh darüber, weil sie den Widerstand der USA für schlicht falsch halten. Es geht um die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes. Bislang hatten 56 Länder das Statut von Rom aus dem Jahr 1998 ratifiziert, 60 waren aber notwendig, damit der Vertrag in Kraft tritt, und diese Zahl wird heute überschritten. In New York und Rom wird deshalb gefeiert. Das Gericht, das in Den Haag angesiedelt wird, soll über Personen richten, denen Kriegsverbrechen, Massenmorde oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden. Als ein wichtiger Vorläufer gelten die Nürnberger Strafprozesse gegen die Verantwortlichen der Naziverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg. Sicherlich gibt es aber auch Parallelen zum Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien in Den Haag. Eben dort arbeitet Wolfgang Schomburg als Richter. Herr Schomburg, der internationale Strafgerichtshof kommt, das steht jetzt fest, ist allein das schon ein Grund zum Feiern?

    Schomburg: Das ist heute sicherlich ein Feiertag für die Vereinten Nationen. Es ist das erste Mal, dass auf globaler Ebene Strafgerichtsbarkeit vorgehalten wird, eine Position, die vor wenigen Jahren völlig undenkbar gewesen wäre.

    Remme: Warum hat es so lange gedauert?

    Schomburg: Nun, vor allem die Vorbereitungsarbeiten haben sehr lange gedauert. Dieser Gedanke einer permanenten Strafjustiz weltweit ist eigentlich auf UN-Ebene in den 50er, 60er und 70er Jahren immer wieder verfolgt worden. Den eigentlichen Anstoß hat in der Tat der Umstand gegeben, dass wir nun zum ersten Mal zwei Adhoc-Gerichte für Ruanda und das frühere Jugoslawien haben. Sicherlich haben solche Adhoc-Gerichte bestimmte Defizite, und man hat daraus die Konsequenz gezogen, dass man permanent diese Abschreckungsfunktion eines internationalen Strafgerichtshofes haben muss.

    Remme: Wenn Sie da nochmals etwas ins Detail gehen können, wie weit reichen die Parallelen, die ich angesprochen habe, einerseits zu Nürnberg, andrerseits zum Jugoslawien-Tribunal?

    Schomburg: Im Prinzip ist hier die Weiterentwicklung von Nürnberg und - das darf man nicht vergessen - Tokio vorrangig zu sehen. Es geht hier darum, dass für alle Staaten, für Straftaten die weltweit begangen sind, ein Gericht vorgehalten wird, nicht nur bei Einzelfällen, wie es in Ruanda und Jugoslawien der Fall ist. Uns wird ja mit einer gewissen Berechtigung vorgehalten: Warum gerade Jugoslawien? Warum nur Ruanda? Warum verschließen wir vor den anderen gleichartigen Straftaten, die in der Welt begangen werden, die Augen? Von daher ist die Kontinuität - wenn man überhaupt davon sprechen darf - eher in Richtung Nürnberg und Tokio gegeben. Auf diesem Material wird aufgebaut.

    Remme: Was wird durch die Einrichtung dieses Gerichtshofs jetzt möglich, und wo sind seine Grenzen?

    Schomburg: Möglich wird - und das ist ganz wichtig - die Verfolgung aller Straftaten, die ab dem 1. Juli 2002 weltweit im Bereich Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen begangen werden. Diese drei Hauptkategorien an Straftaten sind schon jetzt international anerkannte Straftatbestände, aber dieser Gerichtshof hat nur Zuständigkeit für die Taten, die nach dem 1. Juli begangen werden.

    Remme: Ist es ein Manko, dass man Straftaten, die eben in der Vergangenheit begangen wurden, nicht verfolgen kann?

    Schomburg: Es ist ein fundamentales Prinzip des Strafrechtes, dass es eine Rückwirkung von Straftatbeständen nicht geben darf.

    Remme: Ich sagte es eingangs, die USA, genauer, der Kongress verweigerte die Ratifizierung. Ist das ein Manko?

    Schomburg: Sicherlich wird es einige praktische Schwierigkeiten geben, und das ist ja nicht nur die Tatsache, dass nicht ratifiziert wird, sondern man bemüht sich ja auch aus dem auszusteigen, was unter Präsident Clinton noch geschaffen wurde, nämlich die Zeichnung dieses Übereinkommens. Darüber hinaus sollen ja auch alle amerikanischen Behörden verpflichtet werden, nicht mit diesem zukünftigen Gerichtshof zusammenzuarbeiten, und es wird auch in der Tat Druck auf andere Staaten ausgeübt, nicht zu ratifizieren. Aber das Erfreuliche an diesem Prozess ist eben - Sie sagten es in Ihrer Anmoderation -, dass es hier möglich geworden ist, auf der Ebene der Vereinten Nationen auch einmal etwas gegen den Willen der USA durchzusetzen, und ich hoffe nur, dass die Regierung der USA in Zukunft erkennen wird, dass es im eigenen Interesse sein wird, auch hier bei dem mitzuwirken, was jetzt 66 Staaten untereinander vorbereiten.

    Remme: Halten Sie denn das, wie es in einigen Kommentaren zu lesen ist, für nationale Arroganz, oder können Sie die inhaltlichen Gründe nachvollziehen?

    Schomburg: Wenn ich ins Detail gehe, kann ich die inhaltlichen Gründe nicht nachvollziehen. Es wird ja plakativ an erster Stelle dargestellt, es soll niemals ein amerikanischer Richter, Soldat, schon gar nicht ein Politiker vor einem internationalen Gericht stehen. Die Gerichtsbarkeit ist bisher in den verschiedenen einzelnen Staaten schon gegeben, wenn ein Delikt begangen worden ist, bei dem ein Nachteil für ein Staat entsteht bzw. ein Staatsangehöriger betroffen ist. Diese internationale Jurisprudenz in den einzelnen Staaten besteht ja schon jetzt, und die Gefahr ist auch - wenn man es Gefahr nennen möchte - durchaus für Staatsangehörige der Vereinigten Staaten gegeben, beispielsweise in Deutschland, Frankreich oder Kanada verfolgt zu werden. Das System sagt ja jetzt nur, dass wenn in einem dieser Mitgliedstaaten die Strafgerichtsbarkeit aus irgendwelchem Grunde nicht ausgeübt werden kann, dann im Sinne der Komplementarität die Strafgerichtsbarkeit auf diesen internationalen Strafgerichtshof übergeht. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu den anderen Strafgerichtshöfen.

    Remme: Wann, glauben Sie, wird der erste Fall am internationalen Strafgerichtshof behandelt?

    Schomburg: Als Jurist sollte man sich an Spekulationen nicht beteiligen, zumal man ja sagen muss, die Straftag muss erst noch begangen werden. Es gilt ja nur für Straftaten nach dem 1. Juli, und als Strafjurist muss man immer hoffen, dass Straftaten zunächst überhaupt nicht begangen werden.

    Remme: Aber wichtige Hürden gibt es jetzt, nachdem die Zahl 60 überschritten ist, wenn ich es richtig sehe, prozedural nicht mehr?

    Schomburg: Prozedural gibt es überhaupt keine Hürden mehr. Die Arbeit wird nach dem 1. Juli aufgenommen werden. Es wird hier in Den Haag ein erster Arbeitsstaat errichtet werden, es werden auch die ersten Richter gewählt werden, und Anfang des nächsten Jahres werden wir sicherlich in Den Haag den ersten Präsidenten, die erste Staatsanwaltschaft vorfinden. Die Pläne laufen bereits. Das Gebäude ist schon ausersehen, und es ist auch die Planung für die Errichtung eines permanenten Gerichtshofgebäudes vorgesehen.

    Remme: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio