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Einschränkung des Familiennachzugs
"Das beschädigt die Glaubwürdigkeit von Politik"

SPD-Vize Ralf Stegner reagiert verärgert auf den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, den Familiennachzug für Syrer zu begrenzen. Man könne nicht den Schutz von Menschen einschränken, die vor den Bomben des Assad-Regimes und dem IS geflohen seien, sagte Stegner im DLF. "Die Union gibt ein miserables Beispiel ab - und Herr de Maizière vorneweg".

Ralf Stegner im Gespräch mit Christine Heuer |
    Ralf Stegner, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD
    Ralf Stegner, der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, wirft der Union in der Flüchtlingspolitik Versagen vor. (imago stock & people)
    Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Stegner kündigte den Widerstand seiner Partei an. Der Vorstoß des Innenministers sei mit der SPD nicht zu machen. "Statt endlich die getroffenen Vereinbarungen umzusetzen, werden jeden Tag neue unausgegorene Vorschläge gemacht", sagte Stegner im DLF-Interview. Dadurch demonstriere man nur Regierungsunfähigkeit. Davon profitierten letztlich Rechtspopulisten wie die AfD und die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung.
    Der Union gingen in der Flüchtlingsdiskussion "gelegentlich die Gäule durch". Dabei habe die SPD gerade erst "mit Mühe und Not Herrn Seehofer wieder vom Baum geholt", sagte Stegner mit Blick auf den Asylkompromiss zwischen CDU, CSU und SPD. Das Wichtigste sei nun, dass sich der Bundesinnenminister endlich für eine Beschleunigung der Asylverfahren einsetze, wie sie vereinbart worden sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: "Die Regierungskrise ist beendet, wir gehen jetzt wieder an die Arbeit." Ein Zitat von Thomas Oppermann, dem SPD-Fraktionschef im Bundestag, von gestern Morgen. Am Abend sah die Sache dann schon wieder anders aus, da hatte Innenminister Thomas de Maizière dem Deutschlandfunk gesagt, dass syrische Flüchtlinge ab sofort schlechter gestellt werden, unter anderem eben ihre Familien nicht mehr nachkommen lassen dürfen. Und Ralf Stegner von der SPD-Linken twitterte empört, das sei mit der SPD nicht vereinbart worden. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Stegner!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Gestern Abend ist Thomas de Maizière zurückgerudert, erst mal bleibe alles so, wie es ist. Klingt nicht, als wäre das Thema damit vom Tisch, oder?
    Stegner: Es ist vom Tisch, was die SPD betrifft. Aber wir wissen ja, dass es in der Union heftige Debatten gibt. Und man hat manchmal den Eindruck, dass mit aller Kraft versucht wird, das Signal von der Bundeskanzlerin, als damals die Flüchtlinge kamen aus Österreich und Ungarn, dieses Signal zu konterkarieren, indem man möglichst viel Härte nach außen zeigt. Es kommt gar nicht mehr so sehr auf die Sache an, sondern es soll Härte demonstriert werden. Und dabei gehen denen gelegentlich die Gäule durch. Und ich muss mal sagen, wenn Sie sich die Sache in Syrien mal angucken, die Menschen flüchten dort vor den Fassbomben von Herrn Assad oder vor den Mörderbanden des Islamischen Staates. Und dann allen Ernstes zu sagen, wir schränken den Schutz für diese Menschen ein oder wir sagen, Familiennachzug ist nicht mehr, was ja auf gut Deutsch gesagt bedeutet, dass sich dann erst recht mehr Frauen und Kinder auf den gefährlichen Weg machen würden, wenn das so droht. Das alles geht mit der SPD nicht, das weiß die Union auch sehr genau, und deswegen ist es sehr ärgerlich, dass Herr de Maizière das öffentlich versucht, um nur festzustellen, dass er von der SPD da gebremst wird, weil wir das nicht mitmachen werden.
    Heuer: Verweigern Sie das Gespräch darüber?
    Stegner: Man kann über alles reden, aber, wissen Sie, wir haben in den letzten Wochen über diesen ganzen Unsinn reden müssen mit den Transitzonen, mit exterritorialen Haftanstalten, mit Zurückweisung an der Grenze, dieser ganze Unfug, der übrigens fünf Prozent der Flüchtlinge betrifft, haben mit Mühe und Not Herrn Seehofer wieder vom Baum geholt, und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, das passt nicht in die Zeit. Die Kommunen wissen gar nicht, wie sie die Flüchtlinge unterbringen. Die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer leisten Übermenschliches. Statt, dass wir uns also auf das Management der Probleme konzentrieren, statt, dass wir das endlich umsetzen, was vereinbart worden ist, gerade Herr de Maizière, also die Verfahren zu beschleunigen, den Datenaustausch zu verbessern, also genau diese Aufgaben zu erledigen, die die Menschen von uns erwarten – stattdessen werden jeden Tag neue, unausgegorene Vorschläge gemacht. Und da kann ich der Union den Vorwurf nicht ersparen. Die kommen nicht aus der SPD, sondern diese Vorschläge kommen samt und sonders aus der CDU und aus der CSU. So demonstriert man Regierungsfähigkeit nicht. Es ist das Gegenteil davon, und das können wir uns überhaupt nicht leisten, denn Sie sehen ja, wie die Werte der Rechtspopulisten nach oben gehen, die davon profitieren. Es sind die einzigen, die davon profitieren. Also ich kann nur sagen, kehrt zurück zur Regierungsfähigkeit, setzt um, was wir gemeinsam vereinbart haben, dann haben wir auch eine Chance, diese Herausforderung zu bewältigen.
    Heuer: Sie sagen, die Kommunen sind überfordert. In der Tat, das kann man beobachten. Kommt da nicht auch Druck von der SPD-Basis?
    Stegner: Ja, die wollen natürlich, dass die Probleme gelöst werden. Aber die Antworten, wie wir das tun können, die liegen doch auf der Hand. Schauen Sie, alle wissen, dass ein Großteil der Dinge, die geleistet werden müssen, gar nicht in unserer Hand sind. Die Bekämpfung der Fluchtursachen, da ist unser Außenminister Frank Steinmeier unermüdlich unterwegs. Europäische Solidarität, daran arbeiten Martin Schulz und andere täglich ...
    Heuer: Ja, aber es geht langsam voran.
    "Flüchtlinge warten teilweise sieben Monate auf einen Anhörungstermin"
    Stegner: Und dann kommt der Teil in Deutschland. Und was wir hier tun können, ist nicht, irgendwelche Signale abgeben von besonderer Härte, sondern dafür zu sorgen, dass die Kommunen Flüchtlinge nur noch dann bekommen, wenn das welche sind, die hier bleiben können, die integriert werden, und die, die keine Bleibeperspektive haben, die Verfahren zu beschleunigen. Was ist aber Fakt? Sie kommen hierher als Flüchtlinge und warten teilweise sieben Monate, um nur einen Anhörungstermin zu bekommen. In Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein haben wir immer noch nicht mehr Entscheider, obwohl Herr de Maizière das seit Monaten zugesagt hat. Der Datentransfer funktioniert überhaupt nicht. Und wenn in Holland solche Verfahren zweieinhalb Wochen dauern und bei uns man sechs, sieben Monate auf einen Verfahrenstermin wartet, dann ist da was faul, und das soll Herr de Maizière in Ordnung bringen bei seinem Bundesamt und uns nicht behelligen ständig mit neuen Vorschlägen, die nicht verfassungskonform sind, die nicht human sind, die nicht praktikabel sind. All das geht mit der SPD nicht, egal, wie groß der Druck ist. Und ich hatte gestern das Gefühl, da sollte mal wieder ausgetestet werden, ob das funktioniert. Das beschädigt aber die Glaubwürdigkeit von Politik, und Frau Merkel hat ihm ja nun schon die Zuständigkeit entzogen und Herrn Altmaier im Bundesamt mit der Koordination beauftragt. Aber nun ist dann wirklich bald mal gut. Und Herr de Maizière soll nicht solche Vorschläge machen, sondern sein Bundesamt auf Trab bringen, damit das endlich klappt mit der Beschleunigung der Verfahren.
    Heuer: Also im Amt soll er Ihrer Meinung nach schon bleiben, nicht zurücktreten?
    Stegner: Das hat die Frau Bundeskanzlerin zu entscheiden. Ich finde, wir sollten jetzt nicht Rücktrittsdebatten führen und das übliche Politikspiel betreiben, sondern wir haben eine außerordentliche Situation, wir müssen die Probleme lösen. Das erwarten die Menschen von seriöser Politik. Und noch mal: Es gibt da keine parteipolitischen Feldgewinne, sondern wenn wir da nicht die Probleme lösen, dann nützt das den AfD-Leuten, dann nützt das den Pegida-Leuten und all denjenigen, die am rechten Rand ja schon eine Stimmung erzeugt haben, dass wir täglich Anschläge auf Flüchtlingsheime haben, dass wir Attentate haben wie in Köln. Das heißt, die Lage ist wirklich zugespitzt. Da kann man sich diesen Dilettantismus nicht erlauben, sondern es muss vernünftig gehandelt werden. Und es ist nicht Zeit für parteipolitische oder taktische Spiele.
    Heuer: Nun kam ja, Herr Stegner, dieser Vorschlag zwar für viele überraschend, aber im politischen Berlin kursierten solche Gerüchte. Es muss also über das Thema gesprochen worden sein, auch mit Ihrem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel?
    "Mit der SPD geht das alles nicht - lassen Sie uns die Vereinbarungen umsetzen"
    Stegner: Natürlich wird über alles Mögliche gesprochen, aber unser Parteivorsitzender hat doch klar gesagt, was die SPD mitmacht und was nicht. Wir haben immer gesagt, wir haben drei Anforderungen, Lösungen müssen praktikabel sein, sie müssen verfassungskonform sein, und sie müssen human sein. Und all die anderen Ideen, die schon bei der Humanität überhaupt nicht in Ordnung sind – ich meine, man weiß doch, was in Syrien los ist. Das ist doch schwierig genug. Da wird mit den Russen, den Saudis und anderen gerade darüber geredet, wie man das dort stabilisiert. Aber jetzt das Signal zu geben, Familiennachzug geht nicht mehr, man lässt da die Kinder und die Frauen von den Männern, die herkommen, im Stich, und das kommt ausgerechnet von einer Partei, die ein "C" vorne hat und ansonsten ständig über Familienzusammenhalt redet – das ist doch eine Form von Scheinheiligkeit, und das macht doch die SPD nicht mit. Und das hat Herr Gabriel natürlich seinen Gesprächspartnern genauso signalisiert, wie ich Ihnen das jetzt hier öffentlich sage.
    Heuer: Und dabei bleibt es auch, Herr Stegner? Sigmar Gabriel, sagen wir es mal so, ist ja manchmal für Überraschungen gut.
    Stegner: Aber nicht bezogen darauf, dass in Grundsatzfragen die Sozialdemokratie wankt. Wenn Sie sich die letzten Monate angucken, dann stellen Sie fest, die SPD, die ja Verantwortung hat in den Kommunen, in 14 von 16 Ländern mitregiert, im Bund mitregiert, wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeit ordentlich geleistet wird. Und es sind doch andere Parteien, es ist doch Herr Seehofer gewesen, der ein Ultimatum an seine Kanzlerin gestellt hat, der immer noch mit Verfassungsklage droht, die immer noch davon schwafeln, man könne die Grenzen dicht machen – als ob so was in Europa noch ginge. Und was ist das Ergebnis? Dass sie erleben, dass inzwischen Leute auftreten und sagen, wir sollen den Grenzschützer wieder bewaffnen und so was. Es ist eine total aus den Fugen geratene Debatte, und das kommt durch solche Ideen der Konservativen. Ich sage noch mal, mit der SPD geht das alles nicht, lassen Sie uns die Vereinbarungen umsetzen. Das ist dringend notwendig, das erwarten die Menschen von uns. Denn sonst werden wir wirklich erleben, dass das anfängt, unsere Demokratie zu beschädigen, wenn die Menschen den Eindruck haben, der Staat funktioniert nicht. Er funktioniert, übrigens dank der ehrenamtlichen Helfer insbesondere, dank der Polizei, dank der Bundeswehr, dank der Kommunalpolitiker. Und da muss die Spitze ein besseres Beispiel geben. Und das Beispiel, das die Union auf Bundesebene abgibt, ist wirklich miserabel, und Herr de Maizière vorneweg.
    Heuer: Sie sagen, die Vereinbarung soll umgesetzt werden, die gerade erst gefunden ist. Da ist ja auch mit drin, dass künftig Afghanen in bestimmte Provinzen zurückgeschickt werden können, die als sicher anerkannt werden. Zieht die SPD da mit?
    Stegner: So steht das da nicht drin, sondern ...
    Heuer: Aber so wurde es ja dargestellt.
    Stegner: Das habe ich gehört. Es geht darum, dass man versuchen muss, die Lage in Afghanistan, auch in Pakistan zu stabilisieren. Da reden wir über Millionen von Menschen. Wir wissen ja, wie schwer das alles ist.
    Heuer: Ja, und das dauert ja unheimlich lange. Herr Stegner, darüber müssen wir nicht reden, dass die Lage da stabilisiert werden muss. Aber die Frage, die sich jetzt stellt, ist, macht die SPD dabei mit, dass Afghanen unter Umständen als Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsprovinzen gelten.
    "Menschen in Not und Elend zu schicken, das kommt nicht in Betracht"
    Stegner: Ich kann nur sagen, die SPD macht nicht mit, Menschen in Not und Elend zu schicken, das kommt nicht in Betracht. Aber natürlich stellen sich große Fragen, auch wenn sie nicht schnell gehen, die wir miteinander beantworten müssen. Wie wir dafür sorgen, dass Menschen nicht flüchten müssen. Wie wir dafür sorgen, dass wir nicht mehr Waffen exportieren und Spannungsgebiete. Wie wir dafür sorgen, dass wir nicht bei uns billige Lebensmittel wegschmeißen und so die Landwirtschaft subventionieren, dass wir anderswo die Landwirtschaft kaputt machen und viele andere Dinge mehr.
    Heuer: Herr Stegner, das ist das ganz große Rad. Die Frage ist, wenn künftig Afghanen zurückgeschickt werden, möglicherweise in sichere Gegenden, die so genannt werden, schließt das die SPD genauso kategorisch aus wie die Sache mit den Syrern?
    Stegner: In unsichere Gegenden schicken wir Menschen nicht zurück, und wie sich das in Afghanistan entwickelt, kann ich nicht hypothetisch beantworten.
    Heuer: Im Moment aber nicht. Im Moment würden Sie da niemanden hinschicken?
    Stegner: Im Moment kommt das nicht in Betracht, und ich sage noch mal, wir müssen uns doch an unserer Verantwortung für Humanität messen lassen. Und da können wir nicht eine Doppelmoral haben. Die hatten wir übrigens schon lange genug. Wir haben in Lampedusa lange genug zugeguckt und anderswo. Jetzt, wo die Menschen an unseren Grenzen sind, sind viele aufgewacht. Aber Humanität ist nicht teilbar. Wir haben eine Verantwortung für die gesamte Welt. Und ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, auf Dauer wird ein Europa nicht in Frieden und Wohlstand leben können, wenn anderswo die Menschen auf der Welt in Elend und Krieg leben. Da werden wir teilen müssen, auch unseren Wohlstand teilen müssen. Das geht gar nicht anders. Das wird man den Menschen vermitteln müssen. Das ist schwer genug. Unsere Verantwortung für Menschenrechte ist weltweit. Aber trotzdem, es bleibt das Erste auf der Agenda, dass wir unsere Hausaufgaben hier machen, und da sage ich noch mal, da ist der Bundesinnenminister gefragt, nicht mit Schnapsideen, die öffentlich über Medien verbreitet und am Abend wieder eingesammelt werden.
    Heuer: Ralf Stegner vom SPD-Parteivorstand. Herr Stegner, danke für das Interview!
    Stegner: Sehr gerne. Tschüs, Frau Heuer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.