Freitag, 29. März 2024

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Einwanderer in die DDR
Misstrauisch beäugt von allen Seiten

Wer die DDR verlassen, also "Republikflucht" begehen wollte, musste sich in Lebensgefahr begeben. Es gab aber auch genügend Menschen, die in die DDR einwandern wollten - insgesamt etwa 500.000 Westdeutsche. Die Ausstellung "Wechselseitig" zeigt: Die Wenigsten gingen aus politischer Überzeugung in den Osten.

Von Thomas Weinert | 09.11.2016
    Checkpoint Charlie in der Friedrichstrasse in Berlin. Der Grenzübergang ist für Diplomaten und Ausländer. Aufnahme aus den 1960er Jahren.
    Etwa 500.000 Westdeutsche wollten freiwillig in die DDR einwandern. (picture alliance / Teruko Sammer)
    "Verzeihung: Das hieß wirklich Röntgental?!" - "Ja, das ist ein Ort. Tja, das ist schon ein seltsames Wortspiel."
    Röntgental nordöstlich von Berlin, das war so etwas wie Marienfelde im Westen. Ein Aufnahmelager für deutsch-deutsche Übersiedler, nur eben nicht von Ost nach West, sondern von West nach Ost. Wer als Übersiedler aus der Bundesrepublik oder aus West-Berlin in die DDR kam, der landete oft in Röntgental. Tatsächlich hätte man denken können, es hätte in der DDR noch einen anderen Ort geben können für ein solches Lager, in dem es zunächst darum ging, die neuen Staatsbürger von der Staatssicherheit durchleuchten zu lassen.
    Frauke Nauman ließ sich 1986 von ihrem zukünftigen Mann Kai dort abliefern, um DDR-Bürgerin zu werden und ihn später zu heiraten. Die anderen Heimbewohner durfte sie nur mit Vornamen anreden, auch die Mitarbeiter im Heim blieben anonym. Und so geheim wie rein, ging es dann auch raus, immerhin nach sechs Wochen Prüfung:
    "Sie gehen jetzt schnurstracks in den Fahrstuhl rein. Gucken nicht nach rechts und links und sie sprechen mit Niemandem. Und dann ging es wieder in ein Büro rein und dann musste ich wieder auch ewig warten. Demütigend, bis dann endlich jemand kam, ein Mitarbeiter des Aufnahmeheims, mir einen Umschlag auf den Schreibtisch legte und sagte, da ist ihr Ausweis drinnen, Führerschein, Reisepass, BRD-Ausweis, das werden sie nie wiedersehen. Und da wusste ich: Ok, das war’s jetzt, jetzt bleibe ich hier."
    Freiwillig in die DDR
    Frauke Nauman hatte aus Liebe die innerdeutsche Grenze überwunden, aus freien Stücken, wie 500.000 andere Menschen in der bisher kaum bekannten Richtung von West nach Ost. Gerlinde Breithaupt gehörte auch zu Ihnen, sie wollte Pfarrerin in der DDR werden und erzählt eine andere, ganz persönliche Durchleuchtungsgeschichte, die sie später in ihrer Stasiakte fand:
    "Es war ein lustiges Telefongespräch, das muss ich erzählen. Das war ein Freund von uns aus Westdeutschland, der wollte uns besuchen und noch einen Freund in Dresden und fragte uns nach der Vorwahl von Dresden. Und da haben wir geantwortet: 'Tut uns Leid, können wir dir nicht sagen, je nachdem, von wo aus man anruft, ist die Vorwahl von Dresden eine andere.' Und da sagte mein Mann ganz spitzbübisch am Telefon: 'Tja, wir haben viele Vorteile gegenüber der Bundesrepublik, aber da sind wir leider noch nicht so weit.'"
    Misstrauen gegenüber DDR-Einwanderern
    Argwöhnisch beäugt wurden die Wessis nicht nur von der Stasi, auch die ostdeutschen Mitbürger konnten oft kaum glauben, was sie da vor sich hatten, Misstrauen auch hier an vielen Orten. Oder schlichtweg Verwunderung:
    "Und da bin ich, naiv, wie ich war, nun gut, ich wusste schon, dass das so nicht funktioniert. Ich habe gesagt, ich versuche es, zum Kaderleiter des Betriebs gegangen und gesagt, ich kündige jetzt. Und der hat sich wirklich köstlich über mich amüsiert und gesagt: 'Du, so geht das hier bei uns nicht, hier kann man nicht einfach kündigen und gehen.'"
    Für viele Westdeutsche war die DDR eine harte Prüfung, viele dachten an Umkehr. So wie Manfred Kern, der mit seiner westdeutschen Frau in seine Heimat zurückgekehrt war, Ende der 40er Jahre:
    "Als wir in einer zerbombten Stadt hier anfangen mussten in der DDR, und in sieben Monaten acht Mal in Notquartieren waren und sich unser erstes Kind anmeldete, da waren wir stark in der Versuchung. Da wären wir wahrscheinlich zurückgegangen, einfach aus Verantwortung."
    Danach bekam die junge Familie eine Wohnung, die Frage der Unterkunft war jahrelang ein großes Problem im neuen sozialistischen deutschen Staat. Doch auch Ellen Schernikau wollte wieder rüber. Sie hatte sich im Westen verliebt, ihren Sohn mitgenommen, die sozialistische Überzeugung aber nie verloren. Es war so etwas wie ein politisches Erbgut, denn Mutter und Sohn hatten ohne Absprache Ende der 80er-Jahre die gleiche Idee:
    "Da hat er mich in Hamburg besucht und da hat er gesagt: 'Du, weißt du was, ich habe die DDR-Staatsbürgerschaft beantragt.' Und da habe ich gesagt: 'Weißt du was? Ich auch!'"
    Unterschiedliche Wahrnehmungen des Mauerfalls
    Kurz vor dem Mauerfall zieht Ronald Schernikau in die DDR, seine Mutter wenige Wochen später. Sie erleben den 9. November 1989 anders als Frauke Nauman, die vielleicht unpolitischer ist als die beiden, aber dennoch das Leben in der DDR gewählt hatte. Das Ende erleben sie unterschiedlich:
    Schernikau: "Die Wochen waren für Ronald und auch für mich eine der schmerzlichsten Wochen in unserem Leben."
    Naumann: "Das war einerseits natürlich große Freude, muss ich sagen. Andererseits war ich sehr schockiert, weil innerhalb von gefühlt wirklich Minuten, Stunden sich alles umdrehte. Alle die, die mich vorher agitiert haben, für die war alles nicht mehr wahr, die hatten auch alle kein Parteibuch mehr. Da kommt die Kaderleiterin zu mir, die vorher immer gesagt hatte, Vorzeigekind, da wurde ich von ihr auch gerne immer ein bisschen gepuscht, hieß es dann: 'Du kommst aus dem Westen, du kennst das schon, du bist die Erste, die wir rausschmeißen.'"