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Einwanderer
Unsichtbare Polen in Deutschland

Polnische Einwanderer sind in Deutschland eine große Minderheit. Im öffentlichen Bewusstsein kommen sie aber kaum vor, meint die Autorin Emilia Smechowski. Das liege daran, dass die Polen versuchten, sich in der deutschen Gesellschaft zu verstecken. In ihrem Buch "Wir Strebermigranten" beschreibt sie ihr eigenes Leben als polnisches Einwandererkind.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger |
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    Die Journalistin und Buchautorin Emilia Smechowski. (Linda Rosa Saal)
    Emilie Smechowski schreibt: "Irgendwie auch albern, dieses polnische Wispern überall. Wenn man wollte, konnte man es in der gesamten Stadt hören: dobrze...na pewno nie...kiedy...zostaw to...na razie...Ein leiser Klangteppich aus Wortfetzen, bevor man wieder ins Deutsche wechselte, in normaler Lautstärke. Von den Polen in der Schule hielt ich mich fern, ohne darüber nachzudenken. Und natürlich wäre ich nie darauf gekommen, auch nur ein polnisches Wort mit ihnen zu wechseln."
    Mit diesem Bild beschreibt Emilia Smechowski in "Wir Strebermigranten", wie die in den 1980er Jahren nach Deutschland geflohenen oder migrierten Polen ihre Herkunft zu verbergen versuchten.
    Autobiografisches Buch
    Die Autorin selbst ist 1988, als sie fünf Jahre alt war, mit ihrer Familie grußlos aus Polen abgehauen, wie sie schreibt, zu einer Zeit, als die Oppositionsbewegung mit der Gewerkschaft Solidarnosc immer stärker wurde. Ihre Eltern zog es aus wirtschaftlichen Gründen nach West-Berlin, und sie setzen alles daran, sich eine gute gesellschaftliche Position zu erarbeiten.
    "'Ich muss euch etwas sagen.' [...] 'Bitte', sagt mein Vater. Meine Mutter sagt nichts. 'Ich will Sängerin werden.' Schnell wie Pflasterabziehen. 'Was?', sagt meine Mutter, sie schreit es fast. Der Mund meines Vaters, der normalerweise so schmal ist wie ein Bleistift, verzieht sich zu einem Bleistiftstrich. Als würde er sich auf die Lippen beißen, als müsste er gleich platzen vor Lachen. Aber mein Vater platzt nicht. Er lächelt nur leicht und sagt einen Satz. 'Das schaffst du nie.'"
    Emilia Smechowski legt eine Erzählung vor, die stark autobiografisch geprägt ist. Darin geht es um ihre Erinnerungen an die Zeit vor und nach dem so genannten Abgang nach Deutschland, die leistungsorientierte Kindheit, die sich bei der Integration zerreibende Familie. Dass sie im Alter von 16 Jahren das Anpassungs-Theater nicht mehr mitspielt und von zu Hause auszieht, macht das Buch zugleich zu einem Entwicklungsroman.
    "Wir sind unsichtbar"
    Gleich im ersten Kapitel führt die Autorin eine zweite Ebene ein: Die Flucht der Smechowskis, die sich in Polen noch Smiechowscy nannten, stellt alles andere als einen Einzelfall dar:
    "Es gibt kein Volk, das zahlreicher nach Deutschland einwandert, als wir Polen es tun. Seit Jahrzehnten schon. Nur: Als Migranten sieht man uns kaum. Jedenfalls diejenigen nicht, die in den achtziger und neunziger Jahren kamen – und das sind mit Abstand die meisten. Wir sind unsichtbar. Wir sind quasi gar nicht mehr da, so gut gliedern wir uns ein. Wie Chamäleons haben wir gelernt, uns in der deutschen Gesellschaft zu verstecken."
    Emilia Smechowski legt Zahlen vor, die im öffentlichen Bewusstsein ausgeblendet scheinen: Danach sind in den 1980er Jahren rund eine Million polnische Einwanderer nach Deutschland gekommen, darunter fast 800.000 Aussiedler. Nach dem Mauerfall habe sich diese Gruppe auf rund zwei Millionen Menschen vergrößert.
    Weder polnische Supermärkte noch Schulen
    Obwohl die Polen infolge der Teilungen im 18. Jahrhundert und der späteren Arbeitsmigration ins Ruhrgebiet schon lange eine große Minderheit in Deutschland bilden, hätten sie nie eigene Communities organisiert, merkt die Autorin kritisch an. Es gebe weder polnische Supermärkte noch Schulen.
    Dass die Polen ihre Identität quasi unsichtbar machen, ist eine starke These. Ob diese Anpassung allerdings typisch ist für die bürgerlichen Schichten auch anderer Migrantengruppen, fragt die Autorin nicht. Sie erklärt das Verhalten mit einer großen Scham.
    "Polen war ein komplett armes Land, es gab Mangel. Und man hatte aber diesen Westen vor Augen als so das leuchtende, glitzernde Paradies. Und das ist ja bis heute so. Wir haben uns einfach geschämt, dass wir beige, grünliche, graue Klamotten trugen. Wir haben uns geschämt, dass wir mit diesem Auto gerade noch so es über die Grenze geschafft haben. Meine Eltern wollten aufsteigen. Und Aufsteiger wollen nicht unbedingt zeigen, woher sie kommen. Sie sehen quasi nach vorne – und nicht unbedingt nach hinten."
    Historisches Tabu
    Dass die Scham auch mit einer in Polen tabuisierten historischen Ursache zu tun hat, entdeckte die Autorin erst nach vielen Recherchen und Nachfragen auch in der eigenen Familie.
    "Wir hatten dieses besondere Ticket. In Polen hat man zu dieser Zeit – das habe ich auch später erst erfahren – immer wieder gefragt: Hast du auch einen deutschen Schäferhund im Keller? Das war quasi ein Codesatz für: Hattest Du auch einen Opa in der Wehrmacht, der dir jetzt die Möglichkeit verschafft, nach Deutschland einzureisen? Und wir hatten das auch. Wir waren komplett polnisch, wir hatten überhaupt keine deutsche Sozialisation, wir konnten die deutsche Sprache nicht. Der Opa meiner Mutter ist auf der deutschen Volksliste gelandet und hat auf der deutschen Seite gekämpft zum Ende des Krieges erst. Und dadurch haben wir sozusagen einen Vertriebenenstatus, einen Aussiedlerstatus bekommen."
    Den deutschen Pass bekam die Familie bereits innerhalb des ersten Jahres. Trotz der Freude darüber blieb der schale Geschmack, im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen als "Premiumflüchtling" bevorzugt behandelt worden zu sein, schreibt Emilia Smechowski. Das habe den Druck auf ihre Eltern erhöht, sich anzupassen und sich zu den "Deutschesten im ganzen Land" zu entwickeln.
    Migration, Integration, Heimat
    "Wir Strebermigranten. Wir hatten uns hochgekämpft. Meine Eltern arbeiteten als Ärzte, wir bauten ein Haus, mit Garten. Wir fuhren erst einen Mazda, dann einen BMW und einen Chrysler, später nur noch Limousinen von Audi. Wir Kindern lernten Latein und Altgriechisch, Klavier und Ballett. Eine Assimilation im Zeitraffer. Wir sind die Wirklichkeit gewordene Phantasie eines rechtskonservativen Politikers, dem zufolge Einwanderer sich der neuen Gesellschaft anpassen müssen, die ihrerseits aber bleibt wie zuvor."
    Der Bruch stellte sich ein, als Emilia Smechowski sich während ihres Musik- und Gesangstudiums in Italien aufhielt. Sie merkte, wie sehr sie die eigene polnische Herkunft verdrängt hatte. Das Versteckspiel war für sie vorbei. Auch ihrer Karriere als Sängerin und dem von den Eltern verinnerlichten Ehrgeiz erteilte sie eine Absage. Stattdessen begann sie, sich als Teil einer zweiten Generation von Polen wahrzunehmen, die in Westdeutschland privilegiert aufgewachsen sind und ihren eigenen Weg zwischen beiden Kulturen finden müssen. Es ist die Geschichte einer Befreiung - und zugleich eine Reflexion über Migration, Integration und Heimat.
    Emilia Smechowski: "Wir Strebermigranten"
    Verlag Hanser Berlin, 224 Seiten, 22 Euro.