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Einwanderungsdiskussion in Deutschland

Liminski: Die Union lehnt den Kompromissvorschlag der Koalition zur Einwanderung ab. Dabei wird es vermutlich bleiben, auch wenn der Vorschlag noch manche Instanz durchläuft bis er im entscheidenden Gremium im Bundesrats landet. Wie immer das Ringen ausgeht, der Trend ist klar: Es soll weniger Zuwanderer geben. Aber Deutschland braucht - so die einhellige Meinung - in der Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, weil der heimische Markt sie nicht mehr hergibt. Nur wird hier nicht die Rechnung ohne den Wirt, das heißt ohne die Zuwanderer gemacht, oder anders gefragt: Kommen überhaupt diejenigen, die wir brauchen? Die Frage geht an Professor Herwig Birg, geschäftsführender Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld, ein auch bei der UNO und anderen Institutionen gefragter Wissenschaftler. Guten Morgen Herr Birg.

    Birg: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Birg, - Wir sind ein Einwanderungsland - wird seit einiger Zeit von allen politisch relevanten Parteien gesagt. Haben wir auch die Einwanderer, die wir brauchen?

    Birg: Wir sind ein Einwanderungsland, was die hohen Zahlen der Einwanderer betrifft, sicherlich schon seit zwei bis drei Jahrzehnten. Wir sind dennoch kein Einwanderungsland, weil wir nämlich nicht genügend auswählen oder fast gar nicht auswählen, und wir können das auch nicht aufgrund unserer Rechtslage, denn man kann ja Asylbewerber oder Flüchtlinge nicht sortieren in solche, die wirtschaftlich erwünscht sind und solche, die nicht erwünscht sind.

    Liminski: Haben wir denn unter den vielen Einwanderern die, die wir brauchen?

    Birg: Na offensichtlicht nicht. Wenn man zurückblickt, stellt man fest, dass wir seit 15 Jahren wesentlich mehr Einwanderer in den Sozialsystemen haben, als wir eigentlich davon auf dem Arbeitsmarkt beschäftigen konnten, d.h. es gibt eine - wie das in der Wissenschaft mittlerweile genannt wird - Umverteilung von den Einheimischen zu den Zugewanderten oder Eingewanderten, die sich auch, jedenfalls in der Größenordnung, beziffern lässt. Insofern kann man sagen, dass die Einwanderer die Aufgaben, deren Lösung wir von ihnen erhofft haben, nämlich den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen, nur teilweise erfüllen. Gleichzeitig haben sie aber auch neue Probleme mitgebracht. Also, kurzfristig ließen sich Arbeitsmarktlücken schnell schließen, - das ist eine verführerische Lösung -, aber wenn man das ständig macht und so seit Jahrzehnten betreibt, muss man auch erkennen, dass man sich Probleme einhandelt. Die bestehen darin, dass jemand, der beschäftigt ist, ja nicht immer beschäftigt ist - er kann auch arbeitslos werden -, und das haben wir zu beklagen, nämlich dass doch die Arbeitslosenquote bei den Eingewanderten um den Faktor zwei bis drei höher ist als bei den Deutschen. Das gleich gilt für die Sozialhilfeempfängerquote. Also, die Einwanderung in die Sozialsysteme - wie das in der Literatur genannt wird - hat in einem so erheblichen Umfang statt gefunden, dass Begrenzung jetzt das Ziel aller Parteien ist. Wahrscheinlich wird dieses Ziel aber mit dem geplanten Gesetz nicht erreicht.

    Liminski: Nun gibt es sicher auch einen Zuwanderungsgewinn, oder lassen sich ganz allgemein die Integrationskosten und auch die Sozialkosten durch die Zuwanderung beziffern?

    Birg: Je mehr Menschen hier beschäftigt sind, desto höher ist das Volkseinkommen dieses Landes. Das ist ganz klar. Aber eine andere Frage ist auch, ob das Pro-Kopf-Einkommen dadurch auch höher ist, denn es ist ja nicht nur die Produktion höher, sondern auch die Zahl der Menschen, auf die die Produktion verteilt wird. Und da lässt sich sagen, dass durch die Einwanderung Deutschland nicht etwa an der Messlatte des Pro-Kopf-Einkommens gewonnen hat, sondern eher Einbußen erlitten hat. Und was die Kosten betrifft, das ist ein schwieriges Thema. Klar erfassbar sind die fiskalischen Auswirkungen, also, man kann bilanzieren, wie viel die Eingewanderten und Zugewanderten in die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung einzahlen und wie viel sie an Steuern in das Fiskalsystem einzahlen und wie viel sie auf der anderen Seite in Form von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe oder auch Renten- und Pflegeleistung etc. herausbekommen. Wenn man das sauber auflistet und ausrechnet, wie das kürzlich durch das ifo-Institut und das Max-Planck-Institut für ausländisches Sozialrecht geschehen ist, stellt man fest, dass pro Kopf und pro Jahr beträchtlich mehr aus- als eingezahlt wird, nämlich ungefähr 4600 DM pro Kopf und pro Jahr für jene, die eine Aufenthaltsdauer von weniger als zehn Jahren haben. Das ist ein Betrag, der erstens sehr hoch ist und zweitens klar belegt, dass es in der Tat eine Umverteilung von Einheimischen zu Zugewanderten gibt, ein Faktum, das noch wenig bekannt ist und auch in der Grundlage für das Zuwanderungsgesetz nicht vorkommt. Die berühmte Süssmuth-Kommission hat dieses Faktum nicht gekannt, was man ihr auch nicht zum Vorwurf machen kann, weil dieser Forschungsbericht erst kurz nach Beendigung der Arbeit der Kommission als Buch erschienen ist. Aber jetzt ist er da und muss zur Kenntnis genommen werden.

    Liminski: Was schlagen Sie denn jetzt vor? Demnächst werden Sie, so war in einer Ankündigung zu sehen, im Haus der Deutschen Wirtschaft in Berlin auf einem Kongress über Demographie und Wohlstand einen Vortrag halten mit dem Thema: "Strategische Option einer Immigrations- und Familienpolitik für Deutschland und Europa". Können Sie uns schon zwei oder drei dieser Optionen in Stichworten verraten?

    Birg: Also, zunächst einmal sollte nun langsam Schluss sein mit der demographischen Ausbeutung anderer Länder. Wir können ja nicht einfach davon ausgehen, dass die Kinder, die in Deutschland nicht mehr geboren werden, schon in anderen Ländern geboren und dort auch erzogen und ausgebildet werden auf Kosten dieser Länder und wenn sie dann fertige und möglichst gut ausgebildete Arbeitskräfte sind nach Deutschland auswandern. Das ist eine naive Vorstellung und ist ungefähr die Praxis, die im Absolutismus und Merkantilismus geherrscht hat. Damit muss eigentlich Schluss sein. Aber auf dieser gedanklichen Basis beruht das Einwanderungs- oder Zuwanderungsgesetz: Die ökonomischen Argumente sind die Hauptargumente dieses Gesetztes. Nun, was sind für Alternativen möglich? Man sollte überlegen, dass auf die Dauer niemand irgendwo einwandern kann, der nicht vorher irgendwo geboren worden ist. Also, auf die Dauer muss jedes Land aus eigener Kraft seine Probleme lösen, das sollte jedenfalls Richtschnur der europäischen Länder sein, die ja hier nicht gegeneinander in Wettbewerb treten sollten, weil überall die Bevölkerung schrumpft, sondern sie sollten gemeinsam versuchen, aus dem Problem heraus zu kommen. Wodurch? Natürlich durch eine möglichst wirksame neue Familienpolitik, die gleichzeitig ja auch Arbeitsmarktpolitik ist, denn wer geboren ist, ist nach 20 Jahren dann auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft. Also, diese Familienpolitik ist in doppelter Weise sinnvoll und das bedeutet, dass man zunächst den unseligen Entscheidungszwang für die Frauen abschaffen muß, nämlich ob sie entweder erwerbstätig sein wollen oder Familie haben und Kinder großziehen wollen, indem man eine bessere Betreuung der Kinder schafft und jenen, die darauf Wert legen, ihre Kinder zu Hause zu erziehen, dann die Unterstützung zu Hause gewährt. Das machen andere Länder viel wirksamer als Deutschland, z.B. Frankreich, mit entsprechend höheren Geburtenraten. Das sollte Ziel sein, und die Optionen, die wir noch haben, lauten klar: entweder wir setzen auf die naheliegenden Lösungen und tun das, was uns andere Länder schon lange vormachen, oder wir werden auf Dauer immer mehr abhängig von Zuwanderungen oder Einwanderungen sein und müssen dann pro Jahr immer höhere Zuwanderungszahlen haben. Das kann nicht Sinn einer vorausschauenden Politik sein, und insofern sollte das Einwanderungsgesetz sich endlich den langfristigen Aspekten widmen, die bisher immer ausgeklammert wurden.

    Liminski: Das war Professor Herwig Birg, geschäftsführender Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld. Besten Dank für das Gespräch Herr Birg.

    Link: Interview als RealAudio