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Einweihung des Max-Planck-Institutes für Empirische Ästhetik
Was gefällt wem warum?

Was ist schön? Was finden wir schön? Wieso finden wir es schön? Was nicht? Warum? Lauter Fragen die das neue Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt klären will, das nun offiziell eingeweiht wurde.

Von Cajo Kutzbach | 15.10.2015
    Dieses Geburtstagsständchen gilt nicht dem neuen Max-Planck-Institut für Empirische Ästhetik in Frankfurt, sondern dient der Forschung. Pauline Larrouy-Maestri hat über 160 Fassungen singen lassen. Laien sollten anschließend den Gesang bewerten, ob die Töne getroffen waren, die Melodie stimmte und dergleichen. Schließlich sitzen Laien in vielen Jurys und beurteilen da auch Schlager, Chansons und Popsongs:
    "Dadurch verstehe ich, was für die Zuhörer eine gute Darbietung ist. Ich habe das mit ungeübten Stimmen und mit denen von Opernsängern gemacht, die sich akustisch doch sehr unterscheiden. So versuche ich, herauszubekommen, ob deren Wahrnehmung der richtigen Tonlage sich mit meiner Wahrnehmung deckt und ob das dieselbe ist, wie die eines Musikkritikers."
    Diese Studie ist ein Puzzlesteinchen, um zu verstehen, wie Ästhetik funktioniert. Dass Musik auf der ganzen Welt auf Menschen wirkt, weiß man, aber warum? Und woher kommen Vorlieben für bestimmte Rhythmen, Tonfolgen oder Klangfarben?
    Das neue Institut in Frankfurts Westend bietet viele Möglichkeiten. Man kann in den Laboren Hirnströme messen, den Atem, den Hautwiderstand und andere Größen, die einem verraten, wie stark die Gefühle sind, die die Musik auslöst. Kameras können Augenbewegungen verfolgen und aufgeklebte Sensoren messen im Gesicht, ob man vielleicht zu Lächeln beginnt, lange bevor das eine Kamera wahrnehmen könnte. Und weil das nüchterne Labor das Musikerleben beeinträchtigen könnte, gibt es einen weltweit einmaligen kleinen Saal für Vorführungen, in dem man aber auch fast alles messen kann. Melanie Wald-Fuhrmann, Direktorin die Abteilung Musik:
    "Für Live-Erlebnisse von Musik ist ja eben a) typisch, dass sie live sind, also eine ganz andere Art der Schallausbreitung und auch der Schallwirkung auf den Körper da vorhanden ist. Und es ist auch typisch, dass es ein soziales Erlebnis, also ein Gemeinschaftserlebnis ist. Und wir alle können wahrscheinlich von Erlebnissen berichten, wo man wirklich das Gefühl hat – obwohl man nicht miteinander kommuniziert, im klassischen Konzert, nur für das trifft das jetzt zu, darf man ja nichts machen und nicht reagieren als Hörer, es richtet sich alles nach Innen - und trotzdem gibt es Situationen, wo man das Gefühl hat: Es geht gerad allen gleich. Wir sind irgendwie mit einander verbunden. Und ich weiß genau, alle Anderen finden das gerade so toll und intensiv wie ich."
    Warum das so ist, das soll in diesem Saal untersucht werden, aber nicht nur bei Musik, sondern auch bei Literatur, der zweiten Säule des neuen Institutes. Die dritte Säule ist die Neurowissenschaft, die Zugang zu dem schaffen soll, was im Menschen dabei vorgeht, was er aber selbst nicht wahrnimmt oder nicht beschreiben kann.
    Die Naturwissenschaft soll der Geisteswissenschaft helfen, zu verstehen, was beim Singen, beim Musikmachen oder beim Anhören von Musik und Literatur eigentlich geschieht. Da gibt es noch viele Rätsel zu lösen, etwa, warum die meisten Jugendlichen Musik in Moll bevorzugen:
    "Weshalb gefällt uns zum Beispiel traurige Musik. Schiller hat es genannt die Lust des Vergnügens an tragischen Gegenständen. Also warum genießen wir in einem ästhetischen Rezeptionskontext Dinge oder emotionale Zustände, die wir im Alltag eigentlich vermeiden. Wir wollen nicht todtraurig sein, wir wollen nicht angeekelt sein – da hat mein Kollege Menninghaus ein schönes Buch darüber geschrieben. Wir wollen eigentlich auch nicht wütend sein. Die Alltagspsychologie zeigt ganz gut, wir streben eigentlich eher so angenehme Empfindungsbereiche an. Aber für den ästhetischen Kontext scheint das nicht zu stimmen. Und die Frage nach dem Warum kann man schon stellen."
    Dabei dürfte das Bevorzugen bestimmter Klänge, Rhythmen oder Stimmungen oder bestimmter Texte und literarischer Stile auch mit der jeweiligen Kultur zusammenhängen. Also wird man auch Kulturen vergleichen. Melanie Wald-Fuhrmann:
    "Die Gretchenfrage bei uns – gerade im Gespräch von Geistes- und Naturwissenschaften - ist nun wirklich: Wie viel bringen wir mit als biologisch verfasste Wesen, die wir nun mal sind. Und wie viel ist denn kulturell gelernt. Und inwiefern ist auch kulturelles Lernen wieder biologisch fundamentiert. Das liegt ja auch auf der Hand. Und das kann ich natürlich nur durch einen Kulturvergleich beantworten."
    Vor der jungen Mannschaft aus den verschiedenen Disziplinen liegt ein gewaltiges Feld von möglichen Fragen und Untersuchungen und man meint, im Haus eine Stimmung von Aufbruch und Neugier zu spüren und Freude an den freundlich-hellen Räumen. Dabei wird man die großen Fragen in viele kleine Fragen zerlegen müssen, um sie beantworten zu können, so wie Pauline Larrouy-Maestri die Laien auf Fähigkeiten zur Musikbeurteilung untersuchte:
    "Alle erwarten, dass Laien als Zuhörer nicht sehr gut in der Beurteilung von Stimmen sind. Und wir fanden nun kürzlich, dass sie tatsächlich sehr gut sind. Sehr gut! Und dass Laien dieselbe Strategie immer wieder anwenden, wenn man sie mehrfach fragt. Und sie haben eine Vorstellung von dem, was richtig ist, die sehr nahe bei der von Profis liegt. Natürlich können sie nicht sagen, warum etwas falsch ist, aber dass es falsch ist, oder eben nicht."
    Gilt das jetzt nur für das vertraute Geburtstagslied, oder kann man den Laien in Jurys auch zutrauen, dass sie ein Lied richtig beurteilen, das sie noch nie vorher gehört haben?
    "Bei verschiedenen Melodien aus derselben Kultur verwendet man musikalische Regeln. Auch, wenn man die Melodie nicht kennt, wird man richtig urteilen, weil man dieselben Regeln benutzt. Kurz: Es ist nicht eine Frage des Vertrautseins, sondern eher eine der allgemeinen Musikkultur.
    Mit der man eben aus dem Alltag, in dem ja vielerorts Musik erklingt, vertraut ist. Es scheint, als ob das häufige Musikhören vor allem in jungen Jahren auch dem Laien eintrichtert, wie etwas zu klingen hat. Wenn aber eine Darbietung von diesen Regeln abweicht, merkt das auch der Laie.