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Eisenbahn 4.0
Der Zug ohne Lokführer

Geht es nach der Deutschen Bahn, dann könnten in Zukunft Züge vollautomatisiert ohne Lokführer durch Deutschland fahren. Das Argument: Bessere Auslastung der Trassen und der vorhandenen Züge, eine Kostenersparnis von bis zu 30 Prozent und höhere Wettbewerbsfähigkeit. Für völlig illusorisch hält das hingegen die Gewerkschaft der Lokführer (GdL).

Von Dieter Nürnberger | 18.08.2016
    Ein ICE erreicht am 05.05.2015 zur morgentlichen blauen Stunde den Hauptbahnhof von Frankfurt/Main
    Speisewagen außer Betrieb, defekte Toiletten, kaputte Klimaanlagen: Die DB glaubt trotzdem fest daran, dass es in Zukunft vollautomatische Züge ohne Lokführer geben wird. (dpa/picture-alliance/Christoph Schmidt)
    Eine Vision ist der fahrerlose Schienenverkehr längst nicht mehr. Bereits seit 2008 fährt beispielsweise eine Linie der Nürnberger U-Bahn computergesteuert und autonom. Die Technik sei weitgehend vorhanden, sagt Christoph Gralla, Leiter des Bereichs Sicherheitstechnik und Infrastruktur bei "Alstom", einer der führenden, weltweiten Anbieter von Verkehrstechnik:
    "Wir sind in erster Linie in den Metros unterwegs. Und wir untersuchen jetzt natürlich die Möglichkeiten, dies woanders noch weiter auszubauen. Also im Güterverkehr, im Nah- und Fernverkehr. Wir werden bis 2025 den Automatisierungsgrad in Deutschland erhöht haben. Wir werden dann punktuell tatsächlich vollautomatisches Fahren haben - ohne Probleme."
    Zukunftsvisionen der Deutschen Bahn
    Die Deutsche Bahn will ebenso vorangehen. Es gibt drei konkrete Projekte: So soll noch in diesem Jahr beispielsweise ein Test-Triebwagen auf einer stillgelegten 30-Kilometer-Strecke im Erzgebirge fahren, ausgestattet mit modernster Kamera- und Sensortechnik. Bei den Projekten geht es etwa um das Erkennen von Hindernissen aus großer Distanz, um das automatische Ankoppeln von Zügen oder auch schon um die digitale Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern.
    Herausforderungen, die mittelfristig lösbar seien, hofft Hartmut Sommer, Sprecher für den Bereich Technik bei der Deutschen Bahn. Seiner Ansicht nach geht es um die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Systems Schiene.
    "Wir versprechen uns vom vollautomatischen Fahren auf der Schiene eine bessere Auslastung der Trassen, insbesondere in den Knotenbahnhöfen. Das schafft mehr Kapazität für den Verkehr. Es geht um eine bessere Auslastung des eingesetzten Materials. Es geht dann natürlich auch um eine Senkung der Produktionskosten."
    30 Prozent Energieersparnis möglich
    Experten rechnen beispielsweise mit rund 30 Prozent weniger Kosten für Energie. Der Zuversicht bei der Deutschen Bahn steht jedoch die Skepsis der Gewerkschaften gegenüber. Klaus Weselsky hat als Chef der Lokführergewerkschaft GDL der Bahn in harten Tarifauseinandersetzungen in der jüngsten Vergangenheit bekanntlich arg zugesetzt. Die Bahn ohne Lokführer? Nicht nur deshalb hat Weselsky Bedenken:
    "Was hören wir in den Zügen? Ausfall von dem und Ausfall von dem. Nichts funktioniert reibungslos, es ist störanfällig etc. Aber man setzt den Leuten einen Floh ins Ohr und erklärt visionär, dass wir vollautomatisch fahren. Obwohl wir heutzutage mit den vorhandenen Bedingungen gar nicht in der Lage sind, zuverlässig und pünktlich die Eisenbahn durch das Land zu bewegen."
    Veränderte Anforderungen an die Beschäftigten
    Fest steht: Der autonome Schienenverkehr wird die Berufsbilder bei der Bahn verändern. Gespräche zwischen Konzern und Gewerkschaften unter dem Titel "Arbeit 4.0" sind in Vorbereitung. Klaus Dieter Hommel, stellvertretender Vorsitzender der EVG, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, fordert eine Anpassung der Löhne an die sich ändernden Aufgaben.
    "Es werden in Zukunft mehr Überwachungs- als Steuerungstätigkeiten zu leisten sein. Sei es nun direkt im Fahrzeug, Stellwerk oder im Leitstand. Die Beschäftigten müssen über eine sehr hohe Qualifikation verfügen.
    34.000 Streckenkilometer gibt es hierzulande, überwiegend Mischverkehr - Fernzüge kreuzen sich mit dem Regionalverkehr. Der automatische Zug hat es also schwerer als die automatische U-Bahn: Die fährt schließlich in geschlossenen Systemen, ohne Störfaktoren. Um dieses Problem zu lösen, will die Deutsche Bahn die autonomen Züge mit dem Europäischen Zugbeeinflussungssystem ECTS verknüpfen. Das System kann per Datenaustausch den Zugverkehr überwachen und steuern. Sprecher Hartmut Sommer:
    "Dann kann man sich zum Beispiel vorstellen, dass auf diesen Korridoren der Verkehr läuft- wo dann ECTS durchgehend in das Leit-und Sicherungssystem integriert ist. Also beispielsweise von Rotterdam nach Neapel. Das wäre dann eine Möglichkeit, wo man solche vollautomatischen Züge einsetzen könnte."
    Einmal quer durch Europa – automatisch und sicher. Der Großteil der Experten geht davon aus, dass das schon bald auch in größeren Maßstäben auf der Schiene möglich sein wird. Schienennetzbetreiber und Industrie stehen in den Startlöchern.