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Eisfabrik der Arktis?

Klima.- Die Laptewsee, ein Randmeer weit im hohen Norden, galt bisher als die Eisfabrik der Arktis. Auf verschiedenen Expeditionen haben Forscher dort Strömungen, Temperaturen und Wind gemessen. In Sankt Petersburg treffen sie sich nun, um die Ergebnisse dieser Untersuchungen zu diskutieren.

Von Tomma Schröder | 25.11.2009
    Auf den ersten Blick scheint die Welt noch in Ordnung: Die Laptewsee, auch als Eisfabrik der Arktis bezeichnet, produziert zuverlässig und befindet sich auch im Moment wahrscheinlich gerade wieder im Hochbetrieb. Denn auf dem Schelfmeer in der sibirischen Arktis bilden sich im Winter sogenannte Polynyen: eisfreie Flächen, auf denen besonders viel Eis produziert wird.

    "Das sind insgesamt an den Massen an Eis, die da produziert werden, schon beträchtliche Größen. Für den gesamten Winter kommt man auf 50 bis 100 Kubikkilometer."

    Das würde ausreichen, um eine deutsche Kleinstadt mit einer ein Meter hohen Eisschicht zu überziehen. Und dieser Jahresertrag, so hat der Umweltwissenschaftler Sascha Willmes anhand von Satellitenbildern und meteorologischen Daten ermittelt, ist in den letzten 30 Jahren nicht kleiner geworden. Denn die Produktion des Eises ist viel mehr von Winden als von Temperaturen abhängig, wie Jens Hölemann vom Alfred-Wegener Institut für Polarforschung erklärt.

    "Wenn das Eis zum Beispiel durch ablandige Winde von der Küste wegbewegt wird, entsteht dort eine Fläche offenen Wassers. Das heißt, wir können Lufttemperaturen von minus 40 Grad haben, das Eis wird von der Küste weggedrückt. Und man hat bei minus 40 Grad plötzlich natürlich eine rapide Eisbildung."

    Dabei ist die Entstehung und die Größe dieser Polynyen wichtiger als die Frage, ob die Lufttemperatur tatsächlich minus 40 oder einige Grad weniger beträgt. Ein wahrscheinlicher Grund dafür, dass die Eisproduktion in den Polynyen bisher durch den Klimawandel gar nicht oder nur relativ wenig beeinträchtigt wurde. Stattdessen ist das Förderband, auf dem das Eis in die zentrale Arktis befördert wird, sogar noch schneller geworden. Das Eis, so erklärt Jens Hölemann, ...

    "... braucht von der Sibirischen Arktis bis vor Grönland jetzt ungefähr zwei Jahre. Das war vor einigen Jahrzehnten noch anders. Da brauchte es drei Jahre."

    Was jeden Fabrikbesitzer freuen würde, ist für die Arktisforscher, die sich in Sankt Petersburg versammelt haben, kein Anlass zum Jubeln. Zwar ist der Grund für die schnelleren Strömungen noch nicht bekannt, viele interpretieren sie aber als Zeichen dafür, dass das ganze System der Arktis und der Laptewsee im Wandel begriffen ist. Im Klimawandel. Der russische Ozeanograf Igor Dmitrenko nennt ein Beispiel:

    "Wir können in der Laptewsee die Erwärmung des Atlantikstroms beobachten. Seine Temperatur ist seit 2002 um beinahe zwei Grad gestiegen."

    Und das warme Wasser aus dem Atlantik hätte die Eisproduktion in der Laptewsee schon längst drosseln können – wäre da nicht eine besondere Isolierung: Da die Laptewsee hohe Süßwassereinträge aus dem Fluss Lena hat, ist der Salzgehalt an der Oberfläche des Schelfmeeres sehr gering. Stark salzhaltiges, also schwereres Wasser, wie das aus dem Atlantik, gelangt gar nicht erst an die Oberfläche. Doch gegen steigende Lufttemperaturen hilft diese Isolierung von unten wenig. Jens Hölemann:

    "Was wir wissen in der Laptewsee ist, dass die Eisbildung später einsetzt im Herbst, und dass das Meer auch wieder früher aufbricht. Das heißt, die Saison, in der Eis dort ist, wird kürzer."

    Und das hat fatale Folgen: Wenn die Herbststürme auftauchen, die es in der Arktis ebenso gibt wie in Europa, ist die Laptewsee nun häufig noch nicht zugefroren. Wellen können sich auf dem eisfreien Wasser aufbauen und an die Ufer schlagen. Ufer, die keinen Küstenschutz kennen. Und Ufer, deren Permafrostböden durch die steigenden Temperaturen ohnehin immer instabiler werden. Leonid Timukhov vom Arktischen und Antarktischen Forschungs-Institut in Sankt Petersburg:

    "Wir wissen alleine von drei Inseln, die innerhalb von 70 Jahren vollkommen verschwunden sind. Und wir beobachten in den letzten Jahren eine sehr schnelle Erosion der Ufer, die aus Permafrostböden bestehen. Bis zu zehn Meter im Jahr gehen verloren."
    In Ordnung ist die Welt in der Laptewsee also ganz und gar nicht. Zwar erscheinen zehn Meter irgendwo in den Weiten Nordsibiriens als verschwindend kleine Größe. Doch diese Erosion der Ufer hat bereits dafür gesorgt, dass ein häufiges Szenario in Klima-Prognosen Wirklichkeit wurde: Ganze Fischer-Dörfer sind aufgrund dieser zehn Meter bereits in der Laptewsee verschwunden.