Müller: Demnach gibt es also den gerechten Krieg?
Huber: Es gibt nicht den gerechten Krieg, sondern es gibt Gründe, die im äußersten Fall den Einsatz von militärischer Gewalt rechtfertigen. Sie sind aber an das Gebot der Verhältnismäßigkeit und insbesondere an die Pflicht zum Schutz von Zivilisten gebunden. Das heißt, wir haben eine völkerrechtliche Entwicklung, die Gewaltanwendung im Krieg strengen Maßstäben unterwirft. Das alles muss man sich gerade in diesen Tagen in Erinnerung rufen.
Müller: Ist das mit dem Christentum vereinbar?
Huber: Das ist eine Grenzsituation, die sich aus dem Problem der Notwehr ergibt. Wenn wirklich auf diese Weise etwas getan wird, was Menschenleben rettet, was Frieden herstellt, was die Gewalt beendet, dann gibt es auch Gründe des christlichen Glaubens und der christlichen Ethik, die dazu führen können, das Christen sich daran beteiligen.
Müller: In wie weit ist das problematisch?
Huber: Es ist problematisch, weil die Würde jedes Menschen unantastbar ist und die Anwendung von Gewalt natürlich eine Attacke auf die Integrität, auf das Leben des anderen Menschen ist. Das darf man überhaupt nicht verharmlosen. Deswegen ist jede kriegerische Handlung auch immer mit Schuldübernahme verbunden.
Müller: Aber in der Praxis bedeutet das doch für die betroffene Bevölkerung, dass letztendlich der Zweck die Mittel heiligt.
Huber: Nein, das bedeutet es gerade nicht. Deswegen ist nicht jedes Mittel im Krieg gerechtfertigt. Man darf eben gerade nicht sagen, dass der Zweck die Mittel heiligt, sondern, dass man daran gebunden bleibt, dass die Mittel der Herrschaft des Rechtes unterworfen sind.
Müller: Es geht ja in dieser Auseinandersetzung auch um die vermeintliche, westliche Überlegenheit, um die Überlegenheit westlicher Kultur gegenüber anderen Kulturen. Hat der Westen das Recht, Werte zu exportieren?
Huber: Der Westen hat nicht ein Recht seine partikularen Werte zu exportieren, sondern für den Westen geht es darum, seinen Beitrag dazu zu leisten, dass universale Werte geachtet und respektiert werden. Die Staatengemeinschaft, die Vereinten Nationen, haben sich auf die universale Geltung der Menschenrechte verständigt seit der allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Alle sind dazu verpflichtet, ihren Beitrag dazu zu leisten, dass diese Menschenrechte geachtet und gefördert werden. Das ist ein kritischer Maßstab, auch gegenüber dem Westen. Was wir im Augenblick erleben, in einer ganz bedrückenden Weise, ist doch, dass wir die Frage stellen müssen, ob der Westen selbst eigentlich gegen diese Werte verstößt, unter der vermeintlichen Vorgabe, diese Werte zu schützen. Das ist doch das tiefe Dilemma, das wir im Augenblick im Irak erleben und das ist im Augenblick eine Infragestellung dessen, wie der Westen selber zu seinen Werten steht.
Müller: Sie stellen das in Frage. Haben Sie eine Antwort?
Huber: Wir haben Grund, im Augenblick diese Situation als eine Nötigung zur Selbstkritik anzusehen. Wenn wir das nicht mit großem Nachdruck machen und wenn wir nicht merken, dass da nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern die westliche Wertegemeinschaft insgesamt angefragt ist, dann verlieren wir unter Umständen alle Glaubwürdigkeit darin, anderen gegenüber für diese Werte einzutreten
Müller: Diese Entwicklungen im Irak, sprich: die Folterungen durch amerikanische Soldaten führt auch zu einer Mithaftung der westlichen Gemeinschaft, so wie das der SPD-Politiker Gernot Erler gestern ausgeführt hat?
Huber: Mich hat das überzeugt, was Gernot Erler gestern gesagt hat. Ich habe es ja auch gerade schon angedeutet: Wir stehen mit den Vereinigten Staaten von Amerika in einer Wertegemeinschaft, wir haben das immer wieder beschworen und besprochen. Die universale und umfassende Geltung der Menschenrechte ist dafür das A und O. Es kann für mich kein Zweifel daran geben, dass die Folterungen, die da vorgekommen sind, mit der Achtung der Menschenrechte schlechterdings unvereinbar sind.
Müller: Jetzt einmal losgelöst von der jüngsten Entwicklung im Irak - Ist der Westen dem Osten überlegen?
Huber: Der Westen hat höhere Verpflichtungen. Das ist das erste, was ich sage. Der Westen ist der Raum, innerhalb dessen der Gedanke der Menschenrechte sich entwickelt hat. Dieser Gedanke hat seine Wurzeln in der jüdisch-christlichen Tradition und das verpflichtet uns in ganz hohem Maß. Überlegenheit würde ich das nicht nennen, sondern größere Verantwortung, weitergehende Verpflichtungen.
Müller: Kennen Sie andere Systeme, beziehungsweise andere Religionen, Kulturen und auch politische Verfassungen, die nach dem Wertekanon, den Sie eben definiert haben - Sie reden ja in erster Linie über das Völkerrecht - dem Westen gleich kommen können, sprich gegebenenfalls sogar besser sind?
Huber: Es ist kein Zufall, dass der Gedanke von Demokratie und Menschenrechten sich innerhalb der westlichen Staaten entwickelt hat, dort eine längere Tradition hat. Aber wir sind schon längst in einer Situation, in der das auch in anderen Teilen der Welt Wurzeln fasst. Japan ist ja nun wirklich kein westlicher Staat von der Herkunft her. Unsere Hoffnung muss es sein, dass dieser Gedanke von Demokratie und Menschenrechten sich verstärkt, auch in anderen Ländern verwurzelt, auch in Verbindung mit anderen Kulturen, ganz gewiss mit anderen Religionen, dem Buddhismus, dem Konfuzianismus, woran man denken mag hoffentlich auch in verstärktem Maß mit dem Islam. Das ist ganz gewiss das allergrößte Problem, das wir gegenwärtig haben.
Müller: Ist der Islam kompatibel mit der Demokratie?
Huber: Man muss auch den Islam pluraler sehen, als wir das normalerweise tun. Der Islam hat eine alte Tradition, die sich mit Aufklärungsgedanken verbunden hat. Heute leider haben wir eine Situation, dass im Islam vor allem islamistische Positionen sehr stark im Vormarsch sind, Positionen, die auch die aufgeklärte Säkularität des Staates nicht akzeptieren. Diese Positionen werden sich mit Demokratie nicht verbinden lassen.
Müller: Ist die derzeitig Entwicklung, der Krieg gegen den Terrorismus, der Krieg gegen den Irak, ist das ein Krieg der Religionen?
Huber: Nein, das ist kein Krieg der Religionen, aber in diesem Krieg wird Religion in einer teilweise fürchterlichen Weise funktionalisiert und eingesetzt. Es kommt zu den unerträglichen Inanspruchnahmen des Islam für Terrorismus und für Selbstmordattentate. Und es gibt zu dem die genauso schwer zu akzeptierenden Instrumentalisierungen des christlichen Glaubens für die Vorstellung von einem heiligen Krieg.