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El Motassadeq hat Aufenthaltsrecht verwirkt

Müller: Herr Bosbach, ist dieser ganze Prozess ein reines Ärgernis?

    Bosbach: Ja und Nein. Das könnte natürlich zu einem ernsten Ärgernis werden, wenn der Angeklagte Motassadeq tatsächlich Beihilfe zum über dreitausendfachen Mord, also die Attentate in New York, Pittsburgh und Washington, geleistet hätte, aber mangels Beweise freigesprochen werden müsste. Es handelt sich hier um ein Indizienprozess. Ein Geständnis gibt es ja bis zur Stunde nicht, und es ist auch nicht zu erwarten, dass er die Tat gesteht. Es gibt sehr starke belastende Indizien, aber die Verteidigung legt aus ihrer Sicht verständlicherweise Wert darauf, dass auch die entlastenden Indizien in diesen Prozess eingeführt werden, und da ist die Haltung der Vereinigten Staaten natürlich sehr bedauerlich, denn in den Anmoderation ist ja richtigerweise darauf hingewiesen worden, dass man hier auf die Unterstützung der USA, insbesondere was die Aussage und das Verhalten Binalshibs angeht, angewiesen ist.

    Müller: Wir wollen dem Urteil doch nicht vorgreifen, aber sieht im Moment danach aus, dass er freigesprochen wird?

    Bosbach: Da bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass ich hier nicht spekulieren möchte zu Beginn des Prozesses. Aber ich bitte eines zu bedenken: Selbst dann, wenn Motassadeq freigesprochen werden sollte, weil das Gericht nicht restlos von seiner Schuld, Beihilfe zum dreitausendsechsundsechzigfachen Mord, überzeugt ist, würde dies überhaupt nichts daran ändern, dass Motassadeq und Mzoudi brandgefährliche Islamisten sind. Wir dürfen nicht vergessen, dass Motassadeq beispielsweise völlig unbestreitbar an einer Terrorausbildung in Afghanistan teilgenommen und eng mit den Attentätern vom 11. September, also bei denen, die selber in den Flugzeugen zu Tode gekommen sind, kooperiert hat.

    Müller: Was würde das denn in der politischen Praxis dann bedeuten im Falle eines Freispruchs? Was passiert dann mit Motassadeq?

    Bosbach: Also meines Erachtens - und das ist auch richtigerweise die Auffassung der zuständigen Hamburger Behörden, das gilt sowohl für Mzoudi als auch für Motassadeq - handelt es sich hier, wie gesagt, um brandgefährliche Islamisten, die ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland verwirkt haben, völlig unabhängig davon, wie dieser Prozess nun ausgeht. Denkbar wäre ja auch eine Verurteilung "nur" wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Aber noch einmal, wir befinden uns am Beginn eines langen Prozesses, und da bleibt das Ergebnis der Beweisaufnahme abzuwarten. Es ist ja keineswegs ausgeschlossen, dass das Gericht zu der Überzeugung kommt, dass die belastenden Indizien ausreichend sind für eine Verurteilung. Vorwurf: Beihilfe zum über dreitausendfachen Mord. Aber völlig unabhängig davon muss das Interesse der Sicherheit des Landes Vorrang haben vor dem Aufenthaltsinteresse des Betroffenen, und wir können die Anwesenheit in Deutschland nicht mehr hinnehmen.

    Müller: Dann blicken wir doch auf die politische Ebene. Was hat die Amerikaner geritten, nicht wirklich weiterzuhelfen?

    Bosbach: Das ist eine gute Frage, insbesondere deshalb, weil ja völlig unbestreitbar insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika im Visier des internationalen Terrorismus stehen. Es handelt sich hier um weltweit vernetzte Gruppen, die sich auch modernster Kommunikationstechniken, zum Beispiel Verschlüsselungstechniken bedienen. Wenn die Amerikaner aus guten Gründen darauf Wert legen, dass sie bei ihrem Kampf gegen den internationalen Terrorismus weltweit unterstützt werden, auch mit Informationen, dann kann das nur ein Geschäft auf Gegenseitigkeit sein. Das heißt, dann müssen die Amerikaner auch bereit sein, ihr Wissen preiszugeben, und der Fall Motassadeq, Mzoudi und Binalshib ist ein Lehrbeispiel dafür, wie es eigentlich nicht gehen darf, denn die Vereinigten Staaten erwarten eine Verurteilung der Angeklagten und haben sich ja auch über die Aufhebung des Schuldspruchs durch den BGH enttäuscht gezeigt, sind aber nicht bereit, uns die Informationen zu geben und vor allen Dingen den Zeugen Binalshib zur Verfügung zu stellen, dessen Aussagen wir dringend bräuchten zur Beurteilung der Frage, ist der Angeklagte schuldig oder nicht, hat er Beihilfe geleistet oder nicht?

    Müller: Ich meine, Sie wissen natürlich nicht ganz genau, was in den amerikanischen Behörden vorgeht - das kann man von Ihnen auch nicht verlangen. Ich muss dennoch noch mal auf die Frage zurückkommen, ist denn diese Begründung, nationale Sicherheitsgründe - das ist ja nun die offizielle Verlautbarung aus Washington, warum eben keine eindeutigen Beweise beziehungsweise keine Zeugenaussagen oder auch ein Zeugenverhör nicht geliefert, nicht gestattet werden -, aus der politischen Sicht in Teilen jedenfalls dann nach vollziehbar? Die meisten brüten über diese Begründung und sagen, was soll das heißen, nationale Sicherheitsgründe?

    Bosbach: Da brüte ich mit, denn "nationale Sicherheitsgründe", das ist zunächst einmal nur eine Behauptung und keine Begründung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es den Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrem legitimen Sicherheitsbedürfnis tatsächlich dient, wenn jemand mangels Beweise freigesprochen wird, der aber tatsächlich Beihilfe zu den Anschlägen vom 11. September geleistet hat.

    Müller: Oder wissen die Amerikaner, dass es keine Beweise gibt?

    Bosbach: Ja, da müsste ich etwas wissen, was wir zwei nun wirklich nicht wissen können. Ich kann nur sagen, dass sich die deutschen Behörden redlich darum bemüht haben, von den Vereinigten Staaten von Amerika die Informationen und Unterlagen zu benötigen, die wir brauchen, damit sie in diesen Prozess eingeführt werden können. Das Beste wäre natürlich, wenn der Binalshib unmittelbar vernommen werden könnte. Danach sieht es nun nicht aus. Denkbar wäre auch eine Videokonferenz. Dagegen sperrt sich wohl die Verteidigung von El Motassadeq. Wir wissen ja auch nicht, unter welchen Umständen die Vernehmungsprotokolle zu Stande gekommen sind. Deswegen ist es fraglich, ob sie denn als Beweismittel in den Prozess eingeführt werden können. Für mich ist das Verhalten der USA nicht schlüssig und auch nicht überzeugend.

    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ohne jetzt polemisch zu werden, könne man sagen, die Amerikaner sind gerade in diesem Fall, aber auch in anderen Fällen, wenn es um die kleineren Dinge in diesem Zusammenhang geht, keine guten Partner in der Zusammenarbeit beim Antiterrorkampf?

    Bosbach: Jedenfalls könnte ich mir eine bessere Partnerschaft vorstellen, und es ist ja auch nicht alleine der bayrische Innenminister Günter Beckstein, der sich darüber beklagt, also auf der einen Seite stellen die deutschen Sicherheitsbehörden den US-Behörden all das an Informationen, Daten und Fakten zur Verfügung, was sie haben, aber dass der Informationsfluss in umgekehrter Richtung nicht so reibungslos ist wie er sein sollte und insbesondere angesichts der besorgniserregenden Bedrohungslage auch sein müsste.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.