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El Salvadors Präsident Bukele
Vom Hoffnungsträger zum Autokraten?

Mit dem Versprechen, die grassierende Gewalt im Land zu bekämpfen, wurde Nayib Bukele vor einem Jahr zum salvadorianischen Präsidenten gewählt. Die Mordrate hat sich seitdem halbiert. Kritiker werfen dem Politiker vor, dabei antidemokratisch vorzugehen und El Salvador zu einem autoritären Staat umzubauen.

Von Martin Reischke | 06.06.2020
Nayib Bukele hält eine Ansprache in einem representativen Raum.
Hohe Beliebtheitswerte, trotzdem umstritten: Nayib Bukele, der Präsident El Salvadors. (imago/ZUMA Press/Camilo Freedman)
Vor fast genau einem Jahr war Nayib Bukele politisch am Ziel angekommen. Am 1. Juni 2019 wurde er mit nur 37 Jahren als Präsident von El Salvador vereidigt – und schwor seine Anhängerinnen und Anhänger auf eine Zeit des Aufbruchs ein, wie das staatliche bolivianische Fernsehen berichtete, das die Zeremonie live übertrug.
Weil Bukeles eigene Partei noch nicht zugelassen war, trat er als Kandidat der kleinen, konservativen Kraft Gana an. Bereits im ersten Wahlgang war Bukele mit großer Mehrheit zum neuen Präsidenten des Landes gewählt worden – und hatte damit das Zweiparteiensystem El Salvadors kräftig durcheinandergewirbelt. Seit dem Ende des Bürgerkriegs 1992 hatten sich stets die linke FMLN und die rechte ARENA-Partei an der Regierung abgewechselt. Doch die großen Probleme des Landes wie Korruption, Armut und die grassierende Gewalt hatten sie nicht in den Griff bekommen.
Nun versprach Bukele einen kompletten Neuanfang. Als Bürgermeister der Hauptstadt war es ihm gelungen, das gefährliche Zentrum San Salvadors zu befrieden. Neue Ideen hatte er auch für den Umgang mit kriminellen Jugendbanden, die viele Städte im Land terrorisieren. Nicht mit Polizei und Militär wollte Bukele gegen sie vorgehen, sondern mit Präventionsmaßnahmen.
Auf diesem vom Bürgermeisteramt von Manaus zur Verfügung gestellten Bild wird eine Patientin in ein neues Feldlazarett für Covid-19-Patienten eingeliefert.
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Strenge Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung
Doch davon ist wenig übriggeblieben. In der Corona-Krise gibt er den strengen Staatschef, der mit harter Hand durchregiert. Schnell ließ er die Grenzen schließen, verkündete eine rigide Ausgangssperre, die mehrmals verlängert wurde und versprach finanzielle Soforthilfen für bedürftige Familien. Für sein Krisenmanagement wurde er anfangs von vielen Seiten gelobt. Doch die Umsetzung vieler Maßnahmen verlaufe chaotisch, denn der Präsident höre nur auf sich selbst, meint der Journalist Sergio Arauz vom Online-Medium El Faro.
"Die Pandemie ist eigentlich eine Gesundheitskrise, aber in El Salvador hat sie zu einer Krise der politischen Institutionen, der Demokratie und der Menschenrechte geführt."
Denn schon zu Beginn der Corona-Krise hatte der Präsident Polizei und Armee angewiesen, alle Menschen, die die Ausgangssperre verletzen, in Auffanglager zu bringen. Im April hat das Verfassungsgericht solch willkürliche Verhaftungen, Tausende sollen es laut Amnesty International sein, für verfassungswidrig erklärt. Aber der Präsident hat die Lager bisher nicht geschlossen.
Sergio Arauz, Redakteur des Online-Mediums El Faro
"Der Präsident hat keine demokratische Grundhaltung", meint Sergio Arauz, Redakteur des Online-Mediums El Faro (Deutschlandradio / Martin Reischke)
Bereits Anfang Februar hatte er das Militär genutzt, um seinen politischen Interessen Nachdruck zu verleihen. Um die Abgeordneten zur schnellen Absegnung eines Kredites zur Finanzierung der Sicherheitskräfte zu bewegen, marschierte er mit uniformierten Soldaten ins Parlament. Dieses Vorgehen erinnerte viele an die Zeiten des Bürgerkrieges, als eine Militärregierung das Land beherrschte.
Weiterhin hohe Beliebtheitswerte
Journalist Sergio Arauz verfolgt die Entwicklung mit großem Unbehagen.
"Es gibt mehr als genug Gründe, die uns zeigen, dass der Präsident keine demokratische Grundhaltung hat und die Demokratie schwächt. Und es gibt keine glaubwürdige Opposition, es gibt keine starken Institutionen. Die ganze Macht und die ganze Popularität sind in einer einzigen Person vereint, und das finde ich sehr besorgniserregend."
Trotzdem hat Bukele hohe Beliebtheitswerte. Das könnte auch daran liegen, dass er beim wichtigen Thema der Gewaltbekämpfung Erfolge vorweisen kann: Die hohe Mordrate im Land hat sich seit seinem Amtsantritt mehr als halbiert. Laut Regierung ist das der konsequenten Anwendung ihres Sicherheitskonzeptes geschuldet, dessen Details für viele Beobachter allerdings nebulös bleiben.
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Erschießung von vermeintlichen Gangmitgliedern erlaubt
Das liege auch daran, dass es keine regelmäßigen Fortschrittsberichte zu einzelnen Maßnahmen gebe, kritisiert Jessica Estrada vom salvadorianischen Think Tank Stiftung für Entwicklung. Offensichtlich ist, dass Bukele das Land in seiner kurzen Amtszeit mit mehr Polizei- und Armeekräften in den Straßen weiter militarisiert hat, auch die Erschießung von vermeintlichen Gangmitgliedern ist den staatlichen Sicherheitskräften explizit erlaubt. Aber diese Maßnahmen könnten kaum den drastischen Rückgang der Mordrate erklären, meint Estrada.
"Das hat schon bei den vergangenen Regierungen nicht funktioniert, und deshalb glauben wir auch nicht, dass das genügt, um die Mordrate mehr als zu halbieren. Es steckt irgendetwas anderes dahinter, aber was genau das ist, werden wir wahrscheinlich für sehr lange Zeit nicht erfahren."
Wie viele andere Beobachter vermutet Estrada, dass die Regierung geheime Absprachen mit den Gangs getroffen habe – und die Mordrate wieder stark ansteigen könnte, sobald diese aufgekündigt würden. Solch eine Situation hatte El Salvador bereits 2013 unter einer früheren Regierung erlebt.
Bukeles Erfolge bei der Kriminalitätsbekämpfung – eines seiner zentralen Wahlversprechen – stehen daher laut Experten wie Jessica Estrada noch auf tönernen Füßen.