
Die elektronische Patientenakte (ePA) soll das deutsche Gesundheitssystem digitaler und effizienter machen. Seit dem 15. Januar 2025 haben rund 70 Millionen gesetzlich Versicherte automatisch eine ePA von ihrer Krankenkasse erhalten – es sei denn, sie haben aktiv widersprochen. Nach einem Testlauf an 250 Standorten in Hamburg, Franken und Teilen Nordrhein-Westfalens wird die ePA ab dem 29. April bundesweit verfügbar sein. Laut dem scheidenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verlief die technische Umsetzung in den meisten Praxen erfolgreich, in etwa 2000 Praxen muss nachgerüstet werden.
Ab Oktober wird die ePA dann in allen Praxen und Kliniken verpflichtend eingesetzt. Datenschützer und Verbraucherschützer warnen weiterhin vor Risiken.
Was ist die elektronische Patientenakte?
Die elektronische Patientenakte (ePA) ist ein persönlicher Datenspeicher, der Patientinnen und Patienten ein Leben lang bei Arztbesuchen begleitet. Anders als bisher, wo jede Praxis eigene Akten – oft noch in Papierform – führte, bündelt die ePA Befunde, Blutbilder, Diagnosen, Behandlungsdaten und verschriebene Medikamente zentral an einem digitalen Ort.
Bislang musste der Austausch der Daten zwischen Haus- und Facharztpraxen mühsam organisiert werden. Ein zentrales Dokument, das alle Gesundheitsdaten zusammenführt, gab es nicht. Genau das soll die ePA nun leisten: Ärztinnen und Ärzte können, nach Zustimmung der Patientinnen und Patienten, relevante Informationen einsehen, um Behandlungen besser aufeinander abzustimmen. Unnötige Mehrfachuntersuchungen oder unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen sollen dadurch vermieden werden, so das Bundesgesundheitsministerium.
Patientinnen und Patienten greifen über eine App, die von ihrer Krankenkasse bereitgestellt wird, auf die ePA zu. Ärztinnen, Ärzte und Apotheken können bestimmte Dokumente einstellen, erhalten jedoch laut Ministerium „nicht automatisch Zugriff“. Die Versicherten müssen die Freigabe der Daten selbst steuern.
Die ePA ist als patientengeführte Akte gedacht. Das bedeutet nach Einschätzung der Verbraucherschützerin Sabine Wolter allerdings auch mehr Aufwand: Gerade wenn ich die Daten selber verwalten möchte über die ePA-App oder ich bestimmen möchte, wer was sieht in der Akte, insbesondere ob ich jetzt bestimmten Ärzten eine Berechtigung gebe, muss ich mich selber darum kümmern.“ Wer will, kann die Akte aber auch passiv nutzen.
Wer bekommt eine elektronische Patientenakte?
Seit dem 15. Januar 2025 erhalten alle gesetzlich Versicherten automatisch ein E-Akte. Es sei denn, man hat aktiv widersprochen.
Die Patientinnen und Patienten sollten sich sorgfältig und im Detail darüber informieren, welche Daten sie zur Einsicht freigeben wollen, sagte Jürgen Windeler, ehemaliger Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Dies sei unter Umständen eine große Herausforderung.
In der privaten Krankenversicherung (PKV) ist die Einführung der ePA freiwillig, wie der PKV-Verband mitteilte. Erste private Krankenversicherer bieten ihren Versicherten die ePA laut Verband schon an. Bis Ende 2025 solle dann die große Mehrheit der Privatversicherten die ePA nutzen können. Auf der Smartphone-App ihres jeweiligen Versicherers könnten sie einstellen, welche Einrichtungen auf welche Daten zugreifen dürfen.
Kann man die elektronische Patientenakte ablehnen?
Ja. Es gibt keine Pflicht, die ePA zu nutzen. Wer die elektronische Patientenakte nicht möchte, muss allerdings selbst aktiv werden und dies seiner Krankenkasse mitteilen. Diese Notwendigkeit des aktiven Widerspruchs wird als Opt-out-Verfahren bezeichnet. Alternativ können bestimmte Befunde und Laborwerte auch geschwärzt werden. Die ePA kann man außerdem jederzeit löschen lassen, betonen die Krankenkassen.
Wer befürwortet die elektronische Patientenakte und mit welchen Argumenten?
Schnellere und gezieltere Behandlungen
Einige Fachleute verbinden mit einer großen Verbreitung der ePA vor allem die Hoffnung, dass individuelle Informationen über Patienten schneller abgerufen werden können als bisher. Das könnte im Ernstfall sogar Leben retten, heißt es. Beispielsweise dann, wenn ein Notarzt sofort weiß, dass sich ein Medikament, das er einsetzen will, nicht mit den Tabletten verträgt, die der Patient regelmäßig einnimmt.
Auch generell könnte eine mit relevanten Informationen befüllte E-Akte einen zeitlichen Vorteil beim Beginn der (richtigen) Behandlung bedeuten – verglichen mit der bisherigen Praxis, bei der all diese Daten einzeln von unterschiedlichen Ärzten abgefragt werden müssen.
Die Pläne, eine elektronische Patientenakte einzuführen, bekamen vor allem durch den Lipobay-Skandal kurz nach der Jahrtausendwende Schwung. Bei Patienten, die sowohl den von Bayer entwickelten Blutfettsenker Lipobay einnahmen als auch bestimmte andere Medikamente, traten in Tausenden Fällen schwere Wechselwirkungen auf.
Unnötige Behandlungen vermeiden
Das Bundesgesundheitsministerium wirbt für die elektronische Patientenakte noch mit einem weiteren Argument: „Statt einer Lose-Blatt-Sammlung zu Hause oder einzelnen Befunden in den Praxissystemen verschiedener Praxen haben Ärztinnen und Ärzte sowie Patientinnen und Patienten alle relevanten Dokumente auf einen Blick sicher verfügbar. So können beispielsweise belastende Mehrfachuntersuchungen vermieden werden.“
Einen großen Mehrwert durch die geplante Digitalisierung sieht die Gesundheitsexpertin Martina Stamm-Fibich (SPD). Gerade im Bereich der Notfallversorgung sei es wichtig, dass die Patientendaten "jederzeit und überall verfügbar" seien, so die Bundestagsabgeordnete. Informationen zu Vorerkrankungen und Medikamentenunverträglichkeiten seien mit der Akte schneller verfügbar.
Wenig effiziente Behandlungen identifizieren
Der Gesundheitsökonom Boris Augurzky vom RWI-Leibniz-Institut in Essen erhofft sich durch eine stark verbreitete ePA zudem eine bessere Vergleichbarkeit im Gesundheitswesen: „Dann haben Sie auch Transparenz über das Versorgungsgeschehen und können mal schauen, welche Versorgungsmaßnahmen was bringen", betont er. Bisher habe das deutsche Gesundheitswesen nicht den Hang zum Qualitätswettbewerb.
Welche Kritik gibt es an der elektronischen Patientenakte?
Datenschützer kritisieren die ePA. In der Akte können persönlichste Informationen gespeichert werden, wie etwa Angaben über psychische Erkrankungen. Erst Ende 2024 deckten die Fachleute des Chaos Computer Clubs (CCC) eine Sicherheitslücke auf. Martin Tschirsich vom CCC sagte, es habe eine Woche gedauert, um Zugangsschlüssel für alle 70 Millionen Akten zu generieren: „Es war erschreckend einfach.“
Die Sicherheitsbedenken seien inzwischen ausgeräumt, sagte der scheidende Gesundheitsminister Lauterbach. Die Schwachstelle hätte es Angreifern ermöglichen können, auf sämtliche elektronische Patientenakten zuzugreifen.
So ein Massenangriff sei nun „technisch nicht mehr möglich“, versicherte Lauterbach. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) habe dies bestätigt. Somit sollen tatsächlich nur Praxen, Kliniken und Apotheken Zugriff auf die sensiblen Daten bekommen, und zwar nur dann, wenn die Versicherten ihre Krankenkassenkarte in deren Lesegerät stecken.
Sicherheitslücken und Informationsdefizite
Vertreter des CCC äußern weiterhin Zweifel an der Sicherheit der ePA. Gegenüber Netzpolitik.org erklärten sie, es handele sich bei den erfolgten Nachbesserungen lediglich um den Versuch einer Schadensbegrenzung bei einem der vielen vom CCC demonstrierten Angriffe.
Thomas Moormann vom Verbraucherzentrale Bundesverband bemängelt, dass jede der 95 Krankenkassen eigene ePA-Apps entwickelt hat, ein hoher Ressourcenaufwand. Außerdem seien Versicherte einseitig informiert worden: Vorteile der ePA wurden hervorgehoben, Risiken kaum erwähnt.
Unklar bleibt, wie Gesundheitsdaten künftig für die Forschung genutzt werden. Zwar sollen die Daten anonymisiert und gemeinwohlorientiert weitergegeben werden, doch Verbraucherschützer fordern eine genauere Definition von „gemeinwohlorientiert“.
Moormann rät daher Versicherten, ihre ePA aktiv zu verwalten. Über die App können Dokumente hochgeladen, gelöscht oder für einzelne Praxen freigegeben werden.
Ohne aktives Eingreifen erhalten Praxen nach Einlesen der Gesundheitskarte 90 Tage Zugriff auf alle Daten. „Ich würde empfehlen, dass man sich damit auseinandersetzt." Das spiele bei chronischen Erkrankungen eine besondere Rolle, besonders wichtig sei dies, "wenn besonders sensible Krankheitsinformationen damit verbunden sind“, so Moormann. Die Bedienung der App, also wie Versicherte ihre ePA managen können, muss aus Sicht des Verbraucherzentrale Bundesverbands allerdings viel einfacher werden.
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