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Elend in Zentralafrika
Kaum Hoffnung im Krisenstaat

Die Zentralafrikanische Republik gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Bürgerkrieg und Gewaltexzesse zwischen christlichen Milizen und muslimischen Rebellen erschweren immer wieder die Arbeit der Hilfsorganisationen. Darunter leiden besonders die Kinder. Viele von ihnen müssen für einen Hungerlohn als Kindersoldaten arbeiten.

Von André Bochow | 30.04.2016
    Das Flüchtlingslager liegt direkt neben der Landebahn des Airports von Bangui. Es heißt M’Mpoko – wie der Flugplatz. Hier versuchen einige Tausend Menschen zu überleben. Es ist eines der erbärmlichsten Camps der Welt. Rebecca Saba, genannt "Mama Rebecca", lebt dort in einer Behausung, die nur entfernt an ein Zelt erinnert.
    Zwei ihrer Kinder sind an Malaria gestorben. Auch ihr Mann wurde krank und starb vor zwei Jahren. Aber Mama Rebecca ist glücklich, denn die 65-jährige Frau lernt jetzt Lesen und Schreiben.
    Flucht vor muslimischen Rebellen
    Finanziert wird der Alphabetisierungskurs für Frauen von der Deutschen Welthungerhilfe, die diese Recherche möglich gemacht hat. Mama Rebecca ist unsagbar stolz auf ihre neuen Fähigkeiten. Aber schnell mischen sich die Gedanken an die Vergangenheit in ihre Erzählung. Vor drei Jahren flüchtete die Christin vor muslimischen Rebellen.
    "Als wir nach den Kämpfen zurückkamen, war unser Haus zerstört. Es ist bis heute nicht wieder aufgebaut."
    Das Schlimmste aber war, dass ihr Sohn zu den Anti-Balaka ging, zu jenen christlichen Milizen, die sich an den Muslimen oft grausam rächten. Jerome, damals 38 und Vater von fünf Kindern fiel den muslimischen Séléka in die Hände.
    "Es war ein Schuss ins Genick. Die Kugel trat aus dem Mund wieder heraus. Es war eine Hinrichtung. Nur einer aus der Gruppe, es waren fünf, hat überlebt. Einem haben sie mit der Machete den Kopf abgeschlagen."
    Die Hälfte der Bevölkerung hat nicht genug zu essen
    Die Kinder ihres Sohnes muss Rebecca Saba nun auch noch durchbringen. Auf Rache sinnt sie nicht. Im Bürgerkrieg und bei den anschließenden Gewaltausbrüchen in der Zentralafrikanischen Republik haben mindestens Zehntausend Menschen ihr Leben verloren. Wahrscheinlich waren es viel mehr.
    "Ich würde den Séléka-Leuten verzeihen, wenn einer von ihren Anführern käme, um sich zu entschuldigen. Aber letztlich entscheidet Gott über Versöhnung. Wir müssen irgendwann alle vor unseren Schöpfer treten. Und der entscheidet dann, wer ein gutes Leben geführt hat und wer nicht."
    Doch wie soll man ein gutes Leben führen, in einem Land, in dem Menschen verhungern? Die Hälfte der Bevölkerung hat nicht genug zu essen.
    Ein Drittel der Zentralafrikanischen Republik soll immer noch von muslimischen Rebellen beherrscht werden. Auch Boko Haram agiert in bestimmten Gebieten. In Bangui und einigen anderen Orten haben die Muslime hingegen Angst. Sie können ihre Viertel kaum verlassen. Noch bis vor wenigen Monaten wurden immer wieder Menschen auf offener Straße gelyncht. Schon deshalb erzählt der 17-jährige Daouda kaum jemandem, dass er Kindersoldat bei der muslimischen Séléka-Miliz war.
    "Die Anti-Balaka haben meinen Vater, meine Brüder und meine Tanten umgebracht. Meine Mutter konnte mit meinem kleinen Bruder fliehen und ist später im Tschad gestorben. Ich glaube, sie hat den Schmerz nicht ertragen."
    Daouda sagt, er wollte die Familie und überhaupt die Muslime schützen. Und ja, er hat Menschen getötet. Wie viele, das weiß er nicht.
    "Würde meine Mutter noch leben, wäre sie sicher nicht stolz darauf, dass ich bei der Séléka war. Aber ich konnte nicht anders."
    800 Euro für drei Jahre Einsatz als Kindersoldat
    Als er 17 Jahre alt wurde, war das vorbei. Er gab seine Kalaschnikow ab und bekam von seinem Kommandeur umgerechnet 800 Euro. In der Zentralafrikanischen Republik ist das viel Geld, aber doch wenig Sold, für ein Kind, das drei Jahre lang gekämpft hat. Kraftfahrer will Daouda nun werden. Er sagt, dass er bereut, was er getan hat. Wie es wirklich weitergeht, weiß er nicht. Von dem Geld wird bald nichts mehr da sein.
    Immerhin ist es seit einigen Monaten zumindest in der Hauptstadt einigermaßen ruhig. Tatsächlich, so erzählt der österreichische Diplomat Peter Weinstabel, habe der Papstbesuch Ende November dazu beigetragen:
    "Der Papst ist hier sehr gut angekommen. Bei allen Gruppen. Sogar auch bei den bewaffneten."
    Das bestätigt fast jeder in Bangui und auch anderswo im Land. Und fast jeder sagt auch, dass Muslime und Christen vor den Unruhen, ausgesprochen friedlich zusammen gelebt haben. Noch allerdings sind die Spannungen an bestimmten Punkten auch in Bangui spürbar:
    "Ich glaube, dass es unter der Bevölkerung nicht so große Ressentiments gibt. Also, das wird eigentlich nur geschürt. Von diesen noch bewaffneten Gruppen. Die ja davon leben, wenn es Unruhe gibt."
    In dem Viertel, in dem es die schlimmsten Auseinandersetzungen gab steht die Moschee, die Franziskus besucht hat. Und eine große Schule, in der Muslime zusammen mit Christen unterrichtet werden. Kinder und Eltern sind noch längst nicht ohne Angst. Aber es gibt etwas Zuversicht, zum Beispiel unter diesen Frauen, die nun besingen, dass sie lesen und schreiben lernen.