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Elizabeth Otto, Patrick Rössler: "Bauhaus Bodies"
Hinter den Masken des Bauhaus

Ob nachträglich unkenntlich gemachte Arbeitsanteile von Ehegattinnen oder vermeintlich unscheinbare Servicekräfte: Frauen prägten die Bauhaus-Ästhetik und sind doch bis heute unbekannter als die Männer. Ein Sammelband zeigt die berühmte Architektur- und Designschule unter ihrer blütenweißen Weste.

Von Antje Stahl | 14.05.2019
Schlichtes Bauhaus-Gebäude in der Weissenhofsiedlung, die auch von Le Corbusier gestaltet wurde.
Ein Mann aus der ersten Reihe des Bauhaus: Le Corbusier gestaltete dieses Gebäude in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung. Bauhäuslerinnen erhalten gerade erst den verdienten Respekt für ihre Leistungen an der revolutionären Kunst- und Designschule (imago stock&people / Chromorange )
Für den einen oder anderen Architekturhistoriker mag diese Anthologie auf den ersten Blick vielleicht wie das Frauenmagazin unter den neuen Büchern über das Bauhaus wirken. Auf dem Cover werden zwei sehr schöne Frauen schwarzweiß und in Nahaufnahme gezeigt: Ihre Gesichter liegen ganz nah beieinander, die eine schließt ihre Augen und hält den Kopf der anderen im Arm, die wiederum supersanft in ein helles Licht schaut. Der Titel "Bauhaus Bodies - Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism’s Legendary Art School" steht direkt darunter.
Und gleich im ersten der insgesamt 14 Aufsätze entdeckt man unter der Zwischenüberschrift "Work-Life Balance" gewissermaßen Bettgeschichten, die an der Hochschule zwischen 1919 und 1933 gelaufen sein müssen: Patrick Rössler und Anke Blümm halten in ihrem Text jedenfalls fest, dass das Bauhaus "modernen" und "unabhängigen" Frauen als "Heiratsmarkt" gedient haben muss. Und auch wenn man nicht ganz versteht, wie das zusammen geht – modern und unabhängig und trotzdem auf der Suche nach einem Ehemann – ist man angesichts der Daten doch einigermaßen amüsiert: 106 Bauhaus-Frauen schlossen den Bund der Ehe, und nur 16 Prozent von ihnen entschieden sich für einen Partner, der nicht am Bauhaus studierte oder – Gott bewahre – lehrte.
Bauhaus als Herrenrunde
Warum sind solche Informationen jenseits ihres Unterhaltungswerts wichtig?
"Ein Jahrhundert nach seiner Gründung im Jahr 1919 assoziieren Wissenschaftler und eine Design interessierte Öffentlichkeit das Bauhaus nach wie vor vor allem mit moderner Architektur, glattem Avantgarde-Design und abstrakten Gemälden von Künstlern wie Wassily Kandinsky, Paul Klee oder László Moholy-Nagy", schreibt Elizabeth Otto in ihrer Einführung und macht damit deutlich, was sie und Patrick Rössler als Herausgeberinnen nicht interessierte: Die berühmte Herrenrunde, die in Weimar, Dessau und Berlin die Direktorenzimmer und Meisterposten besetzten oder die Lobhudelei ihrer Bauten, Entwürfe und Objekte.
Unter den insgesamt 1276 Personen, die Rössler und Blümm als Studierende klassifizieren, besuchten 462 Frauen das Bauhaus, um deren Arbeit sich lange Zeit bekanntlich kaum jemand scherte. Gunta Stölzl vielleicht ausgenommen, die nach ihrem Studium 1925 Werkmeisterin der Weberei-Klasse wurde. Ebenso Anni Albers, die den Posten stellvertretend 1928 übernahm und später erfolgreich in den USA als Textilkünstlerin arbeitete. Und Marianne Brandt, deren Teekannen in Designshops auf der ganzen Welt verkauft werden.
Historiker befragten Provenienz bisher zu wenig
Der Mehrzahl der weiblichen Studierenden allerdings, die das reformpädagogische Projekt in der jungen Weimarer Republik mitprägten, wurde erst seit den 1980er-Jahren hinterher recherchiert. Nach der Hochzeit änderten sie ihre Nachnamen, was die biografische Forschung erschwerte. Und Historiker bemühten sich zu wenig, Provenienzen zu hinterfragen.
Sandra Neugärtner dokumentiert in der vorliegenden Anthologie deshalb, dass der Künstler László Moholy-Nagy zusammen mit seiner ersten Frau Lucia Moholy, geborene Schulz, die Frauenkommunen Schwarzerden und Loheland besuchte, die nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurden.
"Von Mitte Juli bis Mitte September 1922 hielten sich die Moholys in einem Bauernhaus in Weyhers auf. Loheland war nur vier Kilometer entfernt und es steht im Grunde genommen fest, dass sie das Photogramm und seine Medium spezifischen Qualitäten während ihres Besuchs in Loheland entdeckten."
Dort ergründete Bertha Günther zwischen 1920 und 1922 Photogramme mit Blumen, Blättern und Gräsern. Und László Moholy-Nagy notierte sogar, dass sie seine Arbeit beeinflussten. Er hielt aber die fotografischen Experimente und selbst seine Ehefrau später nicht mehr für erwähnenswert, sobald es um die Genese seines eigenen Werkes ging. Wie soll man das nennen: Intelligente Selbstvermarktung? Blasierte Selbstvermessenheit? Ignoranz oder Misogynie?
100 Jahre Bauhaus und 100 Jahre Frauenwahlrecht
Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Büchern, in denen so manch ein Künstler auf diese Weise demaskiert wird. In diesem Jahr wird ja nicht nur das Jubiläum des Bauhauses gefeiert, auch das Frauenwahlrecht wurde vor 100 Jahren eingeführt, was den Bauhaus-Frauen so rein aufmerksamkeitsökonomisch eindeutig zugutekommt: Ulrike Müller überarbeitete ihr Buch "Bauhaus Frauen - Meisterinnen in Kunst, Handwerk und Design", in dem sie auf die Werke von 21 Künstlerinnen eingeht.
Im Taschen Verlag erscheint ebenfalls von Patrick Rössler ein Band, der 87 Porträts beinhaltet. "Bauhaus Bodies" unterscheidet sich aber ganz wesentlich von solchen Publikationen. Zwar beinhaltet der Band monografische Forschungsbeiträge, der weiblichen Körper wird allerdings ebenfalls als ästhetische Figur in den Blick genommen, so dass man auf einen Schlag sowohl etwas über Frauen als auch über die Bauhaus-Strategien lernt, die das Label bis heute so erfolgreich machen.
Die Kunsthistorikerin Kathleen James-Chakraborty etwa widmet sich dem Kleidungsstil, obwohl Modedesign nicht auf dem Lehrplan stand und es inflationär viele Abhandlungen, Romane und Babylon-Berlin-Filme zu der Neuen Frau und den Fräuleins der goldenen Zwanziger Jahre gibt. James-Chakraborty möchte die sogenannten Bauhäuslerinnen aber interessanterweise von diesem Frauenbild abgrenzen.
"Die Bauhaus-Kleidung ist ein unerforschter Beweis dafür, dass die Schule sich auf eine Art und Weise sowohl an der zeitgenössischen Mode orientierte als auch jenseits von ihr positionierte, die dafür sorgte, dass ihr Designansatz letzten Endes als zeitlos gelten sollte."
Zeitlose Bauhaus-Mode
Bauhäuslerinnen trugen wie die Schauspielerinnen und Sekretärinnen in den Großstädten Kleider mit tief sitzender Taille und hohem Saum, die so charakteristisch für die Zeit waren. Auch der Garçonne-Look mit kurzen Haaren, Hose, Hemd und Schlips war beliebt. Insgesamt sei der Style jedoch subtiler gewesen – Streifenmuster, Wollkleider, Blusen, ohne viel shiny Schmuck-Gedöns. Nach ihre Ankunft 1922 in Weimar hielt Anni Albers fest, dass sie sehr viel weiß gesehen habe "kein professionelles Weiß oder das Weiß des Sommers, hier war es das jungfräuliche Weiß."
Inwiefern diese Farbwahl das saubere Image des Bauhauses nachhaltig prägte, darüber ließe sich wohl streiten. Es ist aber kaum von der Hand zu weisen, dass die vermeintlich glatte und zeitlose Ästhetik gegenwärtig den Diskurs bestimmen soll. In Weimar wurde gerade ein neuer Museumsbau eröffnet, in dem auch die Bauhaus-Sammlung neu präsentiert wird. Hinweise auf den rassistischen Traum des Meisters Johannes Itten, eine arische Jüngerschaft zu formieren oder gar auf das große Kapitel «Diskriminierung von Frauen» gibt es in der neuen Architektur nur leider nicht.
Konzeptuelle Rahmen für Ausstellungsprojekte, die mehr wären als monografische Präsentationen oder Designreigen mit Freischwingern im hübschen Licht von Wagenfeld-Leuchten, gibt es ja genug. Das zeigt auch die "Bauhaus Bodies"-Anthologie.
Die maskierte Dame auf dem Stuhl
Jordan Troeller widmet sich den stählernen "Club Chairs" von Marcel Breuer, nicht um das Design zu loben: Er untersucht, welche Funktion die Figuren hatten, die sie für Werbeanzeigen beleben sollten. Berühmt ist die maskierte Dame auf dem Stuhl B3, die den weiblichen Körper weg von der Mutter Natur in den harten Kosmos des Industriedesigns überführte. Kurze Zeit später wurden Breuers B5 Stühle für ein Bild in den Wald gestellt, eine junge Frau springt im Ballettanzug darüber, als könnte sie fliegen.

"Fotografien wie diese beweisen, wie die Neue Frau, abgebildet in Breuers Möbeln, zwei scheinbar völlig unterschiedliche Kräfte der Moderne miteinander versöhnen sollte: den wiederbelebten Organizismus und den Techno-Rationalismus."
Öffnet man in diesen Tagen eine Meditationsapp, in denen Algorithmen uns wieder in den Einklang mit dem Universum bringen sollen, versteht man, welchen Einfluss die ästhetischen Bauhaus-Strategien bis heute haben. Aber in "Bauhaus Bodies" werden nicht nur die vorzeigbaren Körper untersucht, die für Zeitschriften abgelichtet wurden.
Als "Bauhaus-Frau" möchte Julia Secklehner auch eine Servicekraft etablieren, die 1931 am Bauhaus in Dessau gearbeitet haben muss. Irena Blühová fotografiert die junge Bedienerin, die unter Umständen das dreckige Geschirr des dritten Herrn Direktors Mies van der Rohe abräumte. Hat er sie überhaupt wahrgenommen?

"Sie wurde leicht von unten fotografiert und schaut in die Ferne. Ihr Gesicht ist von Sommersprossen durchzogen, ihr trockenen Lippen sind halb geöffnet, und buschige Augenbrauen und dunkle Schatten rahmen ihre tief sitzenden Augen ein." Ihre Falten und die sonnengebräunte Haut sollen ebenfalls Hinweise auf ihren sozialen Stand geben "die leidende Frau, das unterdrückte weibliche Proletariat, das so oft in der kommunistischen Illustriertenpresse auftauchte".
Andererseits würde sie durch die Aufsicht der Kamera so heroisiert, dass sie eher wie eine Ikone für die Emanzipation der Arbeiter fungiere. Selbstverständlich sieht Secklehner hier den Einfluss der Bauhaus-Ästhetik am Werk.
Wer nicht nur den Ausschnitt des Bauhauses in blütenweißer Weste kennenlernen möchte, sondern die Randfiguren, die es verkörperten und am Laufen hielten, der sollte diesen Sammelband studieren. Er wurde noch nicht ins Deutsche übersetzt, aber viele der über 120 Abbildungen in diesem Buch sprechen für sich.
Elizabeth Otto und Patrick Rössler (Hg.): "Bauhaus Bodies. Gender, Sexuality, and Body Culture in Modernism’s Legendary Art School"
Bloomsbury, London, 392 Seiten, 23,99 Euro