Freitag, 19. April 2024

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Elke Heidenreich über öffentlich-rechtliche Literaturkritik
"Alles, was Erfolg hat, reden sie klein"

Die Sender handhabten Literaturkritik von Grund auf falsch, sagte die Autorin Elke Heidenreich im Dlf. Sie fordert mehr Buchtipps in einfacher Sprache und über den ganzen Tag verteilt - gerade in Corona-Zeiten, in denen Theater und Konzerte wegfallen.

Elke Heidenreich im Gespräch mit Christoph Sterz | 01.02.2021
Autorin Elke Heidenreich liest im Oktober 2020 aus ihrem Buch "Männer in Kamelhaarmänteln" im Rahmen des Göttinger Literaturherbst.
Literaturkritikerin Elke Heidenreich wünscht sich mehr Kulturberichterstattung, zum Beispiel täglich in den ZDF-"Heute"-Sendungen (Imago/spfimages)
Die Buchkritikerin verurteilte die Literaturberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender scharf: "Alles, was Erfolg hat, reden sie klein und schaffen es ab." Sie sei sehr zornig, sagte Heidenreich, die selbst langjährige WDR-Mitarbeiterin ist.
Auslöser der Debatte ist das Ende der morgendlichen Buchrezension auf WDR3. Die Sendezeit um 6.45 Uhr sei für Literaturkritik tatsächlich "idiotisch", sagte die Autorin. Das Format ganz abzuschaffen, sei aber auch nicht richtig.

Heidenreich will mehr Kultur im "normalen Programm"

WDR3-Chef Matthias Kremin hatte zuvor bestritten, dass die Literaturkritik abgeschafft werden solle. Es gehe lediglich darum, andere Formen zu finden, sagte er in einem Beitrag der WDR-Unternehmenskommunikation. Das sei eine Lüge, sagte Heidenreich. Sie glaube nicht mehr daran, dass die Verantwortlichen vorne kürzen und dann hinten etwas Besseres dranbauen würden.
Es sei empörend, dass die Kultur keinen normalen Platz im normalen Programm habe. Die meisten Sendungen liefen viel zu spät, um andere Menschen zu erreichen als Intellektuelle, die ohnehin lesen. In jeder "Heute"-Sendung im ZDF käme am Ende Sport, warum gebe es nicht drei Minuten für die Kultur, so Heidenreich.
Eine blaue hr-Fahne weht vor dem Unternehmenssitz des Hessischen Rundfunks in Frankfurt am Main.
Widerstand gegen Umbau der Kultur- zur Klassikwelle
Der Hessische Rundfunk wollte das bisherige Kulturradio hr2 in einen reinen Klassiksender umbauen. Doch die Proteste gegen die Reform reißen nicht ab.
Literaturinhalte vermehrt in sozialen Medien zu präsentieren, hält sie für keine gute Lösung. Es gebe sehr viele Menschen im Land, die weder ins Internet noch auf Instagram gehen würden. Dass man Gewohntes manchmal aufbrechen und verändern müsse, sei selbstverständlich, aber man könne nicht alles ins Internet verlagern: "Dann lässt man ganz viele Leute zurück."

Kritik auch von Verlegern, Autorinnen und Kulturinteressierten

Sie wünscht sich im Programm der öffentlich-rechtlichen Sender "viele Bücher, auf viele Sendungen über den Tag verteilt, in einfacher Sprache". Schwierige, sich dezidiert mit Texten auseinandersetzende Literaturkritiken hätten es im Radio schwer, weil sie oft zu kompliziert seien. Die Auseinandersetzung mit Texten solle mehr in Zeitungen und im gedruckten Medium stattfinden, auch im Internet. Radio und Fernsehen hingegen seien gut bedient mit schnellen, leicht verständlichen Literaturtipps. Gerade die Corona-Zeit habe gezeigt: "Wenn uns nichts mehr bleibt, kein Theater, keine Konzerte: Die Leute fangen an zu lesen."
Die Entscheidung des WDR, in der WDR3-Sendung "Mosaik" die tägliche Buchrezension am Morgen einzustellen, hat in der Kultur- und Verlagsszene große Kritik hervorgerufen. Am Wochenende forderten elf deutsche Verlegerinnen und Verleger in der "Süddeutschen Zeitung", dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Kulturauftrag gerecht werden müsse. Auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels kritisierte die WDR-Entscheidung in der vergangenen Woche. Mehr als 6.100 Kulturjournalistinnen, Autoren und Literaturinteressierte unterzeichneten zudem eine Petition.