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EM 2016 in Frankreich
Botschafter spricht von "Fest der Freundschaft"

Der französische Botschafter in Deutschland ist zwar enttäuscht über die Niederlage seiner Mannschaft im EM-Finale. Im Deutschlandfunk zeigte sich Philippe Etienne aber begeistert vom Verlauf des Turniers. "Das ist ein positives Ereignis für Europa", sagte er, auch weil wir "qualitativ große Mannschaften" gesehen hätten.

Philippe Étienne im Gespräch mit Thielko Grieß | 11.07.2016
    Philippe Etienne, der Botschafter Frankreichs in Deutschland
    Philippe Étienne, der Botschafter Frankreichs in Deutschland (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    "Natürlich bin ich etwas enttäuscht", sagte Etienne im Deutschlandfunk. Er sei aber auch stolz über den Finaleinzug der Nationalmannschaft. Außerdem habe man bei der Fußball-EM viele Entdeckungen gemacht: neue Mannschaften wie Island und Wales, aber auch eine neue Generation von Spielern wie den französischen Torschützen Antoine Griezmann.
    Den Halbfinalgegner Deutschland lobte Etienne als Weltmeister im Fairplay. "Das war wirklich sehr nett", dass Kapitän Bastian Schweinsteiger einen Brief geschrieben habe (auf der Homepage des DFB), in dem er sich bei Frankreich und den Menschen am deutschen EM-Quartier in Evian bedankt habe
    Ansonsten sah Etienne die Europameisterschaft in seinem Land als "ein Festival des Fußballs und auch ein europäisches Fest", sagte er. Der französischen Seele gehe es nach den anfänglichen Streiks im Land und dem Streit um die Arbeitsmarktreform ein wenig besser, sagte der Diplomat. Und auch für Europa zeigte er sich optimistisch.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Thielko Grieß: Auch Philippe Etienne hat gestern Abend natürlich das Spiel geschaut, ganz Fan und heute Morgen wieder ganz französischer Botschafter in Deutschland. Herr Etienne, guten Morgen nach Berlin.
    Philippe Etienne: Guten Morgen, Herr Grieß.
    Grieß: Traurig?
    Etienne: Natürlich bin ich etwas enttäuscht, aber ja, das war wie wir es wollten ein Festival des Fußballs und auch ein europäisches Fest. Und wir sind auch stolz, dass die französische Mannschaft auch im Finale war. Und ich muss sagen, das was mir in dieser Meisterschaft gefallen hat ist einmal, dass wir viele neue Entdeckungen gemacht haben, auch neue Mannschaften, die sehr gut, sehr sympathisch gewirkt haben, wie Island oder Wales, aber auch für uns eine neue Generation von Spielern, Griezmann- und Pogba-Generation sozusagen. Und es gab wirklich am Ende eine neue Verbindung zwischen Frankreich und unserer Fußballmannschaft. Und das sagen sie alle. Trotz dieser Enttäuschung im Finale danken wir unseren Spielern und der Mannschaft. Es gibt wieder etwas zwischen der Nation und der Mannschaft. Wir freuen uns auch sehr mit Portugal. Und Paris ist eine der größten portugiesischen Städte auch. Man muss das nicht vergessen, dass es eine sehr, sehr große portugiesische Gemeinschaft in Frankreich gibt.
    Grieß: Da sind Sie ganz Diplomat, Herr Etienne.
    Etienne: Nein, nein, nicht nur.
    Grieß: Aber der Schrecken war doch schon groß, als in der 109. Minute der Portugiese Eder Ihnen da diesen Ball reingedrückt hat.
    Etienne: Ja, natürlich! Das war eine große Enttäuschung. Aber das gehört auch zu dem Sport, oder? Das ist auch das, was den Fußball so schön macht.
    Grieß: Wenn es nicht immer zu Ihren Lasten geht. - Sie haben in der Botschaft geschaut, oder ganz allein vorm Fernseher?
    Etienne: Nein. Wir waren im Centre Francais in Wedding zusammen mit einer großen Zahl von Franzosen und von Deutschen und von Freunden einfach des Fußballs. Und die Stimmung war sehr, sehr gut. Wir waren alle enttäuscht natürlich am Ende, aber das war auch ein Fest und das ist so geblieben.
    Grieß: Diese französische Mannschaft, mit der müssen wir auch bei den kommenden Wettbewerben, in zwei Jahren zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft in Russland rechnen?
    Etienne: Ja, ich glaube schon. Wie gesagt gibt es jetzt eine neue Mannschaft, eine neue Generation. Und das ist auch ein Gewinn von dieser Meisterschaft.
    Grieß: Wofür steht diese Mannschaft? Was macht sie aus?
    Etienne: Ich glaube, die spielen sehr gut in allen Bereichen. Man hat am Anfang gesagt, weil wir einige Verletzungen hatten, dass zum Beispiel die Verteidigung ziemlich schwach ist. Am Ende hat es sich ergeben, dass die ganze Mannschaft ganz solidarisch wirkt. Und das ist eine echte Mannschaft, nicht nur einige sehr gute Spieler.
    Grieß: Also die eigentliche La Mannschaft? So nennen wir sie ja in Deutschland.
    Etienne: Ja, wie Sie wollen. Ja, das möchten wir gerne haben, wenn wir den Vergleich mit den Weltmeistern haben können.
    Grieß: Und das bleibt ja unterm Strich. Sie haben den Weltmeister aus dem Turnier gekegelt, gekickt. Lindert das ein bisschen den Frust?
    Etienne: Das war auch ein schönes Spiel. Und ich habe gesehen, wie die deutschen Freunde nicht nur Weltmeister, sondern Weltmeister in Fair Play sind. Und zum Beispiel zu sehen, wie der Kapitän Bastian Schweinsteiger einen wunderschönen Brief geschrieben hat, indem er sich bei Frankreich und bei den Menschen in Évian bedankt, das war wirklich sehr nett.
    Grieß: Nachdem er vorher so nett war und den Arm gehoben hat.
    Etienne: Alle Spieler waren sehr freundschaftlich
    Etienne: Aber alle Spieler auf beiden Seiten waren sehr freundschaftlich. Zum Beispiel zwischen Paul Pogba und Jerome Boateng war echte Freundschaft zu spüren und die Stimmung war sehr gut. Im Großen und Ganzen haben wir auch - und das ist für uns als Gastland das Wichtigste -, was wir wollten, bekommen: wirklich eine feste Freundschaft. Und wenn man alle Befürchtungen, alle Kommentare am Anfang oder vor dem Anfang der Meisterschaft sieht, dann kann man auch eine sehr positive Bilanz ziehen.
    Grieß: Geht es der französischen Seele jetzt nach einem Monat Europameisterschaft besser als vorher?
    Etienne: Das glaube ich schon ein wenig wegen der Auswirkung im Sportbereich, dieser Verbindung zwischen der Nation, der Bevölkerung und unserer Mannschaft. Natürlich: Das ändert nicht die Realität, die positiven wie die weniger positiven Aspekte der Realität, aber das verbessert, glaube ich, schon ein wenig.
    Grieß: Das Gefühl, Frankreich geht ein bisschen beschwingter in die Sommerpause, das ist ihre Prognose, kehrt dann aber zurück irgendwann, und die Probleme sind doch dann immer noch die alten?
    Etienne: Aber nicht nur die Probleme. Es gibt nicht nur Probleme im Leben, zum Glück. Das Leben geht weiter und wir versuchen alle, unsere Länder besser zu machen, und das machen wir in Europa zusammen. Das ist auch wichtig.
    Grieß: Bleiben wir, wenn Sie nichts dagegen haben, einen Moment bei der französischen Innenpolitik. Es geht immer noch um die Arbeitsmarktreform im Parlament. Inzwischen ist die zweite Lesung ja gelaufen. Gestreikt wird immer noch. Meinen Sie, dass der Ausgang oder das Ende der Europameisterschaft an diesem Konflikt irgendetwas lindert?
    Etienne: Erst einmal haben wir noch Sport. Es geht weiter mit der Tour de France und wir freuen uns sehr darauf, dass die Tour de France einen Start in Deutschland im nächsten Jahr macht, und zwar in Düsseldorf. Das müssen wir auch nicht vergessen. Was das neue Arbeitsmarktgesetz angeht: In der Tat sind wir am Ende des Verfahrens und es gab viele Debatten, viele Diskussionen auch. Wir sind jetzt, ich glaube, ganz nah vor der Verabschiedung dieses Gesetzes im nationalen Parlament, was beweist, dass trotz allen Polemiken und allen Debatten die Strukturreformen in Frankreich, die für uns sehr notwendig sind, natürlich für alle, vorangehen.
    Grieß: Aber es gibt ja nach wie vor erbitterten Widerstand. Da könnte Griezmann noch zehn Tore schießen, wenn er wollte; dieser Widerstand würde doch dadurch auch nicht beendet.
    Etienne: Aber natürlich. Eine Fußballmeisterschaft, die verbessert die Stimmung, aber die ändert nicht die Meinungen. Wir leben in einer Demokratie. Aber diese Meinungsunterschiede, glaube ich, sind etwas geringer geworden über ich meine das Arbeitsmarktgesetz, dank der vielen Diskussionen, die auch dazu geführt haben, einige Veränderungen im Gesetzentwurf aufzunehmen. Und jetzt gibt es mehr Konsens über diese Reformen und wir werden es so weitermachen.
    Grieß: Herr Etienne, ist ein solcher sportlicher Wettbewerb das letzte Refugium eines guten Gefühls über Europa, während Europa politisch auseinanderfasert?
    Etienne: Ich würde das so nicht sagen. Das ist ein positives Ereignis für Europa natürlich, weil wir so viele nicht nur sympathische, aber auch qualitativ sehr hohe Mannschaften gesehen haben, und die haben miteinander friedlich gespielt. Aber Europa ist natürlich nicht nur das. Ich verstehe den Hintergrund, den Zusammenhang Ihrer Frage natürlich. Es gibt auch viele Probleme zu lösen. Aber ich sehe auch zum Beispiel zwischen Deutschland und Frankreich, aber auch mit anderen Mitgliedsländern einen echten Willen, diese Probleme, die konkreten Probleme der Menschen zu lösen, zum Beispiel die Sicherheit zu verbessern und das Wachstum zu gewinnen, zu schaffen, um die Arbeitslosigkeit effizienter zu bekämpfen. Das sind unsere prioritären Aufgaben und wir werden diese Aufgaben auch so gemeinsam meistern.
    Grieß: Auch ohne den Europameisterschaftstitel - Philippe Etienne war das, der französische Botschafter in Berlin. Herr Etienne, danke fürs frühe Aufstehen nach einer kurzen Nacht.
    Etienne: Ich danke Ihnen. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.