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Emanzipation
Geschäftsfrauen und Hausmänner in Tadschikistan

In Tadschikistan hat sich - als Folge des Bürgerkriegs - ein Teil der Frauen, die noch zu Sowjetzeiten ausgebildet wurden, emanzipiert. Ein wirklicher Rollenwandel ist das nicht. Denn die jüngere Generation der Frauen steckt schon wieder in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau fest.

Von Stephanie Rhode | 14.01.2017
    Marktfrauen in Duschanbe, Tadschikistan.
    Berufstätige Frauen in Tadschikistan sind selten in hochqualifizierten Jobs tätig. Die Marktverkäufer in Duschanbe sind durchgängig weiblich. (Deutschlandradio / Stephanie Rhode)
    An der geschäftigen Hauptstraße in Gharm kniet eine Frau vor einem Brunnen und spült Geschirr ab. Ein Mann in einem eng anliegenden Anzug mit schwarzer Krawatte steht neben der spülenden Frau, trinkt seinen Tee hastig aus und gibt der Frau die leere Tasse vollkommen selbstverständlich zum Abspülen. Die Rollen scheinen klar verteilt. Aber es geht auch anders in Gharm. 20 Meter vom Brunnen entfernt war Shahnoza gerade als Dolmetscherin im Einsatz, für eine Nichtregierungsorganisation. Ihren vollen Namen möchte sie nicht im Radio hören. Shahnoza ist seit fast 20 Jahren berufstätig - ihr Mann ist Hausmann.
    "Er ist immer Zuhause. Er kocht für uns."
    Shahnoza strahlt, während sie das sagt, was auch dem Umstand geschuldet ist, dass sie sich alle Zähne hat vergolden lassen. Shahnoza sieht aus wie eine typische Mittfünfzigerin in Tadschikistan: Goldene Schlappen, dazu gelb gepunktete Socken, einen langen, über die Knie reichenden Kittel in samtener Tigeroptik und ein um den Kopf geknotetes blaues Tuch. Ihr Mann sei nicht der einzige Hausmann hier, erzählt sie.
    Militärcheckpoints haben zur Emanzipation der Frauen beigetragen
    "Nach dem Bürgerkrieg 1997 war es sehr schwierig für alle Männer, es gab so viele Militärcheckpoints, an denen die Waren der Männer konfisziert wurden. Wenn die Männer sich weigerten, ihre Waren abzugeben, wurden sie geschlagen."
    Blick auf die Ausläufer des Pamir im Rashttal im Osten Tadschikistans.
    Blick auf die Ausläufer des Pamir im Rashttal im Osten Tadschikistans. (Deutschlandradio / Stephanie Rhode)
    Wer Gemüse, Kleidung oder Haushaltsgeräte in größeren Mengen dabei hatte, sei im Rashttal teilweise tagelang festgehalten worden, weil das Militär einen erneuten Aufstand befürchtete. Das Rashttal war während des Bürgerkriegs von 1991-1997 eine der Hochburgen des islamisch-demokratischen Widerstands gegen die Altkommunisten aus anderen Regionen Tadschikistans. Der immer noch amtierende Präsident Emomali Rahmon konnte sich damals mit russischer Hilfe als Präsident durchsetzen. Er setzte alles daran, weitere Aufstände im Keim zu ersticken – weshalb das Militär massenweise Kontrollen unter anderem im Osten Tadschikistans durchführte.
    "Aber den Frauen haben sie nichts abgenommen. Deshalb sind so viele Männer arbeitslos geworden und zuhause geblieben. Das ist fast schon eine Art Tradition geworden nach dem Bürgerkrieg."
    Die Militärcheckpoints haben also dazu beigetragen, dass Frauen sich emanzipieren konnten, erzählt Shanoza
    "Vor dem Bürgerkrieg, haben die meisten Männer ihren Frauen nicht mal erlaubt, zum Markt zu gehen. Seit dem Bürgerkrieg sind Frauen frei. Sie können den ganzen Tag auf dem Markt sitzen, sie verwalten sogar oft das Budget der Familie."
    Stigma des "arbeitslosen Hausmanns"
    Auf dem Markt sitzen tatsächlich fast nur Frauen, auch die Straßen werden nachts von Frauen gekehrt. Allerdings ist Shahnoza mit ihrem hochqualifizierten Job eine Ausnahme.
    "Mein jüngster Sohn war eineinhalb Jahre alt, als ich angefangen habe, als Übersetzerin und Dolmetscherin zu arbeiten. Wenn mein Mann sich nicht um die Kinder gekümmert hätte, wie hätte ich diesen Job annehmen können? Deshalb finde ich, alle Hausmänner sollten ihre Frauen unterstützen."
    Das ist oft nicht der Fall. Frauen müssen oft den ganzen Tag lang arbeiten und sich gleichzeitig um Haushalt und Kinder kümmern. Viele Männer, die ohne Beschäftigung sind, verlassen ihre Familien und gehen nach Russland. Laut inoffiziellen Schätzungen arbeitete im Jahr 2015 jeder siebte tadschikische Mann in Russland.
    Weil Shahnozas Mann – wie viele andere - im tadschikischen Bürgerkrieg verletzt wurde, hatte er weder auf dem tadschikischen noch dem russischen Arbeitsmarkt eine Chance. Zwar nehme ihr Mann seine Rolle als Hausmann ernst , erzählt Shahnoza. Dennoch leide er sehr unter dem Stigma des "arbeitslosen Hausmanns".
    "Wenn sie kein Geld verdienen, fühlen sie sich nicht wie richtige Männer, es ist sehr schwierig für sie. Ich sehe das bei meinem Mann. Er versucht ständig, einen Job zu finden, aber ohne Erfolg."
    Die junge Generation von Frauen ist weniger gebildet
    Dass Familien, in denen die Frau offiziell berufstätig ist, noch immer ein Stigma anhaftet, beobachtet auch Zeitoona Naimova, die Leiterin von UN Women in Tadschikistan. Sie betont aber, dass es sich nur um bestimmte Frauen handele, die nach dem Bürgerkrieg berufstätig geworden seien.
    "Klar, sie sind ausgebrochen und unabhängig geworden – aber der wichtigste Aspekt ist hier: das Alter. Junge Frauen sind nicht rausgegangen. Es waren ältere Frauen."
    Die hätten nach dem Bürgerkrieg die Chance ergriffen, unabhängiger zu werden. Die jüngeren Frauen hätten das aber nicht weitergeführt, sondern sich wieder dem sehr traditionellen Rollenverständnis gefügt. Das liegt laut Naimova auch daran, dass die junge Generation weniger gebildet sei als die ältere, die noch in der Sowjetunion unterrichtet wurde.
    Wenn junge Frauen heute mit Anfang 20 heiraten und zur Familie des Mannes ziehen, wird von ihnen erwartet, dass sie sich um die Kinder und den Haushalt kümmern. Wenn der Ehemann oder ein Familienmitglied nicht möchte, dass die Frau außerhalb des Hauses arbeitet, dann müsse sie sich fügen, erzählt Zeitoona Naimova von UN Women.
    Frau beim Geschirrspülen im Rashttal, Tadschikistan.
    Frau beim Geschirrspülen im Rashttal, Tadschikistan. (Deutschlandradio / Stephanie Rhode)
    "Es ist nicht üblich und das liegt an dem Druck der öffentlichen Meinung, weil Leute sagen könnten, diese Frau arbeitet ja in einem Laden, besonders auf dem Land geht es da sehr stark um das Ansehen."
    Mindestens jeder Dritte lebt unter der Armutsgrenze
    Weil aber in Tadschikistan mindestens jeder Dritte unter der Armutsgrenze lebt, seien Frauen trotzdem oft gezwungen, inoffiziell Geld zu verdienen, zum Beispiel, indem sie den Nachbarn bei der Ernte helfen oder sich als Näherinnen etwas dazu verdienen.
    "Sie müssen arbeiten, aber es ist kein Arbeitsverhältnis in dem Sinne – es ist eher Serviceleistung für einen sehr geringen Lohn, nur um zu überleben und die Kinder durchzubringen. Es ist nicht so, als wären die Frauen finanziell unabhängig und könnten über ihr eigenes Business nachdenken, das ist etwas anderes."
    Die Dolmetscherin Shahnoza aus dem Rashttal im Osten Tadschikistans bleibt also eine Ausnahme. Auch wenn andere über sie reden würden, sie hätten sich an den Rollentausch gewöhnt, sagt sie. Und wer kocht besser? Der Hausmann oder die Geschäftsfrau?
    "Wir beide. Zusammen können wir am besten kochen", antwortet sie. Aber danach draußen vor den Augen der Nachbarn am Brunnen Geschirrspülen würde er bis heute nicht: Es gibt Grenzen.