Donnerstag, 18. April 2024

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Embryonenschutzgesetz veraltet?
"Viele Bereiche ungeregelt, aber Forschung bleibt nicht stehen"

Experten schlagen vor, das Embryonenschutzgesetz neu aufzulegen. Die Forschung habe sich weiterentwickelt, das Gesetz nicht, sagte die Medizinethikerin Claudia Wiesemann im Dlf. Verbote und Rechtsunsicherheit trieben Paare ins Ausland. Es sei Zeit, Punkte wie Embyronenselektion und Eizellspende zu regulieren.

Claudia Wiesemann im Gespräch mit Ralf Krauter | 18.10.2017
    Eizellen mit Spermien nach einer künstlichen Befruchtung
    In der Medizin sei inzwischen vieles möglich, was im Embryonenschutzgesetz von 1990 noch nicht vorgesehen sei, so die Medizinethikerin Claudia Wiesemann. Eine Expertengruppe fordert jetzt ein neues, zeitgemäßes Gesetz. (Waltraud Grubitzsch, dpa picture-alliance)
    Ralf Krauter: Warum ist das deutsche Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 aus Sicht der Leopoldina-Experten nicht mehr zeitgemäß?
    Claudia Wiesemann: Ja, schauen Sie, das ist jetzt fast 30 Jahre her, was hat sich nicht alles in der Fortpflanzungsmedizin in der Zwischenzeit getan. Es sind Techniken verbessert worden im Bereich der In-vitro-Fertilisation, also der Befruchtung im Reagenzglas. Man weiß sehr viel mehr mittlerweile, wie Kinder Eizellspende und Samenspende erleben. All diese Erkenntnisse müssten eigentlich jetzt in ein moderneres Fortpflanzungsmedizingesetz fließen. Viele Bereiche sind ungeregelt, weil der Fortschritt eben nicht stehen geblieben ist. Es gibt Rechtsunsicherheit für die beteiligten Paare und natürlich auch für die beteiligten Fortpflanzungsmediziner. Die Situation ist eigentlich sehr schwer erträglich geworden.
    Krauter: Diese Rechtsunsicherheit beziehungsweise bestehende Verbote führen auch dazu, dass ja viele kinderlose Paare dann ins Ausland reisen, um sich dort Dienstleistungen einzukaufen, die sie gerne hätten. Gehen wir das mal der Reihe nach durch, Stichwort In-vitro-Fertilisation – Befruchtung im Reagenzglas, haben Sie gerade schon gesagt –, da ist es ja so, dass, um die Chancen auf eine erfolgreiche Schwangerschaft zu erhöhen, im Ausland häufig schon die fittesten Embryonen ausgewählt und in die Gebärmutter eingepflanzt werden, in Deutschland ist diese Form der Embryonenselektion bisher verboten. Was spricht dafür, das zu ändern?
    Wiesemann: Ja, das stimmt, in Ländern wie etwa Schweden oder England nutzt man diese Technik, nur einen einzigen Embryo zu übertragen, aber eben den, der sich in der Petrischale am besten entwickelt hat. Das ist nach dem Wortlaut des Embryonenschutzgesetzes in Deutschland nicht erlaubt, und das führt letztendlich dazu, dass es in Deutschland mehr Mehrlingsschwangerschaften gibt, weil dann zwei oder auch vielleicht drei Embryonen übertragen werden, und das wiederum ist mit deutlich höheren Risiken für die schwangere Frau und aber auch für das Kind verbunden. Risiken heißt Frühgeburt, das heißt zum Beispiel auch Schädigung durch die Frühgeburt für das Kind. Und das hat zur Folge, dass eine gesetzliche Regelung, die dem Lebensschutz dienen sollte, letztendlich den Effekt hat, Gesundheit und Leben des Kindes zu gefährden.
    Eizellspende legalisieren und kontrollierbar machen
    Krauter: Das spricht also dafür, da über den Rechtsrahmen nachzudenken. Sie regen auch an, neben der Samenspende künftig auch Eizellspenden zu legalisieren. Warum das denn?
    Wiesemann: Das Embryonenschutzgesetz hat damals die Samenspende nicht geregelt, das heißt, sie blieb erlaubt, die Eizellspende aber ganz klar verboten. Damals hat man diese Ungleichbehandlung von Männern und Frauen damit begründet, dass sich große Identitätsprobleme für das Kind dadurch ergeben würden, durch eine sogenannte gespaltene Mutterschaft. Mittlerweile haben wir sehr gute empirische Untersuchungen, wie geht es Kindern nach Samenspende und auch nach Eizellspende, und wir wissen, dass auch die Kinder, die darüber aufgeklärt sind, über die Tatsache, dass sie so gezeugt wurden, dass diese Kinder keine großen Identitätsprobleme haben, keine psychische Entwicklungsstörung oder Ähnliches. Es ist für sie eine wichtige Information, noch ein genetisches Elternteil zu haben, das sie auch unter Umständen gerne kennenlernen möchten, aber ihre psychische Entwicklung ansonsten verläuft davon ungestört. Solche Erkenntnisse, meine ich, die müsste man heute aufgreifen, denn am Ende ist es ja doch eine große Ungleichheit, die zwischen Männern und Frauen entsteht. Beide können aus biologischen Gründen beispielsweise unfähig sein, Keimzellen zu produzieren, die Frau zum Beispiel nach einer Chemotherapie, und warum sollen dann Frauen weniger das Recht haben, eine Familie zu gründen mithilfe der Eizellspende, als Männer eben mithilfe einer Samenspende?
    Krauter: Nun ist ja aber eine Eizellspende mit erheblich höherem Risiko und Aufwand für die Spenderin verbunden als andernfalls für den Spender. Besteht da nicht die Gefahr, dass manche Frauen vielleicht allein wegen finanzieller Anreize Spenderinnen werden wollen, obwohl man ihnen aus gesundheitlicher Sicht eigentlich dringend abraten müsste?
    Wiesemann: Ja, tatsächlich, man muss natürlich die Interessen, die Rechte der Spenderinnen mit betrachten, und die muss einen körperlichen Eingriff über sich ergehen lassen. Auch hier gibt es neue Erkenntnisse, weil mittlerweile die Stimulationstechniken so verbessert wurden, dass die körperlichen Risiken für die Spenderin deutlich reduziert werden können. Das ist eine wichtige neue Erkenntnis, die man auch berücksichtigen muss. Und dann ist es natürlich so, dass wir im Augenblick, weil diese Eizellspenden im Ausland vonstatten gehen, sehr wenig Einfluss darauf haben, unter welchen Bedingungen geschieht das, werden da Frauen in großen Notsituationen ausgenutzt oder werden ihnen faire Bedingungen geboten – das ist oft gar nicht bekannt. Die Paare müssen ins Ausland reisen in der Ungewissheit darüber, die haben oft selber aber eigentlich den Anspruch, dass es an sich auch der Spenderin gut geht bei diesem komplexen Verfahren. All das könnten wir in Deutschland wesentlich besser beaufsichtigen, besser kontrollieren. Wir könnten dann auch durchsetzen, dass das Kind, das so geboren wird, ein Recht hat auf Kenntnis seiner Abstammung, denn im Ausland wird oft die anonyme Spende praktiziert, das heißt, da ist es dem Kind dann verwehrt, etwas über die genetische Mutter zu erfahren. Also, all das spricht dafür, es in Deutschland zu legalisieren und in Deutschland dann eben gute Rahmenbedingungen aufzusetzen, die für die Spenderin und auch für die Familie, die so gegründet wird, verträglich sind.
    Folgen von Leihmutterschaft noch zu wenig erforscht
    Krauter: Müsste man, wenn man die Eizellspende legalisiert, nicht auch die Leihmutterschaft in Deutschland erlauben?
    Wiesemann: Die Leihmutterschaft, die wirft noch mal eigene Fragen auf, und zwar vor allen Dingen weil es ja darum geht, dass eine Frau neun Monate lang ein Kind austrägt und in diesen neun Monaten durchaus ja auch eine Beziehung zu diesem Kind wächst. Wir wissen auch noch nicht wirklich sehr viel darüber, was das für die Kinder bedeutet, die so geboren werden, und es ist auch noch nicht ganz klar, wie man hier tatsächlich ausbeuterische Verhältnisse eindämmen kann. Deswegen kann ich es gut verstehen, dass hier in Deutschland noch große Zurückhaltung herrscht darüber, das zu legalisieren. Wir dürfen auf der anderen Seite aber auch nicht übersehen, es fahren Paare, auch homosexuelle Paare, beispielsweise ins Ausland, um auf die Art und Weise Eltern werden zu können, eine Familie gründen zu können, und die Situation der Kinder, die so geboren werden, die dann nach Deutschland kommen wieder, die ist prekär. Das heißt, oft genug sind die Elternschaftsverhältnisse dann nicht eindeutig rechtlich geregelt. Ich glaube, wir müssen hier noch eine längere Diskussion führen, wir müssen vielleicht auch noch etwas besser beurteilen können, was für Auswirkungen sozialer Art auf die Familien, auf die Kinder hat das, und dann uns gut überlegen, ob wir Leihmutterschaft auch in Deutschland zulassen wollen oder nicht.
    Krauter: Sie haben gerade schon das Problem der Anerkennung der Vater- bzw. Elternschaft bei im Ausland geborenen Kinder von Leihmüttern angesprochen. Brauchen wir ein neues Abstammungsrecht, wo nicht mehr in erster Linie die Gene ausschlaggebend sind, wer als Vater/Mutter vor dem Gesetz gilt?
    Wiesemann: Ja, da haben Sie recht, und dafür gibt es schon sehr gute Empfehlungen des Arbeitskreises Abstammungsrecht, der sich dazu geäußert hat. Auch solche Regelungen könnten in ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz mit einfließen, und damit würde auch eine runde Sache daraus gemacht werden. Es würde eben nicht nur die In-vitro-Fertilisation geregelt, auch nicht nur mit einem Strafrecht, wie das im Moment der Fall ist, was viele als unzureichend empfinden, sondern es könnten die vielen unterschiedlichen, auch familienrechtlichen Aspekte in ein Gesetz zusammengeführt werden. Das wäre wirklich dringend angezeigt.
    Es koste Mut, dieses Thema anzugreifen
    Krauter: Nun haben ja gestern erst die Koalitionsverhandlungen des mutmaßlichen Jamaika-Bündnisses in Berlin begonnen, wie sehen Sie die Chancen, dass es in dieser Legislaturperiode gelingen könnte, den rechtlichen Rahmen für die Fortpflanzungsmedizin in Deutschland neu zu gießen?
    Wiesemann: Man muss eben einfach immer die Hoffnung haben, dass die Politiker, dass die Parteien so mutig sind, dieses Thema anzugreifen. Es kostet Mut, denn es sind in der Gesellschaft auch umstrittene Themen. Ich wünsche mir, dass möglichst viele Politiker diesen Mut haben, denn sie verbessern die Situation einer sehr wichtigen Gruppe in unserer Gesellschaft. Es geht doch um Menschen, die Kinder haben wollen und die damit ja auch für den Fortgang unseres Zusammenlebens sorgen, die Verantwortung übernehmen wollen. Und ich glaube, gerade diese Gruppe der Gesellschaft, die darf man nicht einfach so im Regen stehen lassen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.