Emigrierter Schriftsteller Rolf Schneider
"Es ist ein natürliches Menschenrecht, sich einen schönen Anzug anzuziehen"

30. November 1989. Der im Westen lebende DDR-Schriftsteller Rolf Schneider im Deutschlandfunk zum Ende der sozialistischen Utopien:

    Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer"
    Der ostdeutsche Schriftsteller Rolf Schneider (2000), Autor des Wenderomans "Volk ohne Trauer" (picture alliance / dpa / Klaus Franke)
    "Wir waren uns doch alle einig darin, jedenfalls Kreise, zu denen ich gehörte, dass Sozialismus das Fernziel sei, dem wir zustreben, und der Sozialismus ist fast obsolet geworden."

    Reporterfrage: "Ist der Sozialismus gescheitert oder ist nur der Stalinismus gescheitert?"

    "Da der praktische Sozialismus, der real existierende, wie man seit Bahro sagt, immer nur im Gewand des Stalinismus aufgetreten ist, ist mit dem Stalinismus zunächst auch der Sozialismus gescheitert. Es macht mich traurig, weil eine schöne, große Vision der Menschheit wieder einmal sich als ein Phantom erwiesen hat. Sicher ist der Sozialismus in den letzten 100 Jahren einer der bewegendsten und mächtigsten Emanzipationsströme in der Menschheitsgeschichte gewesen. Dass es zu einer staatlichen Einheit dieser beiden deutschen Teilstaaten, die es im Augenblick gibt, kommen wird, scheint mir unzweifelhaft und auch unvermeidlich. Dass materielle Beweggründe dabei ihre Rolle spielen, ist ebenso sicher, wobei ich diese materiellen Beweggründe für überhaupt nicht unanständig halte. Es ist ein natürliches Menschenrecht, sich einen schönen Anzug anzuziehen, und ein natürliches Menschenrecht, außer Kartoffelpuffern, sagen wir, auch ein Poulet zu essen."