Herablassend sich räkelnde Pariser Modedirektricen. Glanz und Glamour eines glitzernden Konsumtempels. Und dann die Unschuld vom Lande. Denise. Staunend betritt sie diese Wunderwelt, in der sie bald darauf als kleine Verkäuferin landet - und erstmal strandet. Eine anrührende Geschichte. Dann, als wär's eine Reality Show, verliebt sich prompt der oberste Chef, Octave Mouret, das mythische Verkaufsgenie dieses Imperiums, unsterblich in die Kleine. Ja zuguterletzt hält der inzwischen vom Fluch des von ihm selbst initiierten seelenlosen Massenkonsums Angeekelte sogar um die Hand des spröden, schönen Aschenputtels an. Und so wächst das Wunder über sich hinaus, und zum Millionensegen und Verkaufsgeschick gesellen sich paradiesische Vorstellungen von sozialen Leistungen für die Mitarbeiter.
Gnadenloser Siegeszug der schönen neuen Warenwelt
Nein, kein Weihnachtsmärchen. Vielmehr die romantische Hintergrunds-Geschichte eines Romans des Naturalisten Emile Zola. In der Stuttgarter Theaterversion der Regisseurin Mareike Mikat tritt diese private Folie freilich plakativ in den Vordergrund, sodass Zolas eigentliches Anliegen fast verloren geht: mit welcher Brutalität und Gnadenlosigkeit der Siegeszug unserer schönen neuen Warenwelt einsetzte. Was uns in Gestalt immer gigantischer wuchernder Shopping Malls und gestylter Flagship Stores vertraut ist, begann Ende des 19. Jahrhunderts in Großstädten wie Paris: der inszenierte Kaufrausch als Droge, Umsatzrekorde als Narkotikum, das immer süchtigere Konsumieren als Sinn-Placebo. "Bemächtigen Sie sich der Frauen und Sie können die ganze Welt verkaufen", philosophiert der Warenhaus-Erfinder Mouret im Angesicht des ersten Rekordumsatzes von einer Million Francs pro Tag.
Blutleerer theatralischer Abend
Damit umreißt er ziemlich genau das, was an diesem blutleeren theatralischen Abend konkret zu veranschaulichen gewesen wäre. Erste Voraussetzung dafür wäre gewesen, den Romantext in einen theatertauglichen Text umzuschreiben. Doch statt Verkaufsstrategen und modebesessener Kundinnen erlebt man hier nur versonnene Erzähler ihrer selbst. Was Denise erlebt und denkt, ließe sich durchaus als Monolog sprechen oder von außen kommentieren. Doch Regisseurin Mareike Mikat hat den eigenartigen Entschluss gefasst, auch die narrativen Teile des Erzählwerks den Figuren in den Mund zu legen, die dann ganze Textpassagen aufsagen und dabei von sich in der dritten Person sprechen müssen. Erreicht hat sie mit dem statischen Verfahren eine peinigende Verlangsamung und bleischwere Lethargie. Und so schleppt sich der Abend ohne jede Dynamik gut zweieinhalb Stunden dahin. Immer mal wieder zwischengeschaltete Kapriolen, Salti, Rauf- und Laufeinlagen, Pas de deux und komische Sprünge in und aus der engen Kiste, in der die immer mehr verarmenden kleinen Familienbetriebe stecken, nötigen allenfalls Respekt für die akrobatischen Fähigkeiten der Darsteller ab. Und das so magnetisch wirkende Warenangebot selber? Buntes Chaos. In Stuttgart segeln gewaltige Mengen Stoffbahnen vom Bühnenhimmel, die hin und her geworfen, rumgezerrt und zu Haufen zusammengeschoben werden und schon mal Menschen unter sich begraben, die sich darin verknäulen. Winterlich weißer Konfettiregen, durchsetzt von blutig-roten Einsprengseln symbolisiert Fluch und Segen satter Gewinne. Und am Rande steht ein putziges Miniatur-Kaufhaus-Tempelchen - eine Art Modepüppchenheim: als beinahe niedliches Zeichen für ein Phänomen, dessen Kräfte Menschen in ihren Bann ziehen, aus ihrer Bahn reißen, Stadtteile aussaugen und Lebensläufe vernichten.
Arrangierte Bildchen und Delikatesshäppchen
All das sollte man in Theater doch wohl spüren, statt es in arrangierte Bildchen und Delikatesshäppchen zerlegt umständlich erzählt zu bekommen. Unübersehbar stellt sich die Frage, ob man Erkenntnisse eines historisch noch so hellsichtigen Romans unbedingt auf die Bühne bringen muss, wenn es um die Auswirkungen der um Billiglohnproduzenten verschärften Geschäftspraktiken der Konsumbranche und ihre Kunden geht.