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Emmy-gekrönte Serie "The Handmaid's Tale"
Die dunkle Zukunft Amerikas

1985 war "Der Report der Magd" von Margaret Atwood eine Sensation: Der Roman erzählte die Geschichte einer jungen Frau, die in einer Zukunftswelt als Gebärmaschine missbraucht wird. Bei den Emmy-Awards räumte die Verfilmung groß ab - jetzt kommt die Serie "The Handmaid's Tale" nach Deutschland.

Michael Meyer im Gespräch mit Ulrich Biermann | 02.10.2017
    Schauspielerinnen stehen in einer Reihe, gekleidet mit roten Kleidern und weißen Hauben
    Frauen als Gebärmaschinen - die Dystopie "The Handmaid's Tale" erscheint jetzt als Serie in Deutschland (imago stock&people/Zuma Press)
    Ulrich Biermann: Neu gewandet ist "Der Report der Magd" - 1985 erschien der Roman von Margaret Atwood. Die Geschichte einer jungen Frau, die in einer düsteren Zukunftswelt als Gebärmaschine missbraucht wird. Gefeiert damals als gelungenes Erbe von Huxley und Orwell, verfilmt von Volker Schlöndorff. Jetzt kommt die Geschichte zurück als zehnteilige Serie, ein US-Video-on-demand-Service hat sie produziert. Äußerst erfolgreich, viele Emmys gab es. Ab übermorgen gibt es "The Handmaid's Tale", auch auf Deutsch. Michael Meyer, Sie haben sie schon gesehen. Wichtigste Frage bei Serien: Wie kommt man rein? Wird man reingezogen?
    Michael Meyer: Also die Serie beginnt schon ziemlich verstörend: In der ersten Szene, da sieht man eine junge Frau, wie sie von Soldaten brutal das Kind entrissen bekommt. Und sie wird es erst sehr viel später sehen. Diese junge Frau, gespielt von Elisabeth Moss, wird verschleppt und wird zu "Desfred", also eine Art dauerschwangere Sklavin in der fiktiven Republik Gilead. Wir hören mal in einen Ton rein, relativ am Anfang der Serie, wie sie über ihr früheres Leben sinniert:
    Desfred: Vorher habe ich geschlafen, so haben wir es geschehen lassen, als sie den Kongress abgeschlachtet haben, sind wir nicht aufgewacht, als sie Terroristen die Schuld gaben und die Verfassung außer Kraft setzten, da sind wir nicht aufgewacht, nun bin ich wach. Mein Name ist Desfred, ich hatte einen anderen Namen.
    Meyer: Also man sieht schon: Diese düstere Diktatur die da entworfen wird, die ist ziemlich bedrohlich: Sie wurde nach einer Fruchtbarkeitskrise und einem theokratischen Staatsstreich gegründet. So ist es übrigens auch im Roman von Margaret Atwood. Die Frauen, die werden von sogenannten "Tanten" beaufsichtigt und leben in Gilead in Leibeigenschaft zu ihren Kommandanten, deren Namen sie auch tragen. Deswegen übrigens auch der Name "Desfred".In "Zeremonie"-Nächten wird Desfred gezwungen, mit ihrem Kommandanten Fred zu kopulieren, gespielt von Joseph Fiennes, während seine unfruchtbare Frau danebenliegt. Also: Dieses entwürdigende Ritual, das übrigens der biblischen Geschichte von Bilhah und Rachel entliehen ist, zeigt die ganze Entmenschlichung dieses diktatorischen Regimes. Im Übrigen ist es auch so, dass das auch in der Uniform der Frauen ausgedrückt wird: Man sieht so weiße Häubchen, hinter denen die Gesichter verschwinden, die Kleider sind knallrot wie Menstruationsblut. Also man merkt schon: Das Ganze ist auch visuell eine sehr düstere Welt, die da entworfen wird.
    "Die Schilderungen von so beklemmenden Unterdrückungsverhältnissen sind zeitlos"
    Biermann: Bei solchen Dystopien - und als solche würde ich das jetzt mal bezeichnen - ist ja immer die Frage: Wie ist man dorthin gelangt? Wie erzählt man diese Geschichte der Dystopie? Bildet man sie nur ab oder … Im O-Ton, den Sie gerade abspielten, hatte ich den Eindruck es wird auch ein bisschen die Vorgeschichte, wie ging die Entwicklung dahin, miterzählt.
    Meyer: Das ist auch so. Das ist sowohl in der Serie als auch im Roman so. Also es ist eine Dystopie, die nicht in ferner Zukunft spielt. Also man sieht jetzt nicht irgendwie Raumschiffe oder so etwas. Und die Geschichte wird komplett aus der Sicht von Desfred erzählt, und ihr erzählender Ton ist also düster, zynisch, aber an mancher Stelle aber durchaus auch voll schwarzem Humor. Und ich habe mal mit Helga Pfetsch gesprochen - sie war damals in den 80er-Jahren die deutsche Übersetzerin des Romans "Der Report der Magd" von Margaret Atwood. Pfetsch hat die amerikanische Serie bereits gesehen. Und sie hat mir erzählt, sie findet die Umsetzung des Romans hervorragend. Aber die Serie sei aus ihrer Sicht durchaus brutaler ist als das literarische Vorbild.
    Und dass das so ist, ist hier kein Zufall, denn Margaret Atwood hat an der Ausarbeitung des Drehbuchs mitgeschrieben. Von daher ist ja anzunehmen, dass sie damit einverstanden war. Atwood hat aber immer betont, dass die Geschichte keine feministische Story ist, sondern eine universelle, hat mir Helga Pfetsch erzählt:
    Helga Pfetsch: Und sie hat immer gesagt, es sind menschliche Themen, es sind keine feministischen Themen. … Ich würde sagen, die Schilderungen von so beklemmenden Unterdrückungsverhältnissen sind zeitlos. Sie sprechen ja direkt unsere Ängste vor Gewalt und Reduzierung aller Freiheiten unmittelbar an, und alles, was hier im Buch und Film an Schrecken und Grausamkeiten vorkommt, jetzt physisch oder auch psychisch, hat es irgendwo auf der Welt schon mal gegeben oder es gibt sie noch.
    "Eine düsteren Welt, die um ihres Selbsterhalts willen Frauen entrechtet"
    Biermann: Das klingt ja spannend. Also wenn man bedenkt, der Roman ist 1985 erschienen - über drei Jahrzehnte her - es gibt etwas Überzeitliches darin.
    Meyer: Ja, absolut. Das Spannende ist ja auch, dass in diesen Rückblenden, da bekommt man ja einen Eindruck, wie das Leben von dieser Desfred und den anderen Frauen war. Das ist ja ganz spannend zu sehen, weil das so kleine Geschichten sind. Also die Dinge fangen an, sich zu verändern, Frauen bekommen immer weniger Kinder, die Regierung wird reaktionärer. Und nach den Rückblenden finden sich Desfred und ihre Freundin Moira unter anderem in einem Umschulungszentrum wieder. Und da beginnt dann wirklich das Grauen. Da sieht man dann unter anderem auch diese "Tante" Lydia, gespielt von Ann Dowd. Also die ist wirklich total gruselig gespielt. Die quält die Mädchen da mit Moralpredigten und einem elektrischen Viehtreiber. Und was auch ganz interessant ist: Es gibt auch so spannende Dialoge in der Serie, wo dann diese "Tante" sagt: "Das alles kommt Euch ungewöhnlich vor, aber nach einiger Zeit wird es Euch normal erscheinen." Dieser Zynismus dieser düsteren Welt, die um ihres Selbsterhalts willen Frauen entrechtet, drückt sich dann unter anderem auch in einer Bemerkung von Desfreds Kommandanten Fred aus, die ich auch sehr treffend fand:
    Fred: Wir wollen die Welt nur besser machen.
    Desfred: Besser?
    Fred: Besser bedeutet nie besser für alle.
    Biermann: Besser für alle. Besser diese Serie auch für den Zuschauer?
    Meyer: Ja, also absolut. Ich finde, die Geschichte ist ja nicht so sehr eine düstere Vorhersage über das, was der Welt noch bevorstehen mag. Sondern es ist ja eher so eine Art Warnung, also über den Prozess, die Art und Weise, wie Leute sich verändern unter extremen Bedingungen. Wie sie nach und nach glauben, das Anormale ist normal, bis sie dann eines Tages begreifen, dass die neue Zeit eine viel schlechtere ist als die alte. Also insofern ist "The Handmaid's Tale" ja in beklemmender Weise auch sehr aktuell, finde ich.
    "Das ist schon eine sehr aktuelle, sehr spannende, sehr empfehlenswerte Serie"
    Biermann: Apropos Aktualität: Es gab ja viele Auszeichnungen für "The Handmaid's Tale" bei den Emmys für das Abendprogramm, für die Prime Time. Und diese Preise wurden immer so gewertet als: Das ist auch eine politische Auszeichnung. Sehen Sie "Handmaid's Tale" als politische Serie?
    Meyer: Ja, durchaus. Wobei man natürlich dazu sagen muss, die Serie ist ja 30 Jahre alt. Man darf auch eins nicht vergessen: Margaret Atwood hat den Roman ja geschrieben, damals 1984/85 in West-Berlin. Kalter Krieg, ummauerte Stadt - da hatte man zu diesen ganzen Themen von Diktatur, Unterdrückung natürlich auch noch einen anderen Bezug. Aber wenn man das jetzt mal in die Aktualität übersetzt, dann kann man den Roman und die Serie schon auch als Warnung verstehen, dass man aufpassen muss, dass man nicht Bürgerrechte abgibt. Insofern noch mal: Das ist schon eine sehr aktuelle, sehr spannende, sehr empfehlenswerte Serie.
    Biermann: Und im Vergleich zu Volker Schlöndorffs Verfilmung?
    Meyer: Ja, da muss man das Ganze natürlich etwas mehr komprimieren. Also das Ganze hat natürlich jetzt den Vorteil: Die Serie hat zehn Teile à 50 Minuten. Also man kann den Roman da ganz bequem auserzählen. Das ist natürlich in großer Vorteil von der Serie. Wobei ich den Film von Volker Schlöndorff damals auch sehr mochte. Aber das hier hat natürlich den Vorteil, dass die ganzen Details, die in dem Buch vorkamen, natürlich jetzt noch mal ganz intensiv, ganz lange erzählt werden können. Und das ist wirklich in keiner Minute langweilig. Also das ist wirklich … Man bleibt dran. Also man will diese zehn Folgen auch zu Ende schauen.
    Biermann: Danke Michael Meyer. "The Handmaid's Tale", ab übermorgen bei der Telekom. Genau, denn die wird jetzt auch zur Mediathek und streamt ab Mittwoch Serien.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.