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EnBW-Chef Claassen für verbindliche Vorgaben zum Klimaschutz

Der EnBW-Vorstandsvorsitzende Utz Claassen hat die G8-Einigung zum Klimaschutz als "gesichtswahrenden diplomatischen Kompromiss" bezeichnet. Für die nächsten Jahre gelte es, die Verbindlichkeit der Einigung Schritt für Schritt zu erhöhen, sagte der Chef des drittgrößten deutschen Energiekonzerns. Entscheidend sei dabei, dass Europa als Vorbild vorangeht und Länder wie die USA, China und Indien dem Beispiel folgen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 08.06.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Globalisierung, das ist der Begriff, der sich wie ein roter Faden durch diese Sendung zieht. Da ist die G8-Gruppe, die als Symbol für die Globalisierung gilt, auf der einen Seite. Auf der anderen sind die Globalisierungskritiker. Ist Globalisierung etwas, was mehr Chancen als Risiken birgt, etwas Unvermeidliches, das aber gestaltet werden kann, oder zementiert die Globalisierung nur die ungerechten Strukturen von heute, in denen die Reichen immer reicher werden und die Armen immer ärmer, wie es ebenfalls oft heißt? Und wenn der Prozess nicht aufzuhalten ist, was bedeutet das für Deutschland?

    Wir fragen den Top-Manager eines DAX-Unternehmens. Am Telefon begrüße ich Utz Claassen, den Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns EnBW, dem drittgrößten Energiekonzern in Deutschland. Gerade hat er ein Buch zum Thema veröffentlicht, Titel "Mut zur Wahrheit - Wie wir Deutschland sanieren können". Guten Morgen!

    Utz Claassen: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Claassen, zunächst vielleicht einmal an Sie die Frage: haben Sie damit gerechnet, dass sich die G8 nun doch in der Klimafrage auf eine Linie verständigen konnten?

    Claassen: Ja. Ich persönlich habe damit gerechnet. Ich habe noch Montagabend in Berlin an einem Abendessen teilgenommen, wo ich auch diese Erwartung geäußert hatte. Ich glaube, dass im Grundsatz die Verständigung und das Klima zwischen den G8-Staaten so gut ist, dass man es dort nicht so weit hätte kommen lassen, dass das Ganze in einem Fehlschlag geändert hätte dieser Gipfel zum Thema Klimaschutz. Im Übrigen muss man auch sagen, sind die Ziele ja nun nicht in einer solchen Verbindlichkeit festgeschrieben worden, dass diejenigen, die denen bisher kritischer gegenüber standen, nun bisher schon Dinge zugesagt oder kommittiert hätten, die im völligen Gegensatz zu deren bisherigen Annahmen und Erwartungen standen. Also, ich denke, ein gesichtswahrender diplomatischer Kompromiss, und die Verbindlichkeit gilt es jetzt, in den nächsten Monaten und Jahren Schritt für Schritt zu erhöhen.

    Heckmann: Und kommt Ihnen das als Chef eines großen Energiekonzerns entgegen, dass diese Ziele eben nicht verbindlich festgeschrieben wurden bisher?

    Claassen: Nein, gar nicht! Wir haben ja den Klimaschutz schon zu einem Zeitpunkt sehr, sehr stark in den Vordergrund gerückt, als der mediale Hype und der politische Hype noch nicht ganz so groß war. Wir haben schon im September letzten Jahres einen bis dahin in dieser Form in Deutschland noch nicht stattgefundenen Klimakongress mit sehr, sehr wichtigen weltweiten Experten von Australien bis Amerika in Berlin veranstaltet. Und ich glaube, wir müssen ein hohes Interesse haben an der Verbindlichkeit der Ziele, denn sonst droht ja das, was niemand wollen will und wollen kann, nämlich dass Europa einseitig in Commitments geht und andere in der Welt dem nicht folgen. Uns muss eines sehr klar sein: Wir können positive Vorbilder setzen. Wir müssen auch positive Vorbilder setzen. Aber das lohnt sich nur und nutzt auch ökologisch der Welt nur dann, wenn andere, übrigens nicht nur in den USA, sondern insbesondere in Ländern wie China und Indien, auch positiv zum Mitmachen bewegt werden können. Denn wenn Sie den erwarteten CO2-Anstieg allein in China sich einmal anschauen, dann ist das, was wir in Europa gestalten können, nur noch der Rundungsfehler im Steigungswinkel.

    Heckmann: Sie haben aber immer wieder innerhalb der Klimadebatte auch die Gelegenheit genutzt, die Atomenergie wieder in den Vordergrund zu schieben und zu argumentieren, dass die Klimaschutzziele nur erreicht werden können mit Hilfe der Atomkraft. Wieso setzen Sie nicht mehr auf erneuerbare Energien?

    Claassen: Wir setzen sehr viel auf erneuerbare Energien. Wir haben selbst als Unternehmen gerade das größte regenerative Stromerzeugungsprojekt der Bundesrepublik überhaupt, Rheinfelden, das große Wasserkraftwerk am Rhein, mit deutlich über 300 Millionen Euro Investitionen.

    Heckmann: Aber mehr als die Hälfte Ihres Stroms kommt aus der Atomenergie, wenn ich da richtig unterrichtet bin?

    Claassen: Etwa die Hälfte unseres Stroms kommt aus der Kernenergie, weil sie ja die Versorgungsstrukturen nicht über Nacht ändern können. Im Übrigen muss jedem auch klar sein, dass die Grundlast heute in Deutschland durch Kernenergie, Steinkohle und Braunkohle abgedeckt wird, weil das heute die grundlastfähigen Energieversorgungsformen sind. Der Wind mit seinen Amplituden, der weht mal und weht mal nicht. Die Sonne und andere Energieerzeugungsformen sind in der Form eben nicht in der Lage, heute die Grundlast abzudecken. Das kann einmal mittelbar so werden, wenn es uns gelingt, Energiespeicher und Transportmedien zu entwickeln, die heute nicht grundlastfähige Energieformen mittelbar grundlastfähig machen können.

    Aber die Realität ist, dass die Kernenergie heute 140 bis 160 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr vermeidet, und es mutet schon abstrus an, wenn wir einerseits über Glühbirnenverbote diskutieren, die vielleicht im günstigsten Fall sieben Millionen Tonnen CO2 sparen können, und wenn wir dann den größten Stellhebel, den wir überhaupt haben zum Klimaschutz heute, nämlich die Frage der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke, tabuisieren. Und es mutet schon etwas abstrus an, wenn man dann in einem Interview vom indischen Außenminister lesen muss, zu Recht lesen muss, dass Klimaschutz doch eigentlich nur dann aus heutiger Sicht wirklich zielführend ist, wenn auch die friedliche Nutzung der Kernenergie einbezogen wird. Die Kernenergie ist nicht allein die Lösung des Problems Klimaschutz, aber sie ist für eine beträchtliche Zeit eine wesentliche Voraussetzung, wenn wir wirklich diese Anstrengungen ernst meinen.

    Heckmann: Herr Claassen, weiten wir die Perspektive. Gehen wir weg vom Thema Klimaschutz im engeren Sinne. Deutschland gehört zu den Gewinnern der Globalisierung. Welche Verantwortung wächst da großen global operierenden Unternehmen zu?

    Claassen: Den Unternehmen wächst die Verantwortung zu, ihre Entscheidungen natürlich immer in einer gesamthaften Abwägung zwischen ökonomischen, wirtschaftlichen Interessen, denen sie ja auch in unserer Rechtsordnung gegenüber ihren Aktionären aktienrechtlich verpflichtet sind, aber auch natürlich in einer gesamthaften sozialen und ökologischen Verantwortungswahrnehmung. Ich glaube, dieser Dreiklang zwischen wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Entwicklung wird auch zunehmend erkannt. Und man muss auch sehen: Langfristig sind ohnehin wirtschaftliche und ökologische Optimierung konvergent. Das heißt, das, was ökologisch gut ist, ist langfristig auch wirtschaftlich gut und umgekehrt. Viele Konflikte ergeben sich häufig in der kurzfristigen Betrachtung. Und insofern müssen wir auch alle ohnehin lernen, unseren Berichts- und Gestaltungszeitraum ein bisschen stärker vom Monats- oder Quartalsergebnis wieder hin zu der Entwicklung, die man in Jahren und Jahrzehnten gestalten kann, zu lenken. Je mehr wir langfristig denken und handeln, desto mehr lösen sich auch die scheinbaren Zielkonflikte auf.

    Heckmann: Die Frage ist allerdings, ob die Unternehmen dieser Verantwortung, die Sie gerade beschrieben haben, gerecht werden. Kritiker sagen ja, dass sie sich der Verantwortung eher entziehen, indem sie Arbeitsplätze auslagern ins Ausland oder sich künstlich arm rechnen, um Steuern zu sparen.

    Claassen: Dieselben Menschen, die kritisieren, dass Arbeitsplätze teilweise ins Ausland verlagert werden, fordern, dass in ärmeren Ländern, in Schwellenländern, in Entwicklungsländern Arbeitsplätze und Wohlstand entstehen sollen. Ich glaube, wir müssen erkennen und anerkennen, dass es bei der Globalisierung genauso, wie es ja auch gerade die Kritiker zu Recht anmerken, keine einseitigen Gewinner und keine einseitigen Verlierer geben kann, geben darf und geben wird. Wir sind als Land über Jahrzehnte hinweg Gewinner der Globalisierung gewesen, denn die letzten 40, 50, 60 Jahre wirtschaftlicher Entwicklung, die uns zum Exportweltmeister gemacht haben, das war ja auch Globalisierung. Nur heute erleben wir als Volkswirtschaft und als Gesellschaft auch ein paar der zusätzlichen Herausforderungen, die die Globalisierung an uns stellt, denn wir erleben, dass das, was uns über Jahrzehnte hinweg getragen hat, nämlich bessere Produkte, bessere Produktqualität, bessere Produktionssteuerungssysteme, einen Teil seiner Kraft verliert in Zeiten von Bits und Bytes und lichtschnellem Informationstransfer, und wir erleben, dass wir mit Indien, China, auch mit starken osteuropäischen Wettbewerbern ganz neue Wettbewerber bekommen, die wir vorher in der Form nicht hatten, die uns auch in einer Form herausfordern, wie wir das bisher nicht kannten.

    Heckmann: Eine Entwicklung, die dazu führen kann, dass die Standards in Deutschland, die sozialen Standards, nach unten angepasst werden?

    Claassen: Entwicklung, die dazu führen wird, dass wir das Ausmaß an Sozialabsicherung, was wir als wünschenswert erachten, uns nur dann werden leisten können, wenn wir in wesentlichen Bereichen unserer volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesskette leistungsfähiger, noch leistungsfähiger werden, insbesondere in Bereichen wie Bildung, Ausbildung, Weiterbildung, in Bereichen wie Wissensmanagement, denn in Zukunft werden sich die erfolgreichen von den weniger erfolgreichen Volkswirtschaften durch drei Dinge unterscheiden: durch die Frage, wer hat die bestqualifizierten Teams, wessen Teams arbeiten am vernetztesten und am kooperativsten zusammen, und wer hat eine Kultur, die wirklich zu Innovation und zu Leistungen positiv motiviert? Insofern werden wir auch uns noch mal deutlich entwickeln müssen, um unser Wohlstandsniveau so zu halten. Das ist völlig außer Frage.

    Heckmann: Utz Claassen war das, Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns EnBW. Herr Claassen, besten Dank und auf Wiederhören.

    Claassen: Auf Wiederhören, Herr Heckmann.