Donnerstag, 28. März 2024

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Ende des INF-Vertrags
"Kein guter Tag für die Sicherheit in Europa"

Die Verantwortung für das Ende des INF-Abrüstungsvertrags trage Russland, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Dlf. Viele Anzeichen deuteten darauf hin, dass der Vertrag über Jahre verletzt wurde. Ein Rüstungswettlauf drohe nun aber nicht. Der Dialog mit Russland müsse fortgesetzt werden.

Heiko Maas im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 02.08.2019
Aussenminister Heiko Maas bei seiner Rede zur Eröffnung des 18. Petersburger Dialog 2019 in Koenigswinter
Die Verantwortung für das Ende des INF-Abrüstungsvertrags trage Russland, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Dlf (picture alliance / Flashpic / Jens Krick)
Jetzt gehe es darum, wie es angesichts neuer Waffen wie Cyberwaffen oder Killerroboter weitergehen solle, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Dlf. In diese Diskussion müssten auch andere Beteiligte mit einbezogen werden, etwa China und Indien. Da sei die Bereitschaft aber bedauerlicherweise nicht da, sagte Maas.
Mit Bezug auf die Krise am Persischen Golf sagte der Bundesaußenminister, werde Deutschland keinen Beitrag leisten, der die Lage weiter eskalieren würde. Einer amerikanischen Militärmission würde sich Deutschland nicht anschließen. Da sei die Gefahr eines Konflikts, einer Eskalation zu groß. Die US-Strategie sei es, maximalen Druck auf den Iran auszuüben. "Das ist nicht unsere", sagte Maas. Dies habe bislang auch nicht zum Erfolg geführt, sondern nur dazu, dass der Iran sein Atomprogramm wiederaufnehme. Einer europäischen Mission, einer Beobachtermission, stehe man offen gegenüber.

Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Sechs Monate betrug die Kündigungsfrist beim sogenannten INF-Abkommen über die Abschaffung von Mittelstreckenrakete, den die USA und die damalige Sowjetunion 1987 geschlossen haben. Der Vertrag gilt als Meilenstein der Abrüstungspolitik zum Ende des Kalten Kriegs. Heute vor genau einem halben Jahr kündigte US-Präsident Trump das Abkommen auf, weil Moskau sich schon lange nicht mehr daran halte, die sechsmonatige Kündigungsfrist ist also heute abgelaufen. Zugeschaltet ist Bundesaußenminister Heiko Maas von der SPD, schönen guten Morgen!
Heiko Maas: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Maas, der INF-Vertrag ist seit heute Geschichte. Wer trägt dafür die Verantwortung?
Maas: Dafür trägt Russland die Verantwortung, es gibt seit Jahren eine intensive Debatte darüber, ob Russland gegen diesen Vertrag verstoßen hat. Diese Debatte hat schon Präsident Obama geführt, es ist also kein Donald-Trump-Thema. Die Russen haben zunächst darauf hingewiesen, dass sie keine Raketen entwickeln, dann ist darauf hingewiesen worden, dass sie doch welche entwickeln, die aber nicht so weit fliegen. Das ist nicht sehr glaubwürdig gewesen. Wir, die deutsche Bundesregierung, haben alles daran gesetzt, in Gesprächen mit Russland darauf hinzuwirken, dass die Vertragstreue wiederhergestellt wird, weil dieser Vertrag wichtig ist für die Sicherheit in Europa. Das ist leider nicht gelungen. Und deshalb läuft dieser Vertrag aus, und das ist kein guter Tag für die Sicherheit in Europa.
Heckmann: Jetzt sagt Moskau aber, dieses umstrittene Raketensystem, das russische Raketensystem, habe nur eine Reichweite von 480 Kilometern, falle also nicht unter das INF-Abkommen. Sie sagen, das ist nicht sehr glaubwürdig. Haben Sie denn dafür auch Belege?
Maas: Ja, es gibt diese Diskussion ja bereits seit Jahren, es ist nicht so, dass das in den letzten sechs Monaten aufgekommen ist. Es gab immer die Hinweise darauf, es ist von unterschiedlichen amerikanischen Präsidenten thematisiert worden ...
"Das ist so Salamitaktik gewesen"
Heckmann: Welche Hinweise sind das?
Maas: Dass diese Rakete erst einmal entwickelt worden ist, was zunächst abgestritten wurde, dann nicht mehr. Dann ist darauf hingewiesen worden, dass es eine Rakete ist, die nicht so weit fliegt und damit nicht in den Geltungsbereich des INF-Vertrages kommt. Diese Rakete ist dann irgendwann auch präsentiert worden, das ist so Salamitaktik gewesen, das ist nicht sehr glaubwürdig. Und all die Informationen, die es gibt, deuten darauf hin, dass die russische Seite über Jahre diesen Vertrag verletzt hat und auch auf entsprechende Angebote, gewisse Dinge überprüfen zu können, ist nicht reagiert worden. Das bedauere ich sehr.
Heckmann: Aber ich verstehe Sie richtig, Herr Maas, dass es keine richtigen Beweise dafür gibt, dass diese Raketen weiter fliegen, als 500 Kilometer?
Maas: Doch, es gibt Beweise dafür, es gibt allerdings unterschiedliche Auffassungen. Es wird abgestritten von der russischen Seite, aber im Ergebnis hilft uns das jetzt auch nicht weiter. Die Vereinigten Staaten haben sich entschieden, aus diesem Vertrag auszuscheiden, weil es keine russische Reaktion auf die Vorwürfe gegeben hat und auch keine Aufklärung. Das ist alles schlimm genug, deshalb brauchen wir jetzt eine Diskussion darüber, wie es weitergeht. Im Übrigen nicht nur, was nukleare Mittelstreckenraketen angeht, sondern in den letzten Jahren sind aufgrund des technischen Fortschritts so viele neue Waffensysteme entwickelt worden, Cyberwaffen, Killerroboter, wofür es kein internationales Reglement gibt. Und da wir seit diesem Jahr im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sitzen, haben wir das Thema Rüstungskontrolle und Abrüstung dort auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist das erste Mal seit zwölf Jahren, dass im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wieder über Abrüstung und Rüstungskontrolle diskutiert wird. Das zeigt, wie notwendig es ist, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen.
Heckmann: Droht denn jetzt ein neuer Rüstungswettlauf wie im Kalten Krieg aus Ihrer Sicht? Und würde die Bundesregierung beispielsweise die Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in Europa akzeptieren, in Deutschland?
Maas: Also, dieser Wettlauf droht nicht – und wenn, würden wir uns auch nicht daran beteiligen. Im Übrigen hat auch der Generalsekretär der Nato darauf hingewiesen, dass es nicht darauf hinauslaufen kann, dass die Nato in der Art und Weise darauf antwortet, dass neue bodengestützte nukleare Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Es geht darum, defensiv darauf zu antworten und eben nicht in einen Rüstungswettlauf einzusteigen und im Übrigen auch den Dialog mit der russischen Seite aufrechtzuerhalten und insbesondere auch zu thematisieren, dass wir in der heutigen Zeit nicht nur Verträge zwischen Russland und den USA brauchen, denn wir brauchen mindestens Verträge zwischen Russland, den USA und auch China – und auch mittlerweile anderer Beteiligter, die im Besitz von Nuklearwaffen sind. Das ist das Thema, das auf die Tagesordnung gesetzt werden muss.
"Wir werden da nicht nachgeben"
Heckmann: Es wäre also wichtig einen neuen Vertrag, was diese Mittelstreckenraketen angeht, auszuhandeln. Auch die Langstreckenraketen, der START-Vertrag ist in Gefahr, der läuft 2021 aus. Neue Verträge, auch unter Einbeziehung Chinas und Indiens womöglich – im Moment sieht es aber nicht danach aus, dass die Bereitschaft der Beteiligten dazu besonders groß ist oder?
Maas: Nein, das ist bedauerlicherweise, ich bin selber in Peking unterwegs gewesen und habe dafür geworben, allerdings ist die chinesische Regierung da außerordentlich zurückhaltend. Und deshalb werden wir dieses Thema auch weiterhin etwa im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf die Tagesordnung setzen müssen und Druck machen müssen, dass die Staaten, die im Besitz von Nuklearwaffen sind, sich auch internationalen Regeln nicht verschließen, weil wir ansonsten wieder einen Wettlauf bekommen und auch bei Nuklearwaffen in eine Rüstungsspirale drohen, zu laufen. Das wollen wir verhindern, deshalb gibt es im Übrigen auch eine europäische Initiative, die wir in Europa zusammen mit Schweden und den Niederlanden auf den Weg gebracht haben, die im Übrigen darauf ausgerichtet ist, dass auch neue Waffensysteme international reglementiert werden, aber auch dass die neuen Supermächte wie China dort mit Vertragspartner werden sollen. Das ist im Moment alles andere als einfach, aber wir werden da nicht nachgeben, denn ich glaube, alles andere wird nicht so effektiv sein, dass wir wirklich Rüstungskontrolle oder eine Rüstungskontrollarchitektur in Europa und der Welt haben, die mehr Sicherheit und nicht weniger Sicherheit bringen wird.
Heckmann: Herr Maas, so weit zu diesem Thema INF-Vertrag. Wir müssen aber auch reden über die Lage in der Straße von Hormus. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte ja am Mittwoch in Brüssel gesagt, die Anfrage der Amerikaner, sich an ihrer Mission zu beteiligen, die werde geprüft. Sie selbst, Herr Maas, sagten nur wenige Stunden später, Deutschland werde sich nicht beteiligen. Was gilt denn nun, können Sie da helfen?
Maas: Wir haben in den letzten Wochen immer darauf hingewiesen, dass wir keinen Beitrag leisten werden, der die Lage in der Straße von Hormus oder am Golf insgesamt weiter eskalieren wird. Und wir haben auch deshalb mit den Franzosen und den Briten über eine europäische Mission gesprochen, die eine reine Beobachtermission sein sollte, weil wir eben keine Eskalation wollen – und schon gar keine militärische. Die amerikanische Strategie ist die des maximalen Drucks gegenüber dem Iran, deshalb ist man aus dem Atomabkommen ausgestiegen, das ist nicht unsere Strategie, ich sehe auch nicht, dass diese Strategie erfolgreich ist. Der Iran steigt wieder in die Programme ein, deren Ziel es ist, eine Atomwaffe zu haben. Er verstößt gegen das JCPOA, gegen das Atomabkommen. Die regionale Rolle in Syrien oder im Jemen, die der Iran dort spielt, wird auch nicht besser, nichts wird besser durch diese Strategie. Und deshalb wäre es völlig inkonsequent, sich an dieser Mission zu beteiligen.
Heckmann: Aber die Frage ist ja, Herr Maas, wird diese Anfrage geprüft oder wird sie nicht mehr geprüft?
Maas: Diese Anfrage ist geprüft worden und wir können auch nicht ausschließen, dass wir von den USA weiterhin mit dem Thema beschäftigt werden. Aber die Politik der Bundesregierung ist die der Europäer gegenüber dem Iran. Wir setzen auf dieses Abkommen, weil wir darauf hinweisen, dass nur mit diesem Abkommen der Iran keine Atomwaffe mehr haben wird. Wenn das Abkommen weg ist, wird der Iran auch wieder in die nukleare Vorbereitung einsteigen, um eine Atomwaffe irgendwann produzieren zu können. Deshalb ist das nicht unsere Strategie und deshalb werden wir uns an einer solchen Mission auch nicht beteiligen.
"Was passiert, wenn es dort zu Konfrontationen kommt?"
Heckmann: Gut, das ist eindeutig. Aber wie kann es denn sein, Herr Maas, dass die Verteidigungsministerin eine andere Auskunft gibt als der Außenminister, gibt es da keine Kommunikation zwischen den beiden Häusern?
Maas: Da gibt es eine Kommunikation, die sehr intensiv und sehr vertrauensvoll ist, und ich erkenne ehrlich gesagt nicht, den Dissens, der daraus öffentlich jetzt gemacht wird. Die Verteidigungsministerin hat immer darauf hingewiesen, dass wir einer europäischen Mission offen gegenüberstehen und dass wir einer amerikanischen Mission aufgrund des Konfliktpotenzials eben nicht offen gegenüberstehen und sie selber das für unwahrscheinlich gehalten hat. Und das ist auch so, denn man muss ja auch die Frage stellen, es geht ja nicht darum, sich einfach zu beteiligen, sondern wer A sagt, muss auch B sagen. Das heißt, was passiert, wenn es dort zu Konfrontationen kommt, was passiert, wenn dort geschossen wird, was machen deutsche Schiffe und deutsche Soldaten dort? Und würden wir uns an einer militärischen Auseinandersetzung beteiligen, für die wir im Moment alles tun, dass sie überhaupt nicht stattfindet. Das ist auch eine Frage, die dabei beantwortet werden muss, und ich sehe ehrlich gesagt niemanden, der bereit wäre, sich in einen militärischen Konflikt, in eine gewaltsame Auseinandersetzung am Golf einzulassen, in dem die Bundeswehr eine kämpfende Rolle spielt.
Heckmann: Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen, der hat jetzt gesagt, dann muss es eben eine europäische Mission geben parallel zu der amerikanischen Mission, notfalls auch ohne Großbritannien. Herr Maas, können Sie hier im Deutschlandfunk sagen: Ja, daran wird sich Deutschland beteiligen, denn Deutschland muss ja mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, hat ja die Kanzlerin gesagt.
Maas: Genau, Deutschland muss mehr Verantwortung übernehmen, das tun wir auch, aber Deutschland muss auch in der Lage sein, bei jedem einzelnen Fall selbst zu entscheiden, und zwar sachlich, rational und vernunftbegabt, ob etwas sinnvoll ist oder nicht. Bei einer amerikanischen Mission sagen wir nein, die Gefahr eines Konflikts und einer Eskalation ist zu groß. Bei einer europäischen Mission sagen wir, ja, das ist etwas, dem stehen wir offen gegenüber, dabei ist im Moment nicht klar, wie eine solche aussehen kann. Wir werden aber auch mit unseren europäischen Partnern weiter darüber reden und wir werden insbesondere mit unseren französischen Partnern reden, aber wir werden auch das Thema innerhalb der europäischen Union weiter besprechen.
Heckmann: Reicht das, darüber zu reden, oder ist nicht mal jetzt auch die Zeit angebrochen, zu sagen: Ja, Deutschland wird sich beteiligen.
Maas: Wissen Sie, ohne Reden geht gar nichts, denn das Reden ist die Voraussetzung dafür, dass man sich einigt. Und ehrlich gesagt, wenn man über den Einsatz von Kriegsschiffen oder Militärflugzeugen redet, finde ich es ehrlich gesagt sogar eine notwendige Voraussetzung, sehr angemessen über etwas zu reden, denn so etwas kann auch dazu führen, dass es militärische Folgen hat, eine Auseinandersetzung nach sich zieht. Und so etwas einfach mal nur so zu entscheiden, weil es jetzt mal an der Zeit ist, dass sich Deutschland auch irgendwo beteiligt, das halte ich für verantwortungslos. Wir müssen das sehr ernsthaft, sehr rational abwägen – und das tun wir, das tun wir mit Frankreich, aber das tun wir auch mit anderen europäischen Staaten.
Heckmann: Ich danke Ihnen!
Maas: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.