Dienstag, 07. Mai 2024

Archiv

Endlich mal erklärt
Schlafen die Kulturinstitutionen im Lockdown?

Seit Monaten sind Theater und Museen bis auf kurze Unterbrechung für das Publikum geschlossen. Aber das bedeutet nicht, dass hinter geschlossenen Türen Stillstand herrscht: Neue Ausstellungen werden vorbereitet, der Probenbetrieb läuft unter Auflagen weiter - und es bleibt Zeit für Instandsetzungen.

Von Cornelius Wüllenkemper | 23.02.2021
Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet.
Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet. (dpa / picture alliance / Hubert Link)
"Also hier in Saal A kann man zwei Sachen sehen. Es sieht ein bisschen nach Großbaustelle aus, wie Sie sehen, nicht unbedingt nach einem Theater sondern eher nach einer Industriehalle."
Gut gelaunt weist Thomas Ostermeier in den Hauptsaal der Berliner Schaubühne. Zehn 1000-Liter-Reservoirs stehen aufgereiht vor der Bühne – das neue Hydraulik-Öl für die insgesamt 92 Hub- und Senkböden des Saals. Der Lockdown, der die Türen seit einem Jahr fast durchgängig geschlossen hält, bietet auch Zeit für fällige Instandsetzungen.
"In Saal A haben wir jetzt mit Sicherheit auch eine sehr gute Klimaanlage, die dafür sorgt, dass innerhalb von einer halben Stunde die Raumluft komplett mit Außenluft ausgetauscht wird. Das war eine irrsinnig zeitaufwendige Arbeit. Das war auch etwas, das durch die Pandemie... konnten wir ein bisschen besser arbeiten, wenngleich die Arbeitsabläufe ein bisschen länger dauerten, weil das mit dem Nachschub und dem Material auch wieder durch die Pandemie wieder beeinträchtigt war."
Die übliche Bühnenpause im Sommer wird in der Schaubühne in diesem Jahr entfallen. Verschobene und neue Produktionen warten auf ihre Premiere. Noch sind 90 Prozent der Hausangestellten und Ensemblemitglieder in Kurzarbeit.
"Es wird hier demnächst auch wieder szenisch gearbeitet, weil: Hier im Saal wird die Aufzeichnung von Vernon Subutex stattfinden. Also hier wird gleich demnächst aufgebaut, das große Bühnenbild, dann wird geprobt, und dann wird aufgezeichnet."

Proben unter strengen Hygiene-Auflagen

Gemeinsam mit dem professionellen Filmteam eines TV-Kulturkanals wird Ostermeier die Bühnen-Film-Adaption von Virginie Despentes Roman über den rasanten sozialen Abstieg des Vernon Subutex produzieren. Proben unterliegen in diesen Tagen einem strengen Reglement. Alle Beteiligten, vom Intendanten bis zum Haustechniker, sind je nach Kontaktfrequenz in Gruppen unterteilt, die sich nur unter Hygiene-Auflagen und zum Teil gar nicht begegnen dürfen.
"Wir haben im Saal auch einen Mitarbeiter, der extra dafür angestellt ist, diese Hygieneauflagen zu beachten. Das heißt: Der schreitet ein, wenn ich denen zu nahe komme, der schreitet ein, wenn jemand ein Mikrophon benutzt, das jemand anderes vorher benutzte. Alle Requisiten müssen ständig desinfiziert werden. Das ist ein großer Aufwand, aber auf der anderen Seite sind die Schauspieler so froh, und ich bin es auch, dass überhaupt was stattfindet, dass wir überhaupt arbeiten und inszenieren können."
...erklärt Thomas Ostermeier. Neben den Proben zum Theaterfilm bereitet sich das Haus auf weitere Inszenierungen und Gastspiele vor. So laufen die Bauproben für Sophokles’ "Ödipus" unter Ostermeiers Regie an, das im Juni im Antiken Theater Epidauros auf dem Peleponnes Premiere haben soll, mit 5000 statt 15.000 möglichen Zuschauern. Über 100 Gastspiele auf allen Kontinenten bestreitet die Berliner Schaubühne pro Jahr – das wird so in Zukunft kaum noch möglich sein, da ist Ostermeier sich sicher. Die errechneten Einnahmeeinbußen von 2,5 Millionen Euro wird das Theater wohl allein tragen müssen. Im Berliner Kunst- und Kulturbetrieb sind die Spuren, die das vergangene Jahr hinterlassen hat, ebenso präsent wie die – freilich etwas nervöse - Vorfreude auf die erhoffte Wiedereröffnung:

Vorfreude auf Wiedereröffnung

"Zum einen war es für uns natürlich erstmal ein großer Schock, als wir dann erfuhren, dass auch über Weihnachten das Haus geschlossen sein würde. Wir hatten fünf Ausstellungen, die fertig hier im Museum für die Besucher aufgebaut waren. Und das war erstmal sehr traurig, dass wir die Ausstellungen nicht öffnen konnten."
... meint etwa Gabriele Knapstein, Direktorin des Hamburger Bahnhofs in Berlin, als sie durch die dunkle Ausstellung der US-amerikanischen Künstlerin Bunny Rogers geht. Neben dem umfangreichen Online-Programm habe man die Zeit genutzt, um den Archivbestand neu zu inventarisieren aber auch, um eine neue Sicherheitsbeleuchtung zu installieren – bei laufendem Betrieb wäre das kaum möglich gewesen. Die Vorbereitungen für die Wiedereröffnung des Ausstellungsbetriebs laufen derweil auf Hochtouren.
"Wie man hört: im Hintergrund wird gearbeitet. Dort bauen wir jetzt die Ausstellung von Pauline Curnier Jardin auf, das ist die Preisträgerin des Preises der Nationalgalerie 2020, die jetzt hier ihre Einzelausstellung hat. Und sie kann jetzt hier in aller Ruhe mit ihrem Team in der Halle arbeiten. Und diese Ausstellung wird dann fertig sein, wenn wir Ende März, Anfang April wieder öffnen können."
So Gabriele Knapstein. In der riesigen Haupthalle baut die Französin Pauline Curnier Jardin derzeit an der Kulisse eines Colloseums, in dem ihr Film "Fat to ashes" zu sehen sein wird. Thematisch fügt sich das Werk passgenau in die Gegenwart ein:
"Meine Filmidee ist zwar noch vor der Pandemie entstanden, aber es geht tatsächlich um Massenveranstaltungen, Volksprozessionen, wie eben das Fest der Heiligen Agatha von Catania auf Sizilien und den Karneval in Köln. Ich untersuche diese christlichen und weltlichen Massenprozessionen daraufhin, was die Menschen zusammenbringt, und inwiefern diese Feste auf sie wie ein Ventil wirken."
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Direktorin Gabriele Knapstein merkt man die Vorfreude an. Die Ausstellungsplanung des Hauses sei zuletzt zwar vor allem durch die Umdatierung von Leih- und Transportaufträgen geprägt gewesen. Aber der Aufwand habe sich klar gelohnt.
"Wir haben das nach dem letzten Lockdown im vergangenen Frühjahr erlebt, mit welcher Freude und Neugier und Aufmerksamkeit das Publikum auch wiedergekommen ist. Und das war vielleicht die berührendste Erfahrung für eine Museumsdirektorin, dass man doch eindeutig die Rückmeldung erfahren hat, wie viel es den Besucherinnen und Besuchern bedeutet."