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Endlich mal erklärt
Was wurde aus 3D im Kino?

Monster, Fantasy-Wesen oder Gegenstände, die von der Leinwand herunter scheinbar durch den Kinosaal fliegen: Dieses Erlebnis soll 3D-Kino bieten. Der Zuschauer ist dank Brille mitten im Geschehen. Wird dadurch aber das Kinoerlebnis tatsächlich gesteigert?

Von Rüdiger Suchsland |
Eine Mutter mit Kleinkind schauen einen Film im 3D-Kino an.
Hilfe dringend nötig: Erst Brillen führen im Kino zum 3D-Effekt (imago images / PhotoAlto / Jérôme Gorin)
Am Anfang des 3D-Kinos hatten die Zuschauerinnen und Zuschauer eine Pappbrille auf der Nase - mit einem roten und einem grünen Sichtfenster. Damit schwappten schon zwischen 1950 und 1980 immer wieder Wellen von 3D-Produktionen auf die Kinoleinwände. Meist waren es Abenteuer-, Horror und Softpornofilme im breiten Cinemascope-Bildformat. Ihr Erfolg beim Publikum war allerdings - ähnlich wie der versprochene 3D-Effekt - eher bescheiden.
Viel Geld verbrannt
Im Dezember 2009 kam dann "Avatar" in die Kinos: ein Film, in dem sich real gedrehte und computeranimierte Szenen vermischen. Große Teile wurden in einem virtuellen Studio mit neu entwickelten digitalen 3D-Kameras gedreht. Danach prophezeiten viele vermeintliche Experten und interessierte Produzenten, dass es bald nur noch 3D-Filme geben werde.
In der Folge wurde viel Geld investiert - und verbrannt. Einige Beteiligte verdienten sich in jenen Jahren zwar eine goldene Nase. Heute aber ist 3D-Kino kaum noch zu sehen, trotz einzelner nach wie vor in dieser Technik gedrehter Filme von Martin Scorsese und Alfonso Cuaron, trotz Arthouse-Erfolgen wie Wim Wenders' "Pina" und "Adieu au Langage" von Jean-Luc Godard.
Scheinbarer Durchbruch
Warum wurde 3D aber nicht grundsätzliche in Erfolg? Woran ist der anfängliche Boom, der sich Ende der Nuller-Jahre abzuzeichnen schien, gescheitert? Die Finanzkrise verschärfte damals die ohnehin schon der Digitalisierung geschuldete grassierende Krise des klassischen Kinos. Zugleich war mit der Digitalisierung des Filmbildes und der riesigen Rechenleistungen der Computer ein technisches Niveau möglich, das die Utopie eines "sehgerechten" Kinobildes plötzlich realistisch erscheinen ließ.
James Camerons "Avatar" bedeutete 2009 scheinbar den "Durchbuch". Es wäre aber eine naive Vorstellung von Hollywood, zu glauben, es sei damals nicht vor allem berechnend um etwas anderes gegangen: Ein Film, an den ohnehin schon höchste Erwartungen geknüpft waren, wurde dafür instrumentalisiert, eine technische Revolution durchzusetzen - und sei es auch nur eine Scheinrevolution.
Ästhetisch fragwürdiger Gewinn
Zweidimensionale Filme wurden hastig nachbearbeitet, oft mit miserablem Ergebnis. Neben B-Movies wie "Clash of the Titans" waren es gerade auch Werke von Autorenfilmern, die bereits auf ein großes Oeuvre zurückblicken können, wie Tim Burton oder Steven Spielberg - der sich in Interviews durchaus zur 2D-Tradition bekannte - oder in Deutschland Werner Herzog.
Regisseure also, die mehr als nur technische Ansprüche haben, bei denen man aber auch den Verdacht hegen muss, sie könnte vor allem gereizt haben, einmal die andere, neue technische Herausforderungen zu bewältigen. Im Wenders-Film über die Tanztheater-Choreographin "Pina" von Wim Wenders hat das auch hervorragend funktioniert.
Auf einem aufgeschlagenen Kunstlexikon liegt eine Brille
Spezialwissen der Kultur - Endlich mal erklärt Postdramatik? Dystopie? Keine Ahnung. Jede Kulturszene pflegt ihre Fachausdrücke, weil sie griffig sind und zutreffend. Wir erklären endlich mal die Begriffe der Spezialsprachen und antworten auf Fragen, die man sich vielleicht nicht zu stellen traut. Denn Arroganz war gestern.
Unerwünschter Schleier
Dass der Reiz der 3D-Bilder nach kurzem Boom bald aber wieder spürbar nachgelassen hat, hat technische wie ästhetische Gründe. Der Pop-up-Buch-Effekt einer zweiten Fläche, die sich vor die eigentliche Leinwand legt, stellt sich auch bei besten 3D-Techniken immer mal wieder ein. Das gilt auch für das "Schlieren", das "Nachziehen" und Milchigwerden der Bilder bei schnellen Kamerabewegungen.
Alle diese kleinen Mängel sind für sich genommen nicht weiter schlimm. Zusammen fallen sie aber ins Gewicht. Entscheidend ist erst ihr mittelbarer ästhetischer Effekt: Sie reißen den Betrachter aus jener tagtraumgleichen Versenkung heraus, die doch seit seinen Anfängen eines der wesentlichen Elemente des Kinosehens ist.
Konzentration aufs Technische
Ob man will oder nicht: Die Aufmerksamkeit wird plötzlich auf technische Gegebenheiten und Projektionsbedingungen gelenkt; darauf, wie gut die Effekte sind und ob man "was merkt". Diese Ablenkung von der Handlung, von den Bildern, vor allem von der poetischen Erfahrung der Evidenz im Augenblick, ist der ärgerlichste Effekt der 3D-Techniken.
Wird ein Film in beiden Versionen gezeigt, bevorzugt die Mehrheit nach wie vor 2D. Das 3D-Kino war vor allem für ein Teenie-Publikum attraktiv, das Kino noch nicht so gut kannte. Die übrigen Kinobersucherinnen und -besucher finden 3D originell, ein- zweimal interessant - dann erschöpft sich die Neugier aber auch schon. Letztlich wollen Menschen sich im Kino fallenlassen und verlieren. Niemand möchte durch 3D angestrengt werden. Die Grenzen dieser Technik zeigen sich daran am besten, dass es sich bei 3D-Filmen bisher fast ausnahmslos um Fantasy-, Science-Fiction- und Animationsfilme handelt.
Weltraumkino gewinnt
Trotz aller 3D-Skepsis gibt es aber auch Filme, die durch diese Technik gewinnen: "Gravity" von Alfonso Cuaron macht den Weltraum so plastisch und echt, wie man ihn noch nie gesehen hat. Und in "Hugo Cabret" entwirft Martin Scorsese so etwas wie seine Geschichtsphilosophie des Kinos. Eine Geschichte der Mechnaik und Technik, die die Aura der technischen Reproduzierbarkeit entstehen lässt.
Erst wenn aber ein Liebesmelodram mit zwei Personen oder ein typischer französischer Autorenfilm, in dem ein Dutzend Menschen nichts anderes tut, als in schöner Umgebung intelligente Gespräche zu führen und dabei gut auszusehen, auf 3D überzeugt, wird die neue Technik das Kino, wie wir es kennen, ersetzen können. Aber will das überhaupt irgendjemand?