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Endspurt im Wahlkampf der Union

Heuer: Die Dinge laufen nicht gut für die Union im Schlussspurt. Ende August lag die SPD bei der Sonntagsfrage vor der Union - das erste Mal, seitdem Edmund Stoiber Kanzlerkandidat der CDU/CSU ist. Ende letzter Woche erreichte die Union eine weitere Hiobsbotschaft: die meisten Meinungsforschungsinstitute sagen jetzt eine Mehrheit für Rot-Grün voraus, das erste Mal in diesem Jahr. Das bedeutet einen deutlichen Meinungsumschwung in der Bevölkerung, denn bislang sah es ganz danach aus, dass nach dem 22. September die Union gemeinsam mit der FDP die nächste Bundesregierung stellen könnte. Sieben Tage sind es heute noch zur Bundestagswahl, sieben Tage, in denen die Union versuchen muss, die Stimmung noch einmal zu wenden. Wie sie das versuchen will, darüber möchte ich jetzt mit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel sprechen. Guten Morgen, Frau Merkel.

    Merkel: Guten Morgen.

    Heuer: Offenbar wollen Sie den Stimmungsumschwung mit einem Sofortprogramm für ein neues Zuwanderungsgesetz versuchen. Das jedenfalls wird heute überraschend von der Union in Berlin vorgestellt. Was steht denn da Neues drin?

    Merkel: Nein, unser Hauptschwerpunkt bleibt selbstverständlich das, was die Menschen in Deutschland am meisten interessiert, das ist ihre eigene Zukunft bezüglich der Arbeitsplätze, der sozialen Sicherungssysteme. Und in diesem Zusammenhang haben wir natürlich immer auch im Wahlkampf das Thema Zuwanderung auf der Themenliste gehabt. So zum Beispiel in Bezug auf verbesserte Integration - siehe auch Pisa-Studie - und auch auf die Frage: was bedeutet das für einen Arbeitsmarkt, auf dem schon vier Millionen Arbeitslose in Deutschland sind. Gleichzeitig sagen wir bei der Zuwanderung - und dabei wird es auch bleiben - an dem Wettbewerb um die besten Köpfe auf der Welt werden wir uns natürlich weiter beteiligen. Das wird jetzt in der letzten Woche, wie alle Themen, die uns beschäftigen, ins Blickfeld gerückt, aber eingeordnet natürlich in die ganz normale Themenpalette und da steht ganz oben: Zukunft der Arbeit und Zukunft der Arbeitsplätze und der Wirtschaft.

    Heuer: Wieso denn diese überraschende Initiative? Die Pressekonferenz zu dem Gesetz ist erst am Freitag Nachmittag angekündigt worden und findet heute morgen statt.

    Merkel: In der vergangenen Woche hat unser Kompetenzteam-Mitglied Günther Beckstein zum Beispiel eine Pressekonferenz zur inneren Sicherheit gemacht, also es ist praktisch jetzt noch einmal die Vorstellung der verschiedene Schwerpunkte und insofern sehe ich darin nicht ein solch überraschenden Effekt. Wir beantragen die Konferenzen auch sonst nicht Wochen vorher. Das heißt also hier noch einmal im Endspurt Fokussierung auf die wichtigen Themen dieser Woche. Wichtigstes Thema bleibt das Thema Arbeitsmarkt und Wirtschaft.

    Heuer: Die Demoskopen sagen außer Hochwasser und TV-Duellen habe vor allem die Irak-Debatte die Wählerstimmung gewendet. Gerhard Schröders uneingeschränktes Nein zu einem Krieg gegen den Irak kommt beim Wähler gut an. Nun ist die Union auf der anderen Seite nicht für ein uneingeschränktes Ja zum Krieg. Doch mit dieser Botschaft sind Sie offenbar nicht deutlich genug durchgedrungen. War die Union in dieser womöglich wahlentscheidenden Debatte womöglich zu wenig offensiv?

    Merkel: Das glaube ich nicht. Wir haben dem Bundeskanzler - und ich bleibe dabei - schwere Wählertäuschung vorgeworfen; ich bin so weit gegangen zu sagen, das ist die schwerste Wählertäuschung seit dem zweiten Weltkrieg und zwar besteht sie darin, dass es noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik einen Bundeskanzler gegeben hat, der Wahlkampf auf den Marktplätzen macht mit Positionen in der Außenpolitik, die wenn er weiter Bundeskanzler sein sollte, er niemals nach dem Wahltag durchhalten kann. Das weiß der Bundeskanzler und trotzdem spielt er hier mit dem Feuer, er spielt mit den Ängsten und Sorgen von Menschen, die wir natürlich alle sehr ernst nehmen, und das ist eigentlich aus meiner Sicht das Skandalöse in diesem Wahlkampf, und wir haben sehr deutlich gesagt: niemand möchte Abenteuer, vor allen Dingen auch die christlich-demokratische Union nicht, aber niemand möchte ein Abenteuer eines deutschen Sonderweges und deshalb wird selbstverständlich Deutschland in einer verantwortlichen Position sich immer nicht mit einem bockigen Nein in die Ecke stellen wie ein Kind, sondern bei der UNO, die das Handlungsmonopol hat, mitmachen. Und der Bundesaußenminister Fischer hat ja bei seiner Rede in der UNO schon deutlich gemacht durch seine Aussage, es gäbe keinen Automatismus, dass er sehr viel vernünftiger außerhalb Deutschlands argumentiert als das durch den Bundeskanzler im Lande erfolgt.

    Heuer: Sie haben sich gerade selbst zitiert, Frau Merkel, Sie haben im Bundestag gesagt, dies sei der schamloseste Betrug am Wähler in der Nachkriegsgeschichte. Betrügt der Bundeskanzler die Wähler auch, wenn er sagt, über Überflugrechte oder die Nutzung in Deutschland gelegener US-Militäreinrichtungen werde erst entschieden, wenn sich die Frage akut stellt?

    Merkel: Das ist ja schon das erste, was sich der Bundeskanzler praktisch an Rückzugsoptionen offen hält. Es ist ja auch aberwitzig, zu glauben, wenn ein UN-Sicherheitsrat von China über Russland bis Amerika Beschlüsse fasst (Deutschland ist übrigens nicht ständiges Mitglied des Sicherheitsrates) und Deutschland wäre das einzige Land auf dieser Welt, das sich abseits stellen würde. Das Fazit der Haltung des Bundeskanzlers ist im Grunde, dass, wenn alle sich so verhalten würden wie er, die Gefahr eines Krieges vergrößert und nicht verkleinert wird. Und deshalb muss er endlich Vernunft annehmen an dieser Stelle und aufhören, mit unredlichen Formulierungen die Wähler zu täuschen.

    Heuer: Bleiben wir trotzdem noch mal bei den Überflugrechten. Im zweiten TV-Duell hatte Erdmund Stoiber die Chance, dem Bundeskanzler öffentlich zu sagen, dass der diese gewähren muss, dass er gar keine Chance hat, da rauszukommen. Weshalb hat er das denn nicht getan?

    Merkel: Edmund Stoiber hat den Bundeskanzler als erstes in diesem Fernsehduell gefragt, ob er jemals zum Telefonhörer gegriffen hätte und für seine Position der ablehnenden Haltung geworben hätte. Der Bundeskanzler stand an dieser Stelle sehr beschämt da, dass er als Staats- und Regierungschef eines wichtigen Landes - wir sind das größte Land in Europa - nicht die Kraft bislang hatte, zum Beispiel einmal mit dem amerikanische Präsidenten zu telefonieren, Berlusconi, andere waren da, der portugiesische Präsident jetzt, Tony Blair sowieso, die Franzosen haben eine vernünftige Haltung, wir sind in dieser Frage völlig isoliert und das hat Edmund Stoiber sehr deutlich gemacht.

    Heuer: Mit der Union in der Regierung wäre Deutschland nicht isoliert, sagen Sie. Bleiben wir noch mal bei den Überflugrechten: sagt die Union heute, wenn es zum Irak-Krieg kommt, wird Deutschland diese Überflugrechte den Amerikanern bewilligen?

    Merkel: Frau Heuer, Überflugrechte sind eine denkbare Möglichkeit. Wenn der UNO-Sicherheitsrat - und die UNO hat das Handlungsmonopol - bestimmte Maßnahmen beschließt, die wir doch heute alle nicht kennen, dann wird sich Deutschland nicht abseits stellen. Das ist meine feste Meinung.

    Heuer: Edmund Stoiber, Sie haben es erwähnt, hat vergangene Woche mit dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac telefoniert. Mancher Beobachter hätte sich gewünscht, dass sich das in etwas Konkretem niederschlägt, zum Beispiel in einer deutsch-französischen Initiative zur Irak-Frage. Wie finden Sie diese Idee?

    Merkel: Wenn wir die Wahl gewonnen haben, wird es solche Initiativen mit Sicherheit geben.

    Heuer: Kann man auch vorher vorschlagen.

    Merkel: Wir haben ja gesagt, dass wir den Plan des französischen Präsidenten unterstützen, nur sind wir selber ja im Augenblick nicht in der Regierung, sondern erst nach dem Wahltag und dann kann man das mit dem notwendigen Gewicht und Votum tun. Aber im Gegensatz zu dem deutschen Regierungschef Schröder haben wir diese Initiative voll inhaltlich begrüßt und werden sie, wenn wir in der Regierung sind, selbstverständlich auch umsetzen, befördern und daraus versuchen, eine europäische Position zu machen, die es im Übrigen nahezu auch schon ist, außer dass sich Deutschland bisher hier sehr bedeckt hält.

    Heuer: Zum Schluss, Frau Merkel, noch ein anderes Thema. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hat eine Finanzspritze zugesagt, um das deutsche Unternehmen MobilCom in letzter Minute vor der Pleite zu bewahren. Das wenigstens hat die Bundesregierung doch gut gemacht. Oder etwa nicht?

    Merkel: Es ist sicherlich vernünftig, dass man versucht, bestimmte Arbeitsplätze zu retten, es geht hier um 5.500. Dennoch wäre es besser, Banken hätten Kredite gegeben, so dass die Wirtschaftlichkeit dieser Maßnahmen auch wirklich gegeben ist. Und es bleibt der schale Beigeschmack, dass hier wieder aus wahltaktischen Unternehmungen schnell noch geholfen wird, aber dauerhaft für die Arbeiter eben dort nicht die notwendige Sicherheit da ist. Und für mich wird immer klarer, dass die Versteigerung der UMTS-Lizenzen, die ja kurzfristig dem Bundesfinanzminister viel Geld gebracht hat, letztendlich die Kleinaktionäre und wahrscheinlich auch den Bundeshaushalt mehr getroffen hat, als wenn man es wie in anderen europäischen Ländern gemacht hätte und die Lizenzen billiger vergeben hätte. Ich habe hier große Zweifel, ob das nicht ein riesiger Druck auf den Unternehmen insgesamt ist.

    Heuer: Sie glauben also auch nicht, dass MobilCom jetzt überm Berg ist?

    Merkel: Bestimmt noch nicht und es müsste wirtschaftlich abgesichert sein, dass diese Kredite wirklich notwendig sind und zu einer wirtschaftlichen Gesundung führen. Das ist bei Banken sicherlich besser der Fall als wenn es staatliche Finanzspritzen sind.

    Heuer: Vielen Dank, das war Angela Merkel, die Vorsitzende der CDU in Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch, Frau Merkel.

    Merkel: Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio