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Endzeitängste
Wann geht die Erde unter?

Einschläge von Asteroiden, Erlöschen der Sonne, Klimaschock. Weltuntergangs-Szenarien sind tief im westlichen Weltbild verankert. Seit jeher wird an mutmaßlichen Terminen herumgerechnet. Der Historiker Johannes Fried beschreibt in seinem neuen Buch "Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs", dass apokalyptisches Denken tief zur christlichen Kultur gehört.

Von Hans-Martin Schönherr-Mann | 19.08.2016
    Der Historiker Johannes Fried, aufgenommen am 10.1.0.2013 auf der Frankfurter Buchmesse
    Der Historiker Johannes Fried. (picture-alliance / dpa / Arno Burgi)
    Spätestens wenn sich die Sonne zur Supernova aufblähen wird, geht die Erde unter. Lange vorher wird sie unbewohnbar sein. Womöglich zerstören die Menschen die Erde selbst, sei es aus heutiger Perspektive durch extensive Umweltzerstörungen oder durch einen Atomkrieg. Der Weltuntergang ist heute in den Medien ein beliebtes Thema, vor dem sich die Zeitgenossen gerne gruseln. Doch neu ist weder das Thema noch die damit verbundene Angst. Vielmehr hat der Weltuntergang nicht nur eine Geschichte, die der Historiker Johannes Fried in seinem Buch "Dies Irae" beschreibt. Der Weltuntergang hat auch einen Anfang, nämlich im Christentum, das diese Vorstellung als erste antike Religion entwickelt, obgleich es dabei auf Vorläufer im Judentum zurückgreift. So erläutert Johannes Fried:
    "Im Judentum haben wir zwar eine apokalyptische Tradition, die führt aber immer nur zum großen Tag des Herrn. Das ist ein Gerichtstag, aber es gibt keinen Weltuntergang. Es gibt zwar einmal die Formulierung, dass es brennen wird wie in einem Schmelzofen. Das gilt aber den bösen Menschen und nicht der Welt."
    Ein apokalyptisches Denken entsteht
    Das Christentum lebt an seinen Anfängen von der Erwartung, dass Christus bald wiederkehren wird. Mit der Zerstörung des Tempels und dem Brand von Jerusalem im Jahre 70 verbindet sich die Vorstellung eines umfassenden Weltgerichts als einem Ende der Welt als ganzer, eben nicht mehr nur ein Strafgericht, das auf der Welt Ordnung schafft. Johannes Fried:
    "Das wird jetzt ein Ofen, der die ganze Erde verbrennt und alles geht jetzt in den Flammen unter. Da ist der zweite Petrusbrief, ein relativ frühes Zeugnis, das dann auch in den christlichen Kanon eingeht und daher eine besondere Bedeutung gewinnt, insbesondere bei Augustinus zitiert wird. Das sind also dann die Verschärfungen einer apokalyptischen Vision durch eine Erlösungsreligion, die sich an alle Menschheit wendet, nicht nur etwa an das Volk Israel."
    So entsteht ein apokalyptisches Denken, das weder die anderen antiken Religionen noch die ostasiatischen kennen. Der Islam, der sowohl durch jüdische wie christliche Einflüsse geprägt ist, kennt den Weltuntergang auch. Doch spielt dieser im Islam nur eine untergeordnete Rolle. Das Christentum entwickelt daraus eine Technik der Seelenlenkung. Denn das Jüngste Gericht als Weltuntergang lässt keinerlei Revision mehr zu. Danach kann man für das eigene Seelenheil nichts mehr tun, können auch die Nachkommen für ihre Vorfahren nicht mehr beten. Da letztlich nur Gott weiß, wann es soweit ist, muss man immer so leben, dass das finale Ende jederzeit kommen kann. Ganz überraschend tritt es indes nicht ein, gibt es vielmehr Zeichen, die den Weltuntergang ankündigen und die man daher genau studieren sollte, um noch rechtzeitig das Notwendige für das Seelenheil zu unternehmen. Johannes Fried:
    "Es gibt besonders schön im Matthäus Evangelium die sogenannte kleine Apokalypse, in der Jesus die Untergangszeichen auflistet und tatsächlich auch von dem Untergang spricht, was da vorkommt, Unwetter, böse Menschen, und, für mich immer am eindrucksvollsten, die Liebe erkaltet. Das ist das letzte Jesus-Wort direkt vor der Ankündigung des Unheils. Liebe erkaltet zwischen den Menschen. Das ist ein Wort, das Sie bis zur Gegenwart brauchen können."
    Der Weltuntergang hat sich in diversen Formen verwissenschaftlicht
    Die Zeichen wird man im Laufe der Geschichte vor allem unter den Theologen immer genauer studieren und auch das Alter der Erde gemäß der Bibel eruieren, um zu erahnen, wann das Ende naht. 6-7.000 Jahre seien ihr von Gott gegönnt. So beauftragt Karl der Große um 800 seine Gelehrten, der bekannteste ist Alkuin, mit solchen Forschungen, die die Lebensalter von Adam, Noah, Abraham zusammenzählen, um auf diese Weise das Alter der Erde zu berechnen: Der Untergang schien sich wirklich zu nähern. Um diesen womöglich zu verhindern beziehungsweise hinauszuschieben, schließt Karl der Große an die römische Tradition des Imperator Romanorum an, hat sich Rom selbst doch als ewige Stadt verstanden. Johannes Fried:
    "Alkuin, dieser Angelsachse, wünschte eigentlich sich einen christlichen Kaisertitel als rex christianum, während Karl sich für den römischen Titel entschieden hat. Das hängt wahrscheinlich auch mit apokalyptischen Vorstellungen zusammen, die sich aus dem zweiten Thessalonicher-Brief ergeben haben, dass der Weltuntergang erst dann kommt, wenn das Römische Reich zu Ende ist. Und solange das Römische Reich existiert, wird die Welt bestehen bleiben."
    Doch wer glaubt, dass mit der Aufklärung und dem Fortschritt der modernen Naturwissenschaften der Weltuntergang als Thema verblasst, der sieht sich getäuscht. Das christliche Verständnis von Anfang und Ende der Welt hat sich längst als Grundmuster in das europäische Denken eingebrannt, so dass auch die Wissenschaften heute immer noch bevorzugt nach einem Anfang und einem Ende fragen – man denke an den Urknall und den Untergang der Materie in schwarzen Löchern. Obendrein gibt schon Machiavelli dem Fürsten den Rat, dass man mit Furcht und Schrecken das Volk am besten lenken kann. So hat sich der Weltuntergang in diversen Formen verwissenschaftlicht und erscheint dadurch dem modernen Menschen umso realer. So bemerkt Johannes Fried:
    "Auf der Erde gibt es entsprechende Beobachtungen in Form von Überbevölkerung, Hunger kann die Menschheit auslöschen. Das halte ich für durchaus realistisch. Aber vielleicht löscht sie sich dann doch nicht ganz aus. Zwei Individuen gleich Adam und Eva bleiben noch mal übrig wie nach der Sintflut."#
    Manche apokalyptischen Warner fordern eine kulturelle Wende
    Besonders aktuell ist natürlich die Debatte um die Auswirkungen der CO2-Emissionen und die daraus gefolgerte Klimakatastrophe. Sie wird längst auf der höchsten politischen Ebene diskutiert. Wiederkehrende sogenannte Klima-Gipfel suchen nach globalen Antworten. Manche apokalyptischen Warner fordern sogar eine kulturelle Wende. Die Pragmatiker suchen eher nach neuen Formen klimaneutraler Energiegewinnung. Sie wollen wie Karl der Große das Ende noch eine Weile verzögern. Freilich gibt es auch Gefahren für das Klima, auf die der Mensch kaum Einfluss hat. Johannes Fried:
    "Aber was drohend ist, ist Supervulkanismus oder ein realer Crash mit einem Asteroiden. Das sind reale Gefahren. Der letzte große Vulkan, der ausbrach, der Tambora in Indonesien 1815 hat bewirkt, dass ein Jahr später auch in Europa der Himmel verdunkelt war, ein Jahr ohne Sonne. Und das ist nur ein vergleichsweise kleiner Ausbruch im Vergleich zu dem, was droht, wenn der Vulkan unter dem Yellowstone-Park losbricht. Das könnte die Hölle werden."
    Vor solchen realen Hintergründen ist der christliche Weltuntergang weitgehend verblasst, wird heute davon in den großen Kirchen kaum noch gesprochen. Gleichzeitig erschaudern immer noch viele Zeitgenossen, wenn sie von religiösen oder esoterischen Prophezeiungen erfahren, fanden im Vorfeld der letzten Jahrtausendwende die Weissagungen des Nostradamus plötzlich selbst unter manchen aufgeklärten Zeitgenossen wieder Gehör. Als 1909 der Hallesche Komet mal wieder am Himmel auftauchte, ängstigten sich viele wie bei ähnlichen Ereignissen in den Jahrhunderten zuvor. Nur dass sie darin kein göttliches Zeichen eines bevorstehenden Weltuntergangs erblickten, sondern Astronomen glaubten, die im Schweif des Kometen Anzeichen für Blausäure und Zyankali gesehen haben wollten, was der irdischen Atmosphäre gefährlich werden könnte. Und immer wieder verkünden Sekten das Ende der Welt. Johannes Fried bemerkt dazu:
    Auch die christlichen Theologen glaubten fest an die Apokalypse
    "Der Weltuntergang ist auch im 19. Jahrhundert nicht ganz verklungen. Wir haben da ja eine Serie christlicher Sekten, die entstehen und heute in Amerika sehr breit sind. In Amerika wird der Weltuntergang kontinuierlich gepredigt. Armageddon ist ein Stichwort für die amerikanische Religiosität bei vielen Christen dort. Und das ist nun eine These von mir, dass aus dieser christlichen Tradition, über den Weltuntergang nachzudenken, auch ein wissenschaftlicher Impetus entstanden ist."
    Nicht nur dass die Wissenschaften also die christliche apokalyptische Tradition fortschreiben. Sie finden dadurch wie im Mittelalter bei den Menschen Gehör, die sich damals wie heute in einer chaotischen Welt ängstigen. Auch die christlichen Theologen glaubten fest an die Apokalypse, die sie dem Volk predigten. Eher um ihren Umsatz zu erhöhen, berichten die Massenmedien heute gerne über Szenarien eines Weltendes, die die Aufmerksamkeit der verängstigten Zeitgenossen erregen. Dasselbe gilt für die Literatur, die Musik, den Film oder Videospiele. Der Weltuntergang ist seit 2000 Jahren ein beliebtes Thema im Abendland. Während das Buch "Dies Irae" also durchaus die moderne wissenschaftliche Apokalyptik relativiert und insofern dazu beitragen könnte, die Ängste der Menschen jedenfalls nicht zu vergrößern, so möchte Johannes Fried damit andererseits nicht von den Gefahren ablenken, denen die moderne Welt durch das Tun der Zeitgenossen ausgeliefert scheint. So fordert Fried:
    "Was man heute tun kann, ist einfach die Menschen warnen: Was ihr treibt kann gefährlich werden und wenn ihr es übertreibt, dann wird es auch gefährlich und darüber sollte man nachdenken."
    Johannes Fried: "Dies Irae. Eine Geschichte des Weltuntergangs"
    München 2016, C.H.Beck, 350 S. mit 44 teils farbigen Abbildungen Gebunden, 26,95 Euro