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"Energiewende eine Riesenchance für Schleswig-Holstein"

Ein schwarz-gelbes Bündnis wünscht sich CDU-Spitzenkandidat Jost de Jager nach der Landtagswahl am 6. Mai. Doch eine Koalition mit den Grünen sei heute "eher möglich" als in der Vergangenheit, so de Jager. In den Langzeitstreit um die Schulpolitik müsse "produktive Ruhe" einkehren.

Jost de Jager im Gespräch mit Dietrich Mohaupt | 25.03.2012
    Dietrich Mohaupt: Herr de Jager, im August vergangenen Jahres ging alles sehr schnell in der schleswig-holsteinischen CDU. Der bisherige Landeschef und designierte Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl Christian von Boetticher ist damals zurückgetreten, nachdem eine Affäre mit einer Minderjährigen veröffentlicht worden war. Kurz danach waren Sie dann schon der neue Landesvorsitzende und auch der Spitzenkandidat. "Von der Ersatzbank auf den Ministerpräsidentensessel" – wie gut könnten Sie am 7. Mai mit so einer Schlagzeile leben?

    Jost de Jager: Sehr gut, weil die Mission dann hier erfüllt wäre. Also insofern könnte ich mit einer solchen Schlagzeile sehr gut leben, auch wenn sie unzutreffend wäre, weil ich vorher nicht auf der Ersatzbank gesessen habe, sondern ich war Stammspieler.

    Mohaupt: Es war schon die Regierungsbank, aber nicht unbedingt in der Rolle, in der Erwartungshaltung. Wie hat sich denn die Partei darauf eingestellt eigentlich, als das sich alles so plötzlich änderte? Wie hat sich das in den letzen Monaten entwickelt, Schockstarre – ja oder nein –, oder wie schnell war die dann überwunden?

    De Jager: Es gab natürlich kurz nach den Ereignissen schon auch eine schwierige Zeit, aber die haben wir sehr schnell überwunden. Ich glaube, es ist sehr schnell gelungen, eine neue Einigkeit herzustellen in der Union. Das ist auch gelungen, dass ich als Spitzenkandidat und Landesvorsitzender sehr breit getragen werde. Und insofern muss man sagen, sind die Turbulenzen des Sommers, die wir im August mit Sicherheit hatten, lange her.

    Mohaupt: Wir bleiben mal bei dieser Thematik. Sie haben vorhin gesagt, wenn das dann mit dieser Schlagzeile so hin haut, dann haben wir ja alles richtig gemacht, dann haben wir die Mission erfüllt. Hieße also ja dann Wahlsieg für die Union am 6. Mai. Und dann gibt’s ja auch schon 2013 wieder Bundestagswahlen. Ist das für Sie ein Anlass, über mehr Gewicht für Schleswig-Holstein auch in Berlin noch mal nachzudenken. Wie sehr zieht es Sie vielleicht auch nach Berlin – mit einer erfolgreichen Landtagswahl im Rücken?

    De Jager: Gar nicht, mich zieht’s überhaupt nicht nach Berlin. Ich hab das auch nie verspürt – die Anziehungskraft der Bundespolitik. Ich fühle mich in der Landespolitik ausgesprochen wohl. Sie sind in der Landespolitik doch dichter an den Themen dran, wir sind unmittelbarer auch mit den Auswirkungen Ihrer Politik konfrontiert und insofern habe ich kein Interesse, nach Berlin zu wechseln. Wenn es allerdings gelingen könnte, mit einem Ministerpräsidenten Jost de Jager das Gewicht Schleswig-Holsteins in der Bundespolitik zu vergrößern, dann würde ich mich freuen, dass das gelingen würde.

    Mohaupt: Bleiben wir also einfach in Schleswig-Holstein und – ja – nehmen uns mal die beliebte Farbenlehre vor. Schwarz-gelb, fangen wir damit mal an. Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass nach dem 6. Mai die Koalition mit Ihrem erklärten Lieblingsregierungspartner, also mit der FDP, weiter fortgesetzt werden kann. Deren Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki rechnet ja so mit satten 9 Prozent für seine Partei.

    De Jager: Also, ich schaue optimistisch in die Zukunft. Es ist auch richtig, wir befinden uns in unserer Wunschkoalition, das ist die Koalition, die wir immer angestrebt haben, mit der FDP. Diese Regierung hat gute Arbeit hingelegt. Und wir wären ja, wenn das Landesverfassungsgericht nicht gesagt hätte, dass wir früher wählen müssen, wären wir jetzt ja normalerweise in der Mitte der Legislaturperiode. Das heißt, die zweite Hälfte dessen, was wir vorhatten, haben wir jetzt ja gar nicht machen können bisher. Und insofern würde ich mir schon wünschen, dass man eine Koalition mit der FDP fortsetzen kann, weil das die Wunschkoalition ist. Auf der anderen Seite gehen wir nicht mit einer Koalitionsaussage in diesen Wahlkampf hinein, sondern wir werben für die eigene Stärke. Unser Ziel ist, die mit Abstand stärkste Kraft zu werden, ohne uns soll eine Regierungsbildung nicht möglich sein. Das ist unser Wahlziel.

    Mohaupt: Also es reichen die neun Prozent, mit denen Herr Kubicki so ein bisschen hantiert? Gerade wurden Sie zitiert mit den Worten: Sie wünschen sich gerne, mit einem zweistelligen Koalitionspartner zusammen zu gehen. Also, das würde ja dann nicht reichen bei neun Prozent.

    De Jager: Ich habe jetzt nicht zu bewerten, wie stark am Ende die Parteien sein werden, ich weiß auch gar nicht, wie stark wir werden. Ich lege mich nicht auf Prozentzahlen fest, weil das am Ende aus meiner Sicht nichts bringt. Je nach Konstellation können Sie manchmal mit 36 Prozent eine Regierung bilden, und manchmal brauchen Sie dafür 42. Also insofern ist das etwas, wo ich mich nicht festlegen möchte, sondern unser Ziel ist, dass wir die nächste Regierung stellen wollen als Seniorpartner, und deshalb gehen wir ohne Koalitionsaussage rein, sondern machen es am Ende abhängig vom Ergebnis und von dem, was nicht nur rechnerisch möglich ist, sondern dann auch inhaltlich möglich ist. Und das mache ich jetzt nicht davon abhängig, mit wem man am liebsten koalieren möchte. Ich bin sowieso dagegen, dass wir im Moment so tun hier in Schleswig-Holstein, als wenn Koalitionen vor der Wahl abgeschlossen werden. Koalitionen werden nach der Wahl abgeschlossen, wenn die Wähler gesprochen haben. Und so viel Respekt sollte man haben, das abzuwarten.

    Mohaupt: Trotzdem ist das halt immer so ein Punkt, über den man vorher natürlich redet, wen man da sich vorstellen könnte. Nach einer richtigen Umarmung für die FDP klingt das nicht. Abgehakt die FDP als Koalitionspartner? Kann man das formulieren?

    De Jager: Nein, das kann man nicht formulieren. Das kann man überhaupt nicht formulieren, sondern es geht darum, dass wir natürlich auch für unsere Wähler eine Machtoption schon beschreiben müssen, und es geht schon auch darum, dass wir realistischerweise auch darstellen müssen, wie am Ende eine Regierungsbildung mit der Union stattfinden kann. Und was die Frage anbelangt, dass ich mich ausgesprochen habe dafür, dass man vor allem in der Kategorie von Zweierbündnissen denken sollte, ist, dass ich schon finde, dass es Grenzen der Experimentierfreudigkeit gibt, was die Bildung von Regierung anbelangt. Wir haben ja gerade erlebt, dass sowohl im Saarland neu gewählt werden muss, weil eine Regierung instabil war. Das gleiche ist in Nordrhein-Westfalen der Fall gewesen, da muss jetzt auch gewählt werden, weil eine Regierung instabil war. Und ich glaube, es muss schon ein Ziel auch der Landespolitik sein, am Ende zu stabilen Regierungen zu kommen. Das ist unser Hauptziel, und das ist am besten mit einem Zweierbündnis möglich. Wenn es anders denn nicht geht, dann sei es drum. Aber am Ende, glaube ich, geht es schon darum, den Bürgern auch das Versprechen zu geben, dass wir für stabile Verhältnisse sorgen werden – und der Garant für diese Stabilität ist die Union.

    Mohaupt: Dreierbündnisse, von denen Sie eben als eher instabilen Konstellationen gesprochen haben, das wäre dann ja auch so was wie Jamaika eben. Saarland, Sie haben es angesprochen, das es nicht funktioniert hat – in Schleswig Holstein auch keine Option oder keine wünschenswerte? Herr Kubicki hat darüber recht intensiv nachgedacht.

    De Jager: Nun, ich bin gegen eine Ausschließeritis. Es ist völlig falsch, jetzt vor der Wahl zu sagen, was alles nicht geht, sondern es geht nur darum, dass man das Ziel beschreibt. Und das Ziel muss sein, eine stabile Regierung zu bilden, also ein Zweierbündnis, wenn es denn eben geht. Wir haben ja nicht nur übrigens in Nordrhein-Westfalen oder auch im Saarland jetzt mit solchen schwachen Bündnissen Erfahrung gemacht, sondern 2005 – das ist vielen von uns ja hier in Schleswig-Holstein noch sehr gegenwärtig – ist ja ein Dreierbündnis durch die Nichtwahl von Heide Simonis ja gar nicht zustande gekommen. Also insofern hat das auch eine Vorgeschichte in Schleswig-Holstein.

    Mohaupt: "Ausschließeritis" haben Sie es genannt, das ist nicht so Ihr Ding. Schwarz-grün, das war ja von zumindest Robert Habeck, dem Spitzenkandidaten der Grünen, nicht ausgeschlossen worden lange Zeit, inzwischen hat er sich so ein bisschen orientiert in Richtung SPD. Ist das noch ein Modell für Sie, denkt man über schwarz-grün überhaupt noch nach?

    De Jager: Also dass die Grünen im Verlauf des März eine Präferenz aussprechen würden für die SPD, war für mich nicht überraschend. Ich glaube auch, dass so etwas am Ende nichts verbaut. Am Ende geht es darum, was möglich ist, und es geht darum, dass am Ende man eben überlegen muss, gibt es ausreichend Schnittmengen. Und da ist eben schon meine Beobachtung, dass sich in den vergangenen Monaten, möglicherweise auch Jahren, in Schleswig-Holstein was getan hat, die Dinge sich auch verändert haben. Es gibt Schnittmengen mit den Grünen, die wir nicht hatten. Ich glaube, am Ende würde sich man bei der Haushaltspolitik treffen können, man würde sich mit Sicherheit treffen können beim Thema Erneuerbare Energien und Energiewende, wo wir nun eine ganz klare Agenda auch haben als Landesregierung, auch gerade als CDU. Insofern gibt es schon auch Schnittmengen. Es gibt aber nach wie vor Trennlinien. Also gerade, was das Thema Straßenbau anbelangt, gerade was das Thema Verkehrspolitik anbelangt, gibt es noch riesige Unterschiede zwischen CDU und Grünen, etwa am Beispiel der A 20 festgemacht. Die Grünen sind gegen die A 20, wir sind große Befürworter dieses großen Straßenbauprojektes. Und deshalb ist es schon noch ein offenes Rennen, ob es gelingt, aber ich glaube, es ist eher möglich, als es vor Jahren noch gewesen wäre.

    Mohaupt: Und dann, last by not least, wäre da ja noch die bekannte große Koalition – nicht gerade ein Erfolgsmodell hier in Schleswig-Holstein. 2009 ist die letzte zerbrochen an persönlichen Auseinandersetzungen. Peter Harry Carstensen als Ministerpräsident und der SPD-Fraktions- und –Landeschef Ralf Stegner konnten wirklich nicht mehr miteinander, hatte man den Eindruck zum Schluss. Wie sehr ist auch für Jost de Jager Ralf Stegner ein rotes Tuch?

    De Jager: Ach, ich halte nichts davon, tatsächliche oder vermeintliche Männerfeindschaften zu pflegen. Ich selber halte ihn für ausgesprochen ruppig, ich glaube auch, dass er einen sehr starken Linkskurs der SPD hier in Schleswig-Holstein fährt, er ist ja auch Sprecher der Linken in der SPD bundesweit. Also, insofern ist das schon einer, mit dem man sich jetzt nicht aus freien Stücken verbünden würde als CDU im Norden . . .

    Mohaupt: . . . aber Sie würden sich verbünden, wenn rechnerisch nichts anderes geht – oder mit Stegner mach ich nichts? Wie sieht es aus?

    De Jager: Für große Koalitionen gilt ja, finde ich, der demokratisch richtige Spruch: Sie müssen möglich sein, wenn es nicht anders geht. Aber niemand sehnt sich nach einer großen Koalition. Und große Koalitionen haben ja auch den Nachteil, dass etwa zur Hälfte der Legislaturperiode beide Parteien sich überlegen müssen, dass sie sich größtmöglich voneinander abgrenzen müssen, weil ja jede Partei bei der nächsten Wahl den Ministerpräsidenten stellen will. Also insofern, glaube ich, sind sie auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber wie gesagt: Keine Ausschließeritis, sondern es geht darum, dass wir am Ende schon in der Lage sein müssen, eine Regierung in Schleswig-Holstein zu bilden.

    Mohaupt: Bis Mitte Februar hat über der Landtagswahl auch noch ein anderer Schatten gelegen. Das war diese Affäre Wulff bis zu seinem Rücktritt. Hat das auch den Landtagswahlkampf regelrecht belastet, gerade für die CDU? Oder war das eigentlich für Sie – na ja – ein Nebeneffekt, der irgendwo abgelaufen ist, der hier aber nicht weiter gestört hat? Wie haben Sie diese Diskussionen um Christian Wulff und das ganze Drumherum hier in Schleswig-Holstein empfunden?

    De Jager: Nicht als eine Belastung für der Wahlkampf. Das ist in den Veranstaltungen, die ich gemacht habe, nicht spürbar gewesen. Es gab zwar vereinzelt Fragen dazu, aber eben nicht prägend, nicht dominierend in den Veranstaltungen. Es gab auch übrigens Fragen in alle unterschiedlichen Richtungen. Es gab auch schon sehr viele in der CDU, die der Auffassung waren, dass die Geschichte Wulff schon auch eine Medienkampagne war. Ich gehöre nicht zu denjenigen, das sage ich auch. Ich glaube, dass Wulff selber durch Fehler dazu beigetragen hat, dass es so gekommen ist wie es gekommen ist. Es hat aber parteipolitisch den Wahlkampf in Schleswig-Holstein nicht überlagert. Ich hatte während der Zeit eigentlich eher Sorge, dass die Amtsautorität des Bundespräsidenten als Amt so weit auch Schaden nehmen könnte, dass es in der Tat schwierig sein würde, das wieder aufzubauen. Das war eigentlich meine Hauptsorge, weil ich schon glaube, dass die Autorität des Bundespräsidenten im Gefüge der Bundesrepublik unerlässlich und unersetzbar ist. Und deshalb war es, glaube ich, kurz vor knapp, dass das Amt des Bundespräsidenten durch diese Angelegenheit Wulff keinen Schaden genommen hat.

    Mohaupt: Dann hat es vor einer Woche die Neuwahl gegeben, die Wahl von Joachim Gauck. Erwartungsgemäß hat er die überwältigende Mehrheit der Stimmen der Bundesversammlung erhalten. Gaucks Kandidatur war früh, ganz früh auch schon vom FDP-Lautsprecher Wolfgang Kubicki vehement unterstützt worden. Das hat bei der Bundeskanzlerin Frau Merkel ja nicht so richtig für gute Stimmung gesorgt. Hat da der Kubicki-Vorstoß für Unruhe in der Union gesorgt, und man hat sich nur angeschlossen und überreden lassen oder drängen lassen?

    De Jager: Also nach meinem Kenntnisstand war es eigentlich eher so, dass Wolfgang Kubicki über die Nachrichtenagenturen einen Namen rausposaunt hat, an dessen Umsetzung er nicht wirklich beteiligt war. Es macht sich an seinem Namen fest. Es war natürlich ein Stück Provokation der Kanzlerin. Ich bin aber sehr froh, dass sie die menschliche Größe auch gehabt hat und gezeigt hat, sich von der Provokation nicht in ihrem Handeln leiten zu lassen, sondern das Ziel der Union war ja nach dem Rücktritt von Wulff, dass es zu einem gemeinsam getragenen Präsidentschaftskandidaten kommt. Und dieses Ziel ist erreicht worden. Und das ist aus meiner Sicht das Wichtigste. Es geht nicht so sehr darum, wie man dazu gekommen ist, sondern es geht darum, dass das Ergebnis stimmt. Und ich glaube, es stimmt, weil es eben einen sehr, sehr breiten Konsens für Gauck gibt. Das ist die sehr wichtige Voraussetzung, dass sehr schnell Gauck als neuer Bundespräsident auch die Bugwelle aufbauen kann, die er braucht, um sein Amt auch auszufüllen. Insofern glaube ich, ist das eine ausgesprochen gute Entwicklung. Und Gauck war ja, auch wenn es 2009 zu einem anderen Kandidaten der Union gekommen ist, war ja immer von seinem Werdegang, von seinem Lebensweg jemand, der auch immer Sympathien in der CDU hatte, klar.


    Mohaupt: Jost de Jager, CDU-Landesvorsitzender und Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 6. Mai in Schleswig-Holstein ist heute zu Gast beim Deutschlandfunk im Interview der Woche. Herr de Jager, eine Landtagswahl 2012 in Deutschland hieß es irgendwann mal vor nicht allzu langer Zeit noch. Inzwischen sind es drei Wahlen. Saarland und Nordrhein-Westfalen sind noch dazu gekommen. Was hat sich dadurch verändert für Sie hier in Schleswig-Holstein ganz speziell?

    De Jager: Also, es hat sich nicht sehr viel verändert. Es ist schon so, dass gleichwohl wir diese Wahl jetzt dann doch in einem anderen Umfeld ausfechten. Anfangs war es ja so, dass man fast den Eindruck bekommen konnte, dass die Wahl in Schleswig-Holstein nun über das Schicksal der schwarz-gelben Koalition in Berlin entscheiden würde. Das ist ja doch jetzt ein bisschen auf breitere Beine gestellt, diese Vorentscheidung. Und natürlich haben wir ein anderes Umfeld. Ein bisschen bedingen sich die Ergebnisse ja auch gegenseitig, weil sie schon auch ein Stück politische Stimmung in Deutschland eben auch prägen. Natürlich verändert so ein Umfeld auch die Wahl, auch den Wahlkampf. Aber es wird jetzt nicht eine andere Entscheidung daraus, weil am Ende geht es ja nicht darum, dass wir hier eine Entscheidung treffen über den Fortbestand oder die Arbeitsweise einer schwarz-gelben Koalition in Berlin, sondern im Ergebnis geht es darum, dass es eine Richtungsentscheidung für Schleswig-Holstein ist. Und wir werden darauf achten müssen, dass es vor allem um die landesspezifischen Themen dabei geht. Das sind die Themen Haushaltskonsolidierung, das sind die Themen Bildung, das ist aber auch das Thema erneuerbare Energien, neue Verkehrspolitik.

    Mohaupt: Dass das nicht unbedingt eine Abstimmung über die Zukunft der schwarz-gelben Regierung in Berlin ist, das ist klar. Aber drei Wahlen, das heißt auch drei Mal die Möglichkeit zu verlieren für ein bestimmtes Bündnis, was in Berlin derzeit noch am Ruder ist. Eine Niederlagenserie von Schwarz-Gelb in den Ländern, setzt das nicht doch die Kanzlerin unter Druck?

    De Jager: Also ein positiver Effekt aus meiner Sicht dieser drei Wahlen, die wir jetzt haben, ist, dass eines deutlich wird. Man ist ja schon als Spitzenkandidat der CDU hier in Schleswig-Holstein angesprochen worden, ob das nicht ein bisschen absonderlich wäre, dass die CDU im Norden auf die Idee kommt, das Thema Finanzpolitik in den Mittelpunkt der Wahlauseinandersetzung zu stellen. Wir wissen jetzt durch die drei Wahlkämpfe im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein, dass das Thema Finanzpolitik, dass das Thema Hauhaltskonsolidierung das gemeinsam getragene Thema der Union in Deutschland ist. Und das ist auch ein Stück Rückenwind für uns, weil es eben deutlich macht, dass es ein Thema ist, wo wir eine breite Unterstützung auch in der eigenen Bundespartei haben. Insofern ist es ist das schon mal ein positiver Effekt. Und was die Auswirkungen auf die Kanzlerin anbelangt – ach wissen Sie, erst mal müssen die Wahlen ja ausgefochten werden. Wir kennen die Ergebnisse ja noch nicht. Man neigt ja immer dazu, im Vorfeld von Wahlen immer schon gleich bestimmte Prognosen zum abschließenden Ergebnis zu machen. Und auch, wenn es der erste Wahlkampf ist, in dem ich Spitzenkandidat bin, ist es nicht der erste Wahlkampf, den ich bestreite. Und insofern weiß ich, dass die Wahlen vor allem nicht in den Umfragen entschieden werden, sondern an der Wahlurne und vor allem auch in den letzten Tagen. Insofern lohnt es erst mal das Kämpfen. Und wenn wir die Ergebnisse haben, dann können wir immer noch mal sehen, wie das Ergebnis auf die Bundespolitik, die Bundesregierung oder gar die Bundeskanzlerin ist.

    Mohaupt: Also, kommen wir noch mal zurück nach Schleswig-Holstein. Sie haben vorhin schon die wichtigsten Themen im Wahlkampf angesprochen hier für das Land. Eins davon Haushaltssanierung, Stichwort Schuldenbremse – bis 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen für den Landeshaushalt, das steht in der Landesverfassung. Dass diese Schuldenbremse unverzichtbar ist, darüber sind sich bis wohl auf die Linken hier im Land alle Parteien einig. Über den Weg dahin gibt es heftige Diskussionen, jetzt auch in der vergangenen Woche noch mal wieder im Landtag. Für Sie führt an dem Festhalten, an dem knallharten Sparkurs, an der Schuldenbremse nichts vorbei, oder?

    De Jager: Nein, es ist auch ein Glaubwürdigkeitsthema, weil es schon darum geht, dass wir jetzt ja nicht erst mal kurzzeitig ein bisschen sparen müssen und einen Doppelhaushalt vorlegen, in dem wir jetzt Ausgabenzurückhaltung üben, sondern es geht im Kern darum, dass wir auch aus der Generationengerechtigkeit her jetzt die ersten Schritte machen für eine Haushaltskonsolidierung, die noch ein sehr, sehr langer Weg sein wird. Wir haben in Schleswig-Holstein in den vergangenen Jahrzehnten 27 Milliarden Euro Schulden aufgebaut. Das ist ein gewaltiger Berg. Und selbst, wenn wir das schaffen, in 100-Millionen-Euro-Schritten das abzubauen, kann man sich ja sehr schnell ausrechnen, wie viele Jahrzehnte und Jahrhunderte es dauert, bis wir damit wieder fertig sind. Insofern ist es eine Herkulesaufgabe, die wir vor uns haben. Und deshalb geht es darum, dass man jetzt nicht schon nach den ersten zwei Jahren den Mut dort wieder verlieren darf. Und das ist auch das Kernanliegen der CDU/FDP-Regierung hier in Schleswig-Holstein gewesen. Das ist auch der Markenkern, den wir haben. Und insofern geht es schon darum, auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit, das eben zu machen. Wir sparen ja nicht, weil wir eine Schuldenbremse haben, sondern wir haben eine Schuldenbremse, weil wir sparen müssen. Das ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, es ist auch eine Frage, wie man insgesamt richtige Grundlagen schafft, es ist die Frage, schaffen wir es aus eigener Kraft, wieder stark zu werden? Schaffen wir es, die Spielräume zu erarbeiten, die wir brauchen, um in die Zukunft unseres eigenen Landes zu investieren? Das sind die Fragestellungen, um die es geht. Und das ist eben nicht nur Sparpolitik.

    Mohaupt: Energiewende haben Sie auch schon angesprochen als eines der weiteren Top-Themen im Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein. Das haben Sie auch ganz persönlich zu Ihrem Anliegen gemacht, Atomkraft ist für Sie absolut überhaupt kein Thema mehr? Auch nicht die Nachwehen, die da so immer noch dabei sind?

    De Jager: Nein. Das war eine ganz klare Entscheidung. Ich habe zu den ganz frühen Unterstützern dieser Haltung von Frau Merkel gehört, auch von Norbert Röttgen, die ja im Frühjahr des vergangenen Jahres die Energiewende eingeleitet haben. Ich habe das aus ethischen Gründen für richtig empfunden nach Fukushima, auch aus politischen Gründen und deshalb auch mit voller Überzeugung. Nun ist die Frage des Ausbaus der erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein nicht erst ein Thema erst seit Fukushima, sondern wir haben eine sehr langjährige Erfahrung hier in Schleswig-Holstein, was den Ausbau, den Umgang mit den erneuerbaren Energien angeht. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man damit gut Geld verdienen kann. Wir sehen in der Energiewende eine Riesenchance für Schleswig-Holstein, zusätzliche Wertschöpfung nach Schleswig-Holstein zu bekommen, zusätzliche Arbeitsplätze nach Schleswig-Holstein zu bekommen. Und insofern wollen wir diese Chance nutzen. Wir müssen es übrigens auch, weil die Energiewende ohne den Windstrom aus Schleswig-Holstein schlichtweg nicht funktionieren wird. Und insofern haben wir auch ein Stück sogar eine nationale Aufgabe hier oben im Norden, dafür zu sorgen, dass auch künftig nirgendwo in der Bundesrepublik die Lichter ausgehen.

    Mohaupt: Windstrom – darauf richtet sich hier bei uns im Norden das Hauptaugemerk. Der Ausbau von On- und Offshore-Windparks boomt, so stark sogar, dass inzwischen die Stromkonzerne – man hat so den Eindruck – schon wieder so ein bisschen auf die Bremse treten, weil angeblich die Netzanbindung für die vielen neuen Windparks nicht zügig genug vorangeht. Dieses Transportieren des Stroms steht da als ein bisschen das Nadelöhr im Blickpunkt inzwischen. Gibt es da wirklich Schwierigkeiten beim Ausbau der notwendigen Netze, oder wird da auch so ein bisschen verzögert und auf Zeit gespielt auf Seiten der Konzerne?

    De Jager: Es ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Das wollen wir jetzt nicht unterschätzen. Gerade, was Offshore anbelangt, also die Anbindung dieser Parks durch Leitungen ist technisch ein wirklich schwieriges Thema. Es ist enorm finanzaufwändig. Sie brauchen mordsmäßig viel Kapital, um das auf den Weg zu bringen. Und es ist auch naturschutzrechtlich einigermaßen schwierig, was sich dort abspielt. Und insofern ist es schon anspruchsvoll und insofern sind Teile der Verzögerung einfach dem zuzuschreiben, dass es eine so komplexe Aufgabe ist. Wir sehen mit Sorge, ich sehe auch persönlich mit Sorge, dass jetzt schon auf den ersten Schritten offenbar ein wesentlicher Teil der Energiewende, nämlich der Ausbau der Leitungen insgesamt, schon an Finanzierungsschwierigkeiten und Finanzierungsgrenzen stößt. Das halte ich für ausgesprochen bedenklich. Man kann natürlich sich die Frage stellen, hätte Tennet als der Betreiber, der es hier in Schleswig-Holstein macht, nicht stärker eigenkapitalisiert sein müssen? Das kann man alles fragen. Ich glaube aber, dass der Leitungsausbau ein Investitionsprogramm in einer Größenordnung ist, dass wir uns schon überlegen müssen, ob wir auch über die Regulierung nicht auch zusätzliche Anreize schaffen, auch Kapital dort hin zu bringen. Deshalb glaube ich, unabhängig von Tennet müssen wir uns schon Gedanken darüber machen, ob wir hinsichtlich der Kapitalausstattung nicht doch auch dazu kommen müssen, dass wir zusätzliches Kapital dazu bringen, auch tatsächlich in der Energiewende investiert zu werden.

    Mohaupt: Netzausbau – diese Stromautobahnen, die erforderlich sind, die entstehen müssen, das ist wirklich auch in der Bevölkerung ein ziemlich heikles Thema inzwischen. Da freut sich nicht jeder über so eine 380KV-Leitung, die dann irgendwie direkt über sein Häuschen, über sein Grundstück am Stadtrand gehen soll oder ziemlich dicht dabei entlang laufen soll. Der Widerstand ist da unüberhörbar inzwischen auch geworden. Verständnis für diesen Widerstand – was sagen Sie den Gegnern solcher Projekte?

    De Jager: Dass ich natürlich Verständnis habe, wenn jemand seine eigenen Rechte wahrnimmt. Ich bin auch der Letzte, der sagt, man muss die Rechte der Bürgerinnen und Bürger jetzt für die Energiewende beschneiden, weil es falsch wäre, aus Bürgern sofort Gegner einer neuen Technologie oder Infrastruktur zu machen. Und insofern geht es aus unserer Sicht darum, dass man Vorlauf für die Bürgerbeteiligung braucht. Wir müssen sicherstellen, dass die Menschen die Möglichkeit haben, ihre Anliegen einzubringen, bevor es in die Planfeststellung geht und das alles nur noch rechtlich reguliert auch stattfinden kann. Insofern ist die vorlaufende Bürgerbeteiligung für mich eines der ganz wichtige Vorhaben. Wir müssen durch Dialogforen, wir müssen durch die Einbindung der Menschen dafür sorgen, dass die Akzeptanz am Ende ein gutes Stück größer wird. Dann wird es so sein, dass man natürlich persönliche, einzelne individuelle Betroffenheiten nie wird ausschließen können. Mein Appell ist aber schon an alle, die es betrifft – und das ist bei den Stromleitungen genau so der Fall wie übrigens bei den Windparks, die entstehen –, nicht nur an das eigene Wohl zu denken, sondern auch ein Stück an das Gemeinwohl. Und dazu gehört einfach, dass wir erneuerbare Energien brauchen, und dazu gehört, dass gerade an der Westküste diese erneuerbaren Energien auch zur Wertschöpfung beitragen. Und jeder sollte vielleicht auch ein Stück daran denken, inwieweit sein Einspruch möglicherweise auch Entwicklungsmöglichkeiten für junge Menschen in der Region beeinträchtigen könnte.

    Mohaupt: Letztes Thema, das Sie vorhin auch angetippt haben: Bildung und Bildungspolitik als großes Thema im Landtagswahlkampf. Da geht mir so ein Stichwort immer wieder durch den Kopf. Schulfrieden – wohl er am häufigsten gebrauchte Begriff in den meisten Wahlkampfveranstaltungen. Auch bei Ihnen?

    De Jager: Ja klar. Das ist eine der ganz wesentlichen Forderungen, die wir haben, weil wir sagen, dass eigentlich niemand mehr irgendwelche Schulstrukturdebatten noch hören kann. Das hängt den Leuten zum Hals raus, weil wir das Publikum die vergangenen Jahrzehnte wirklich damit ausreichend beschäftigt haben, sich über Schulstrukturdebatten und Schulsystemdebatten zu beschäftigen. Und deshalb sagen wir, wir als Union wollen, dass endlich produktive Ruhe eintritt an den Schulen. Wir wollen, dass nicht ständig ein Veränderungsdruck entsteht. Wir haben vielleicht – das sage ich auch selbstkritisch – in den vergangenen zweieinhalb Jahren ein bisschen unterschätzt, wie auch kleine Veränderungen im Schulwesen großen Unmut und große Unruhe auslösen können. Und insofern geht es darum, jetzt tatsächlich einmal eine Verlässlichkeit, eine Zuverlässigkeit von Schulstrukturen tatsächlich zu garantieren. Und deshalb sagen wir, dass wir die bisherigen Schulen und Schularten garantieren. Die SPD hat Beschlüsse, wonach eine Schulart, die wir haben, die Regionalschule, gleich wieder aufgelöst werden soll. Das würde dazu führen, dass wir in zwei Jahren nun gleich wieder Schulstrukturdebatten haben. Das wollen wir nicht. Wir wollen über die Qualität von Schulen und Bildung reden. Ich halte das für ausgesprochen lohnenswert. Das haben wir vielleicht in den vergangenen Jahren ein Stück weit vernachlässigt.

    Mohaupt: Sie haben es selber gesagt, Sie haben das 2009 auch schon in den Vordergrund gestellt, Schulfrieden. Und dann gab es Änderungen noch mal, gerade im Schulgesetz, die für Unfrieden, zumindest Unruhe gesorgt haben. Versprechen Sie da jetzt wieder sehr viel, vielleicht mehr, als Sie halten können hinterher?

    De Jager: Nein, weil ich schon denke, dass der Unterschied ja zu 2009 besteht, dass wir ein Stück weit auch unsere Erfahrungen jetzt gemacht haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren und dass wir doch uns auch darauf verständigen können müssen hier in Schleswig-Holstein, zu sagen, dort wo die Betroffenen Entscheidungen getroffen haben, wo sich die Kommunalpolitiker zusammen mit den Schulen dafür entschieden haben, Regionalschulen zu bilden und eben keine Gemeinschaftsschulen, oder dort, wo sich die Schulen dazu entschieden haben, an den Gymnasien das Abitur nach neun Jahren wieder anzubieten und nicht nach acht Jahren. Da sollten wir einfach respektieren, dass vor Ort diese Entscheidung getroffen wurde. Ich persönlich bin kein Anhänger von G9, ich bin ein Anhänger davon, dass wir eigentlich wieder G8 haben. Aber ich respektiere, dass es diese Entscheidung vor Ort gab. Und ich glaube, das sollte man auch tun, einfach respektieren, dass Menschen sich vor Ort entschieden haben und nicht jetzt per Ordre de Mufti gleich wieder etwas mit einem Federstrich abschaffen oder neu schaffen, sondern jetzt einfach mal den Menschen die Gelegenheit geben, sich auf die Schulstrukturen einzustellen, die wir in Schleswig-Holstein nun mal haben.

    Mohaupt: Vielen Dank, Herr de Jager, für das Gespräch.

    De Jager: Vielen Dank an Sie.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.