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Engelen-Kefer weist Forderung nach Null-Runde zurück

Capellan: Am Telefon begrüße ich nun die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Frau Ursula Engelen-Kefer. Guten Morgen!

    Engelen-Kefer: Guten Morgen Herr Capellan.

    Capellan: Fangen wir doch mit dem zuletzt gehörten einmal an. DIHT-Chef Braun fordert weitere Null-Runden auf absehbare Zeit. Selbst der Bundeskanzler mahnt inzwischen zu Zurückhaltung. Lassen Sie da mit sich reden?

    Engelen-Kefer: Ich glaube das ist Öl ins Feuer gießen und das ist eine Provokation, die eher zum umgekehrten führen wird. Die Gewerkschaften haben ja im letzten Jahr mehr als moderat reagiert. Sie haben die Beschäftigungsförderung in den Vordergrund gestellt trotz einer sehr guten Konjunktur. Sie haben längerfristige Tarifverträge akzeptiert, um den Unternehmen Planungssicherheit zu geben, und die Gegenleistung ist leider ausgeblieben. Der Zuwachs an Beschäftigung ist bei weitem zu gering, entsprechend der Rückgang der Arbeitslosigkeit. Mit solchen Forderungen erreicht man genau das Gegenteil.

    Capellan: Aber dennoch leuchtet doch der Einwurf ein. Wenn die Konjunkturprognosen schlechter sind, dann muss man zurückschrauben auch bei den Lohnforderungen, denn höhere Arbeitskosten kann man sich wohl kaum noch erlauben?

    Engelen-Kefer: Nun sollte man die Kirche im Dorf lassen. Wir reden ja immer noch von Wachstumsraten über zwei Prozent. Wir hatten im Jahre 2000 eine Wachstumsrate von drei Prozent. Wir haben einige Konzerne, die recht ordentliche Gewinne einfahren. Das wissen auch die Arbeitnehmer. Das lesen sie tagtäglich in den Zeitungen und da werden sie sich mit nichts abspeisen lassen.

    Capellan: Aber das reicht trotzdem nicht zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Da wird immer gesagt, da brauchen wir mindestens ein Wachstum von etwa knapp drei Prozent?

    Engelen-Kefer: Das ist die eine Seite. Das ist die Frage, was kann die Bundesregierung selber tun. Da sind wir der Meinung, da könnte sie erheblich mehr tun. Gerade in den neuen Bundesländern bräuchte man mehr wachstumsfördernde Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur. Dort ist zu wenig getan worden und dort gibt es Nachholbedarf. Von daher gesehen gibt es auch noch weitere Möglichkeiten, wie man zum Beispiel über einen Abbau von Überstunden die Nutzung der Möglichkeiten von Arbeitszeitkonten, die Schaffung von mehr Teilzeitarbeitsplätzen das vorhandene Arbeitsvolumen gerechter verteilen kann und damit durchaus Beschäftigung fördern und Arbeitslosigkeit abbauen kann. Da hat das Bündnis für Arbeit ja gemeinsame Ziele festgelegt. Jetzt kommt es darauf an, dass die Unternehmen hier endlich ihren Beitrag leisten, den sie eigentlich im vorigen Jahr viel leichter hätten leisten können, aber die Gewerkschaften werden sie nicht aus der Verantwortung entlassen.

    Capellan: Da sprechen Sie gerade das Thema Überstunden an. Hier sagen natürlich die Arbeitgeber, wir müssen kurzfristig auf konjunkturelle Veränderungen reagieren können. Da brauchen wir die Überstunden. Da können wir nicht sofort neue Leute einstellen. Klingt plausibel?

    Engelen-Kefer: Ja natürlich, aber es sollte nicht vergessen werden, die Gewerkschaften waren ja bereit, mit den Arbeitgebern in Tarifverträgen Arbeitszeitkonten auszuhandeln. Das sind ja Möglichkeiten, dass die Unternehmen hier konjunkturelle Spitzen ausgleichen können durch Mehrarbeit. Diese Mehrarbeit wird dann in Flautezeiten ausgeglichen durch mehr Freizeit. Das kann im Endeffekt dazu beitragen, dass eben in diesen Zeiten, wo Arbeitnehmer dann weniger arbeiten, Neueinstellungen erfolgen. Das ist überhaupt nicht genutzt worden im vergangenen Jahr, als es ja besonders gut ging, sondern umgekehrt ist die Zahl der Überstunden noch ausgeweitet worden. Das ist ein Ärgernis und das muss dringend korrigiert werden und das erwarten die Gewerkschaften in diesem Jahr.

    Capellan: Die Arbeitgeber sagen natürlich, wir haben das sehr wohl ausgenutzt und wir sind auch in Sachen Überstunden zu einem gewissen Abbau gekommen. Die Arbeitgeber sagen, es reicht alles nicht. Das sagen ja nun auch die Wirtschaftsforscher, wenn ich an Horst Siebert vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel denke. Der meinte gestern, wir brauchen auch Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe. Die solle auf ein Jahr begrenzt werden. Das passt ja auch in das Bild, das der Kanzler mit seinem Spruch vermittelt hat, niemand habe ein Recht auf Faulheit. Darauf wollen Sie sich aber auf keinen Fall einlassen?

    Engelen-Kefer: Nein. Ich glaube die Drückeberger sind ganz wo anders zu suchen, nämlich auf der Seite der Arbeitgeber, die hier ihren Beitrag zur Schaffung von Arbeitsplätzen nicht leisten. Von uns als Gewerkschaften will auch keiner hier die missbräuchliche Nutzung von Sozialleistungen befördern oder unterstützen. Wir sind mit dabei, wenn es darum geht, sinnvolle Gesetze und Praktiken umzusetzen, hier auch tatsächlich sicherzustellen, dass angebotene Arbeitsplätze angenommen werden. Aber wir brauchen auch hier eine bessere Mitarbeit der Arbeitgeber. Es nutzt zum Beispiel nichts zu sagen, wir haben 1,5 Millionen offene Stellen, wenn nur etwa ein Drittel davon den Arbeitsämtern gemeldet werden, und dann die Arbeitsämter zu beschimpfen, sie würden nicht ausreichend agieren und die Arbeitslosen wären faul. Dann muss man auch wirklich konsequent sein. Dann muss man die Stellen melden und dann müssen die Arbeitgeber auch den Arbeitsämtern gegenüber klaren Wein einschenken, was los ist.

    Capellan: Aber man muss doch auch zusätzliche Anreize für Arbeitslose schaffen. Wäre nicht eine Möglichkeit, was ja immer wieder diskutiert wird, niedrigere Einstiegslöhne anzubieten bei gleichzeitiger Kürzung auch der Arbeitslosenhilfe? Da wird geredet von 20 Prozent unter Tarif und schon würden etliche Arbeitslose wieder in Lohn und Brot kommen.

    Engelen-Kefer: Diese Diskussion kennen wir ja alle Jahre wieder oder jetzt könnte man sagen viele faule Ostereier. Nun haben wir ja Modellprojekte durchgeführt und wir haben ja einen Tarifvertrag der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, die so etwas für Langzeitarbeitslose vorgesehen hat. Aber all das, was man sich davon versprochen hat, ist ausgeblieben. Deutschland braucht nicht den Niedriglohnsektor oder die Geringqualifizierten, sondern eher umgekehrt. Wir hören doch ständig die Klagen der Arbeitgeber, die Qualifikationen der Arbeitnehmer reichen nicht aus. Hier müssen die Anreize umgekehrt gesetzt werden. Wir brauchen mehr Weiterbildung in den Betrieben, vor allem in den unteren Qualifikationsebenen, und da bedauere ich sehr, dass die Arbeitgeber so hartnäckig sind, wenn die Gewerkschaften jetzt derartige Tarifverträge vereinbaren wollen. Ich bin zum Beispiel auch dafür, dass dies über die arbeitsmarktpolitischen Instrumente gefördert wird, dass also die Arbeitsämter begrenzte Zeit hier Hilfestellung leisten können, wenn solche Tarifverträge abgeschlossen und dann auch umgesetzt werden und damit für gerade die unteren Qualifikationsebenen die Gefahr der Arbeitslosigkeit reduziert wird.

    Capellan: Geht es nicht auch gerade um die unteren Ebenen, um die Arbeitslosen, die auch in gering bezahlte Stellen drängen könnten, denn die Arbeitslosigkeit ist einfach zu teuer für den Staat, für die Solidargemeinschaft. Also muss man dankbar sein auch für jeden Arbeitslosen, der auf eine schlecht bezahlte Stelle kommt.

    Engelen-Kefer: Ob er dankbar sein kann, das ist die Frage.

    Capellan: Es gibt keine Alternative.

    Engelen-Kefer: Auf der anderen Seite jammert man, dass wir zu wenig qualifizierte Arbeitnehmer haben und hier die Lücke klafft. Aber noch einmal, damit hier keine falschen Mythen aufgebaut werden: Viele Arbeitslose sind heute schon bereit, auf geringer bezahlte und erheblich schlechter qualifizierte Tätigkeiten zu gehen. Das ist gang und gebe. Arbeitslose sind bereit, längere Wege in kauf zu nehmen. Man sollte hier also aufhören, Märchen zu streuen, die bestimmten Ideologien in den Kram passen. Das sind sehr kurzfristige Überlegungen und Interessen, die hier artikuliert werden. Es mag durchaus sein, dass kurzfristig da und dort ein Bedarf an gering qualifizierter Tätigkeit entsteht, aber bei der nächsten Rationalisierung sind alle diese Tätigkeiten weg und dann kommt das Geschrei, dass wir nicht genügend gut ausgebildete Arbeitnehmer haben. Da sollte man die Kirche im Dorf lassen!

    Capellan: Dennoch bleibt die Frage, ob da nicht gerade die flächendeckenden Tarifverträge auch die Arbeitgeber zu sehr gängeln? Darauf weisen auch die Wirtschaftsforscher hin, die sagen, um Himmels Willen, lasst den Betriebsräten vor Ort mehr Gestaltungsfreiraum, lasst die Beschäftigten doch selbst entscheiden, wie sie sich die Zukunft des Betriebes vorstellen und welche Einschränkungen sie in kauf nehmen wollen. Warum sperren sich die Gewerkschaften in dieser Hinsicht weiter?

    Engelen-Kefer: Das tun sie doch überhaupt nicht. Sehen Sie sich doch mal die neueren Tarifverträge an. Die sind in höchstem Maße flexibel. Da geht es darum, dass im Tarifvertrag ein Rahmen geschaffen wird zum Beispiel für Arbeitszeitregelungen. Aber auch wenn ich mir vorstelle, wie Qualifizierungstarifverträge aussehen, dann wird die spezifische Umsetzung je nach den Erfordernissen im Betrieb aussehen. Das kann überhaupt nicht auf der tariflichen Ebene geregelt werden. Also hier geht es in der Auseinandersetzung glaube ich um etwas ganz anderes. Hier geht es darum, dass man möchte, dass die Tarifvertragsparteien, die ja mächtiger sind, weil sie ja nun auch gewisse Instrumente haben, zum Beispiel das Streikrecht, entmachtet werden und die Betriebsräte die Kohlen aus dem Feuer holen sollen, die das ja gar nicht können, denn sie sind ja qua Gesetz verpflichtet zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber. Sie können also gar keinen Konflikt durchstehen.

    Capellan: Wir müssen zum Schluss kommen. Ganz kurz in einem Satz. Rechnen Sie mit einer scharfen Tarifauseinandersetzung?

    Engelen-Kefer: Wenn die ideologische Debatte so weiter geht ja!

    Capellan: Ursula Engelen-Kefer war das, die stellvertretende DGB-Vorsitzende. - Danke für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio