Mittwoch, 24. April 2024

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Enthüllung von Christ & Welt“
"Der Vatikan gab Tipps zu Vertuschung"

Werenfried von Straaten war ein katholischer Held und Leitfigur des Hilfswerks "Kirche in Not". Nun wird durch eine Recherche von "Christ & Welt" bekannt, dass ihm ein Vergewaltigungsversuch vorgeworfen wird. Der Vatikan weiß seit 2010 davon, betrachtete die Beschuldigungen als glaubhaft - und hielt dicht.

Georg Löwisch im Gespräch mit Susanne Fritz | 11.02.2021
Schwere Vorwürfe gegen den 'Speckpater' Werenfried van Straaten, Aufnahme von 1992
Schwere Vorwürfe gegen den 'Speckpater' Werenfried van Straaten (imago stock&people)
Der niederländische Pater Werenfried van Straaten ist ein Held der katholischen Kirche. Er ist der Begründer der Organisation "Kirche in Not" früher "Ost-Priester-Hilfe". Vor 18 Jahren ist der hoch angesehene Pater gestorben. Doch jetzt belasten ihn Dokumente, die der Vatikan bislang geheim gehalten hat.
In "Christ & Welt", den Extraseiten der "Zeit", ist ein Artikel über die Vorwürfe gegen Pater Werenfried erschienen. Georg Löwisch, Chefredakteur von "Christ & Welt" hat den Artikel über Pater Werenfried verfasst.
Susanne Fritz: Was haben Sie Brisantes herausgefunden?
Georg Löwisch: Ich habe den zusammen mit meinem Kollegen Raoul Löbbert aus unserer Redaktion geschrieben. Wir haben herausgefunden, das 2010 also vor zehn Jahren, verschiedene Vorwürfe gegen den Vater Werenfried van Straaten aufkamen. 2003 ist er verstorbenen und 2010 hat Papst Benedikt XVI. eine Apostolische Visitation veranlasst. Das ist in der katholischen Kirche so etwas Ähnliches als wenn in einem Unternehmen die Innenrevision anrückt. Dieser Visitator war dann vor Ort in der Organisation, hat die Organisation durchleuchtet. Angeblich ging es ursprünglich um organisatorische Fragen. Dann wurde er mit Vorwürfen konfrontiert, unter anderem von einer Frau, die wohl sehr glaubwürdig angab, von Werenfried Straaten schon mal 1973 sexuell attackiert worden zu sein.

"Katholische Kirche enthüllt nie proaktiv"

Fritz: Warum kommen die Vorwürfe erst jetzt ans Licht?
Löwisch: Man hat das einfach unter dem Deckel gehalten. Also man lernt aus dieser Geschichte, dass die katholische Kirche nie proaktiv enthüllt, nie ihre Skandale öffentlich macht, sondern dass sie das allenfalls reaktiv tut. Damals hat dieser Ermittler, dieser Visitator, das ist ein deutscher Weihbischof namens Grothe, an den Vatikan berichtet, und der Vatikan hat dann ihm Tipps gegeben, wie man das möglichst vertuschen sollte. Es war damals noch etwas Anderes im Raum, und das war wohl auch der Anlass, warum das Opfer sich an diesen Ermittler, an diesen Visitator gewandt hat.
Erste Missbrauchsstudie des Erzbistums Berlin Nun hat auch das katholische Erzbistum Berlin eine Missbrauchsstudie vorgelegt. Demnach wurden in rund 70 Jahren über 60 Geistliche zu Tätern. Das Gutachten wurde aber nur teilweise veröffentlicht. Zwei Drittel bleiben unter Verschluss.
Über Werenfried van Straaten ging das Gerücht um, dass der auch vielleicht seliggesprochen werden könnte. Also das ist wirklich ein Held der katholischen Kirche. Kardinal Meisner, der ehemalige Kardinal von Köln, hat ihn einmal als Re-Inkarnation Christi bezeichnet. Ja, und diese Seligsprechung, die sollte also verhindert werden. Aber man hat sich dann eben doch entschieden, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, sondern das eben weiterlaufen zu lassen. Um Werenfried van Straaten weiter als Helden auch dieser Hilfsorganisationen zu belassen sozusagen. Man hat gemerkt, der Held ist eine Altlast geworden. Dieses Wort kommt auch in der Korrespondenz vor, die uns vorliegt. Aber veröffentlichen und richtig aufklären - das hat man eben dann auch nicht gemacht, sondern man hat doch zehn Jahre weiterlaufen lassen. Und jetzt ist es eben raus gekommen.
Georg Löwisch, Chefredakteur von Christ und Welt
Er hat die Enthüllungen um den "Speckpater" mit angestoßen - Georg Löwisch, Chefredakteur von Christ und Welt (Anja Weber)
Fritz: Wer war Werenfried van Straaten eigentlich? Viele kennen ihn ja vielleicht gar nicht mehr.
Löwisch: Es begann alles 1947 an Weihnachten. Werenfried van Straaten war Pater in einem Kloster. Er hat in seiner Klosterzeitschrift einen Artikel geschrieben "Frieden auf Erden, kein Platz in der Herberge". Wen er damit meint, das waren geflüchtete Deutsche aus dem Osten, die zu Millionen nach Deutschland geflüchtet sind nach dem Zweiten Weltkrieg. Die lebten in Bunkern und Baracken und hatten Hunger. Denen ging es nicht gut. Und Werenfried hat Belgier und Niederländer, die noch kurz zuvor unter Deutschen gelitten hatten, zur Hilfe für ihre ehemaligen Feinde aufgerufen. Und er hatte damit großen Erfolg. Er war sehr erfinderisch, und hat bei den Bauern eben nicht nach Geld gefragt, sondern nach Speck, und hat tonnenweise Speck eingesammelt. Deswegen hat er auch den Rufnamen bekommen: der Speckpater.
Ja, und dann hat er das Ganze zu einem Hilfswerk ausgeweitet. Das ist dann auch eine weltweite Veranstaltung geworden. Pater Werenfried ist zum Beispiel nach Vietnam geflogen, während des Vietnamkriegs und hat da geholfen, auch in Afrika, Lateinamerika. Auch vor allem in Osteuropa hinter dem Eisernen Vorhang hat er eben katholische Priester unterstützt, die verfolgt wurden. Und so ist dieses Hilfswerk angewachsen. Es ist sehr groß, also Projekte in 140 Ländern und über 111 Millionen Euro 2019 an Spendeneinnahmen. Das ist schon beachtlich.
Fritz: Welche Rolle spielt bei dem Pater und seiner Organisation Kirche in Not eine bestimmte katholische Ideologie, eine konservative Auslegung des Glaubens?
Löwisch: Werenfried van Straaten war zunächst mal ein sehr strammer Antikommunist. Daher kommt auch, dass man sich gegen etwas abgrenzen muss. Und das ist eben in der heutigen Zeit nicht mehr der Kommunismus, sondern es ist die Gender-Ideologie oder zum Beispiel die "angebliche Gleichwertigkeit der sexuellen Orientierungen". Das ist im Spektrum eher als rechtskatholisch einzuordnen. Aber ich will das gar nicht so bewerten. Uns geht es ja um diese Vorwürfe. Und wir wollen eben diese Frage stellen: Wie geht katholische Kirche damit um, wenn sie ihre Helden verliert? Ist sie zur Aufklärung bereit? Und ist schon begegnet, dass Kirche in Not jetzt tatsächlich, zehn Jahre später, jetzt, wo es nicht mehr anders geht, uns auch Informationen gegeben haben und auch im Wesentlichen die Vorwürfe bestätigt haben.

"Ausgerechnet Köln"

Fritz: Welche Parallelen gibt es in dem Fall van Straaten traten Ihrer Meinung nach zur Situation im Erzbistum Köln?
Löwisch: Es ist ja auch dort so, dass man sich nur schwer von den Figuren trennen kann. Die Schlüsselfigur im Erzbistum Köln ist ja Kardinal Joachim Meisner, der sehr lange der Erzbischof von Köln war und der auch sehr viel vertuscht hat. Selbst 2010, als in Deutschland der große Missbrauchsskandal kam. Nach den Enthüllungen am Canisius-Kolleg hat Kardinal Meisner so getan als hätte ihn das überrascht. Dabei stellte sich heraus, dass die ganze sexualisierte Gewalt, die Missbrauchsfälle von Klerikern, über seinen Schreibtisch gelaufen sind. Trotzdem ist aber Kardinal Meisner aus Sicht vieler Gläubigen in der katholischen Kirche, im Erzbistum Köln, noch einer von ihnen. Bei der ganzen Aufarbeitungskrise in Köln geht es natürlich nicht nur um lebende Verantwortungsträger, sondern auch darum. Wie stellt man sich jetzt zu Kardinal Meisner oder auch: Wie steht man zum dessen Vorgänger Kardinal Höffner? Und das ist schon auch eine Parallele.
Wir fanden jetzt aber auch interessant: Im Kölner Dom wird zu Werenfried van Straaten jedes Jahr ein großer Gottesdienst abgehalten. Ausgerechnet für einen Mann, dem man sexuellen Übergriff vorwirft und daneben auch noch "Maßlosigkeiten, Anfälligkeit zu faschistoiden Ideen", so ist es in einem Vatikan-Papier formuliert. Man kann nur sagen: ausgerechnet Köln.
Fritz: Wie vermuten Sie, geht es jetzt weiter, wird man sich von Werenfried van Straaten distanzieren?
Löwisch: Das ging ganz flott. Wir haben die Anfrage gestellt, haben Kirche in Not um eine Stellungnahme gebeten. Sie haben dann sehr professionell reagiert. Sie haben sich ein bisschen Zeit ausbedungen. Und dann dann wurde der Gottesdienst abgesagt, ohne Angabe von Gründen im Kölner Dom. Der Gottesdient sollte am 30. Januar stattfinden. Und dann konnte man schon sehen, das von der Homepage von Kirche in Not, die Angebote und Einträge über Werenfried van Straaten nicht mehr verfügbar waren. Im Shop gab es eine ganze Menge Bücher über diesen Mann, und das ist jetzt nicht mehr im Angebot. Das heißt, man bricht jetzt im Grunde mit ihm. Dann haben wir eben diese ausführliche Stellungnahme bekommen, die auch ja sehr deutliche Distanzierungen enthält. Jetzt muss man sehen, wie die Community, die es um Kirche in Not gibt, damit umgeht. Es ist jetzt interessant, ob jetzt die Aufklärung vielleicht weitergeht, die wir angestoßen haben. Es sind natürlich noch viele Fragen offen und es könnte vielleicht auch noch ein bisschen mehr Licht reingebracht werden.
Fritz: Das war Georg Löwisch, Chefredakteur der Zeit-Extraseiten Christ und Welt und Verfasser eines Artikels über Vorwürfe gegen Pater Werenfried van Straaten, dem Begründer von Kirche in Not. Wir haben das Gespräch vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.