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Entkoppelt gleich abgekoppelt?

Mit den Reform-Beschlüssen des EU-Agrarrates vom Juni 2003 wurde in Europa eine Agrarwende eingeleitet. Wichtigste Änderung der so genannten GAP-Reform ist die Entkoppelung der Subventionszahlungen von der Produktion - stattdessen will die EU Umwelt- und Tierschutz auf den Höfen fördern. Anfangs soll für die Betriebe noch alles beim Alten bleiben: die entkoppelten Prämien werden nämlich in bisheriger Höhe ausgezahlt, es sei denn, die Mitgliedsstaaten der EU wählen einen anderen Weg. Neben Großbritannien will vor allem Deutschland von diesem Recht Gebrauch machen. Verbraucherschutzministerin Renate Künast will mit einem so genannten "Kombinationsmodell" nur Zweidrittel der Subventionen nach den historischen Ansprüchen aufteilen, während sich das andere Drittel der Ausgleichszahlungen an der Hektarzahl orientiert. Kein Wunder, dass die Diskussion darüber voll entbrannt ist. In der Evangelischen Akademie in Loccum diskutierten am Wochenende Agrarexperten und Betroffene über die Folgen für die Landwirtschaft.

Von Michael Engel | 09.02.2004
    Das war Wasser auf die Mühlen der Kritiker, als Agrarkommissar Franz Fischler vergangene Woche mit einem Brief an Renate Künast die deutsche Agrarpolitik kritisierte: Es drohten Verzerrungen der Landpreise, wenn eine Umstellung der Subventionen auf pauschale Flächenprämien erfolgt, so Fischler in dem Schreiben. Alles halb so wild, besänftigte der Europa-Abgeordnete Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf:

    Fischler hat mich gerade vom Flughafen in London angerufen, und er hat gesagt, dieses sei nur eine Klarstellung der Mechanismen, die von den Ländern in Anspruch genommen werden können, die aber mit der Kommission abgestimmt werden müssen. Und er plädiert in diesem Brief dazu, dass man das Zug um Zug tut, wie das Deutschland getan hat. Das, was jetzt Deutschland vorhat, was die Bundesregierung will, ist rechtlich voll abgesichert. Er will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass er hier das, was in der Reform beschlossen wurde, zurückdrehen möchte.

    Graefe zu Baringdorf gehört als Grüner zu jenen Politikern, die eine Entkoppelung der Prämienzahlungen auf die Fläche befürworten, weil Impulse für den Umweltschutz erhofft werden. Die Umstrukturierung hätte negative Folgen vor allem für die Tierhalter, sagt Werner Kleinhanß von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft. Er rechnete die finanziellen Auswirkungen mit Hilfe von Großcomputern durch:

    Also, ich hab’ zum einen die Prämienänderungen dargestellt und auch die Einkommensänderungen. Also, wenn die Milchprämien völlig abgeschmolzen werden und in eine Flächenprämie überführt werden, verlieren die Milchbauern, und zwar solche, die viel Milch pro Hektar Grünland produzieren, die verlieren in der Größenordnung von bis zu 20 Prozent.

    Da die Milchprämie abgeschafft wird und die entkoppelten Prämien künftig Zug um Zug auf die Fläche bezogen ausbezahlt werden, haben Landwirte mit intensiver Viehhaltung und wenig Grünland das Nachsehen. Minus 20 Prozent ist ein Durchschnittswert – es kann im Einzelfall bis minus 60 Prozent gehen. Nach Ansicht von Willi Kampmann vom Deutschen Bauernverband sind solche Härtefälle nicht hinnehmbar:

    Jetzt geht es ja um die Frage, dass man Prämien, die in der Tierhaltung erwirtschaftet werden, wo viele Betriebe ohnehin schon an der Rentabilitätsgrenze wirtschaften, in den vergangenen Jahren sehr viel in ihre Betriebe investiert haben, wenn ich mir den Milchbereich anschaue. Und jetzt hinzugehen innerhalb von weniger als zehn Jahren, hier die komplett die Direktzahlungen umzuschmelzen und auf die Fläche zu legen, ich meine, da bestraft man die Betriebe, die in den vergangenen Jahren unternehmerisches Risiko eingegangen sind, wozu sie auch animiert worden sind – von der Offizialberatung und nicht zuletzt auch von der Politik.
    Zum Erstaunen vieler Verpächter, die an der Tagung teilnahmen, liegen die Prämienansprüche aber nicht auf dem Boden, sondern bei den Bewirtschaftern. Endet ein Pachtvertrag, nimmt der scheidende Bewirtschafter die Prämienrechte mit. Der neue Pächter kann also keine Prämien mehr einstreichen, es sei denn, dieser hat die Ansprüche bereits anderswo erworben. Verpächter wie Andreas Hesse von der Klosterkammer Hannover befürchten einen Preisverfall ihrer Pachten:

    Das trifft uns als Stiftungsverwaltung, die wir ja rechtlich gehalten sind, das Stiftungsvermögen im Bestand zu wahren, natürlich sehr empfindlich. Wir haben natürlich ein Interesse daran, Rechtssicherheit zu erlangen, nun werden wir entsprechende Verfahren bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung treiben, ja.

    Neben einer Prozessflut wird diese Regelung auch einen "Krieg in die Dörfer" tragen, befürchtet Wilfried Steffens vom Landvolk Niedersachsen. Da Bewirtschafter und Verpächter meist im selben Ort wohnen, werde es nach dem Ende der Pacht regelrechte Kämpfe um die Rechtstitel geben. Und auch sonst prognostiziert der Agrarexperte eine heiße Diskussion um die GAP-Reform:

    Wenn man sich kurzfristig entschließt, kurzfristig, nach ein, zwei oder drei Jahren, diese Prämien einheitlich über die Flächen zu verteilen, dann ist die Betroffenheit groß und ich denke, dann ist auch der Aufstand aus diesen Betriebgruppen relativ groß. Das müssen wir sowieso in Zukunft erwarten, also der Unmut wird immer lauter und ich fürchte, wir werden große, lautstarke Veranstaltungen haben, wo sich die Landesagrarminister dann mit den Bauern auseinandersetzen werden, und wie die dann ausgehen und die Landesagrarminister letztlich abstimmen werden, wenn es im Bundesrat zur Entscheidung kommen muss, das ist in meinen Augen doch noch relativ offen.

    Längere Übergangszeiten und mehr Härtefallregelungen fordert Landvolk-Vertreter Steffens von den Politikern. Bis zum August muss der Kabinettsentwurf von Bundesrat und Parlament verabschiedet worden sein. Im Verbraucherschutzministerium, so Abteilungsleiter Theodor Seeger, wird jetzt Dampf gemacht:

    Wir hätten aber auch die Möglichkeit, abweichend davon zu sagen, wir beginnen insgesamt mit der Entkoppelung erst ein Jahr später oder sogar zwei Jahre später, rechtlich wäre die Möglichkeit gegeben. Das wollen wir alle nicht, weder Bund noch Länder, denn das würde bedeuten, dass wir im Sektor strategisches Verhalten erfahren würden, die Landwirte würden den Strukturwandel abbremsen, weil jeder eine vernünftige Startposition dann haben möchte für den Umstieg in das neue Entkoppelungsmodell. Wir hätten also ein stand still mit allen Nachteilen, die damit verbunden wären.