Montag, 27. März 2023

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Entschädigung auch bei höherer Gewalt

Dank Orkantief Christian sind viele Reisende an Bahnhöfen gestrandet. Sie können Recht geltend machen - von der Fahrpreiserstattung bis zur Hotelübernachtung. Wie, erklärt der Reiserechtler Kay Rodegra.

Kay Rodegra im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 29.10.2013

    Susanne Kuhlmann: Bäume stürzten um und rissen Oberleitungen ab, Äste blockierten Gleise – wer gestern mit der Bahn unterwegs war, brauchte viel Gelassenheit und Geduld. Vor allem in Norddeutschland wütete das Orkantief Christian so heftig, dass alle, die dort unterwegs sind, auch heute noch auf Verspätungen und Zugausfälle gefasst sein sollten. Wer davon betroffen ist, kann unter bestimmten Umständen eine Entschädigung von der Bahn verlangen. – Am Telefon in Würzburg ist der Reiserechtler Kay Rodegra. Guten Tag, Herr Rodegra.

    Kay Rodegra: Schönen guten Tag!

    Kuhlmann: Welche Ansprüche können Bahnkunden denn geltend machen, Bahnkunden, die wegen des Unwetters und seiner Folgen gar nicht oder nur auf Umwegen oder verspätet ans Ziel gekommen sind?

    Rodegra: Die meisten sind verspätet am Ziel angekommen und da hat man einen Anspruch, wenn man 60 Minuten und später am Zielbahnhof ankommt, dass man 25 Prozent des Fahrpreises erstattet bekommt. Und ist diese Verspätung über 120 Minuten, dann hat man einen Erstattungsanspruch von 50 Prozent des Fahrpreises.

    Kuhlmann: Wie weist der Kunde denn nach, dass er betroffen ist?

    Rodegra: Das bekommt man im Zug bestätigt vom Mitarbeiter der Bahn, oder man lässt es sich bestätigen, wenn man verspätet am Zielbahnhof ankommt. Dann geht man zum Service-Center der Bahn und dort bekommt man dann einen Stempel auf seine Fahrkarte und kann diese dann zusammen mit einem Fahrgastrechte-Formular, was man ebenfalls am Bahnhof bekommt, einreichen und dann bekommt man innerhalb von einem Monat sein Geld zurück.

    Kuhlmann: Was muss in diesem Formular alles ausgefüllt werden?

    Rodegra: Das ist relativ einfach, das Formular auszufüllen. Da gibt man nur das Datum der Fahrt ein, die Zugnummer und heftet auch eine Kopie seines Fahrscheines bei. Dann gibt man noch seinen Namen an und auch seine Bankverbindung. Das ist alles schnell erledigt, in zwei, drei Minuten, und dann schickt man es weg zum Service-Center Fahrgastrechte, oder gibt es bei der Bahn direkt ab.

    Kuhlmann: Zum Beispiel in einem Reisezentrum?

    Rodegra: Genau. Dort kann man diese Formulare auch abgeben und dort werden sie dann weitergeleitet.

    Kuhlmann: Erstattet die Bahn gestrandeten Fahrgästen eigentlich auch Taxi- oder Hotelkosten?

    Rodegra: Ja. Auch das besagt das EU-Recht. Hotelkosten müssen dann erstattet werden, wenn ich nachts unterwegs bin mit der Bahn und aufgrund des Sturms, der gerade gewütet hat, kam ich nicht zu meinem Ziel hin, sondern bin irgendwo gestrandet, mitten in der Nacht. Dann habe ich tatsächlich Anspruch auf Erstattung von Hotelkosten. Bei der Weiterfahrt mit einem Taxi, da eher nicht, denn da gelten "nur" die Fahrgastrechte der Bahn, also kein EU-Recht, und da kann sich die Bahn auf höhere Gewalt berufen. Das kann sie bei einer Preiserstattung nicht und auch nicht bei notwendigen Hotelkosten.

    Kuhlmann: Was ist denn mit Folgeschäden, die etwa dadurch auftreten könnten, dass jemand seinen Flug verpasst, weil er nicht früh genug am Flughafen ankommen konnte?

    Rodegra: Da hat der Bahnreisende dann Pech. Dafür kann ich die Bahn nicht in die Haftung nehmen. Einzige Möglichkeit, hier noch etwas rauszuholen, ist: ich habe ein sogenanntes Rail-and-Fly-Ticket gekauft bei einem Reiseveranstalter. Da gehört die Bahnfahrt dann zum Flughafen mit dazu und dann ist der Reisevertrag insgesamt mangelhaft, wenn ich dann mein Flugzeug verpasse, und dann muss der Reiseveranstalter mir einen Ersatzflug stellen. Aber wenn ich jetzt auf eigene Faust mit dem ICE zum Beispiel zum Flughafen fahre und der ist verspätet, deswegen ist der Flieger weg, kann ich gegen die Bahn nicht weiter vorgehen.

    Kuhlmann: Seit einem Urteil, das der Europäische Gerichtshof gefällt hat im vergangenen Monat, gelten Entschädigungsregelungen ja auch in Fällen, in denen die Bahn sich früher auf höhere Gewalt berief, zum Beispiel so etwas wie das Unwetter, was es gestern gab, und das gilt jetzt nicht nur für die Deutsche Bahn, sondern auch europaweit.

    Kuhlmann: Da haben Sie völlig recht. Das ist eine EU-weite Regelung. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zielte zwar ab aus einem Fall aus Österreich, aber dennoch hat das Bedeutung für die gesamte EU. Also: Obwohl der Sturm wütet, die Bahn eigentlich gar nichts dafürkann, dass die Leute stehen bleiben, muss sie hier in die Haftung eintreten und zum Beispiel eine Preisminderung beim Fahrschein bezahlen.

    Kuhlmann: Und es gibt auch eine Regelung, dass man rückwirkend noch seine Entschädigungsansprüche geltend machen könnte?

    Rodegra: Richtig. Man kann innerhalb von einem Jahr seine Ansprüche geltend machen. Erst dann wird es problematisch. Dieses Gerichtsurteil, was vor einiger Zeit ergangen ist, gilt nicht nur für die Zukunft, sondern auch noch rückwirkend. Man sollte also Zuhause mal nachschauen, ob man seinen Fahrschein mit einer Verspätung noch findet.

    Kuhlmann: Bahnkunden, die wegen des Unwetters Schwierigkeiten hatten, ihr Ziel zu erreichen, haben einen Entschädigungsanspruch. Soweit der Reiserechtler Kay Rodegra. Ihnen Dank dafür nach Würzburg.

    Rodegra: Bitte schön! Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.