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Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern

Meurer: Wir bleiben bei dem Thema Zwangsarbeiter. Nicht nur in Polen befürchtet man, dass es noch ein weiter Weg ist bis zur Auszahlung. In Deutschland ist das ähnlich. Zunächst muss eine Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", so der Ti-tel, aus der Taufe gehoben werden. Es gibt einen Gesetzentwurf des Bundesfinanzmi-nisteriums, daran aber Kritik der Opferverbände: zum Beispiel vom Bundesverband Infor-mation und Beratung für NS-Verfolgte, mit dessen Geschäftsführer Lothar Evers ich nun verbunden bin. Guten Morgen Herr Evers!

    Evers: Einen schönen guten Morgen.

    Meurer: Die Einigung, Herr Evers, scheint perfekt. An den Details wird noch gefeilt. Wie schwierig ist es jetzt, das Geld auszuzahlen?

    Evers: Eigentlich ist es nicht so schwierig für die Menschen, die bereits irgendwo registriert sind, weil sie schon mal wenn auch eine sehr, sehr geringe Leistung von 500, 600 Mark einmalig bekommen haben. Die mussten dafür durchaus sehr umfangreiche Hürden überspringen, was die Dokumentation ihres Schicksals angeht. Nur das Bundes-finanzministerium hat in einem Referentenentwurf sich jetzt noch einmal deutlich höhere Hürden einfallen lassen, die bisher durch Dokumente der Überlebenden nicht belegt sind. Die müssten also noch mal ganz von vorne anfangen. Im wesentlichen sind das die Hürden, dass die Überlebenden nachweisen sollen, dass sie in der Arbeit und außerhalb der Arbeit ständig bewacht waren. Das waren sie einmal zum Ende des Krieges gar nicht mehr. Da hat man die Wachmannschaften durchaus abgezo-gen, weil die Menschen alle mit einem "O" oder einem "P" für Ostarbeiter oder Pole ge-kennzeichnet waren. Wenn die versucht hätten, ihre Lager zu verlassen, wären die sofort von der Gestapo aufgegriffen worden. Das ist also eine Hürde, die gar nicht mal bis zum Kriegsende existiert hat. Die ist schon gar nicht nachzuweisen. Nun ist dieser Referentenentwurf entstanden in einer früheren Phase dieser Verhandlun-gen. Diese Verhandlungen sind ja jetzt nicht zuletzt dadurch zum Durchbruch gekommen, dass gerade Finanzminister Eichel noch einmal diese zwei Milliarden vielleicht durch den Verkauf von Bundesbeteiligungen an Firmen aufgebracht hat.

    Meurer: Also haben Sie den Eindruck, dass etwas in dem Entwurf geändert worden ist zugunsten der Opfer?

    Evers: Ich kann nur hoffen, dass man sieht, dass dieser Entwurf A inhaltlich viel zu restriktiv ist und B möglicherweise durch die neuen Summen überholt ist und dass Eichel seiner Fachabteilung vielleicht mal ein paar klarere Vorgaben macht, dass das nun wirk-lich verfolgtenfreundlicher ausfallen muss, wenn man nicht will, dass die Leute nochmals zwei, drei Jahre brauchen, bis sie diese hohen Beweishürden übersprungen haben.

    Meurer: Sind diese Beweishürden der Grund dafür, dass es offenbar noch mindes-tens ein halbes Jahr bis zur Auszahlung dauert?

    Evers: Das hat vielleicht noch einen anderen Grund. Die Konstruktion ist ja die einer Bundesstiftung. Die Bundesstiftung muss vom Gesetzgeber und vom Parlament be-schlossen werden. Dieser Referentenentwurf, den wir haben, ist zum Beispiel ein solcher Entwurf. Da der Erstentwurf nun wirklich miserabel ist, muss man den diskutieren und zwar im Parlament. Der muss die parlamentarischen Hürden, soweit ich weiß auch von Bundestag und Bundesrat, nehmen. Das dauert natürlich alles ein bisschen seine Zeit. Die Frage ist, ob es trotzdem Konstruktionen geben kann mit Zahlungen zu Beginn je-denfalls an die Leute, die längst verifiziert sind, was ihre Zwangsarbeit angeht.

    Meurer: Diese Lösung ist ja wohl vorgesehen und die befürworten Sie auch, dass zunächst mal eine Pauschalzahlung von 30 Prozent geleistet wird?

    Evers: Die könnte durchaus höher sein. Ich finde die Pauschalzahlung von 30 Pro-zent des vorgesehenen Betrages eigentlich erschreckend niedrig. Das zeigt eher, wie unsicher man sich ist, ob es nicht doch noch erheblich mehr Opfer gibt. Da sollte man schon zu seriösen Zahlungen kommen, die dann eher in 50, 70 Prozent Höhe sind. Es kann eigentlich nicht sein: die Konstruktion in dem Gesetzentwurf ist ja, dass die 70 Pro-zent Restzahlung erst kommen soll, wenn feststeht, wie viele Leute völlig exakt, also das allerletzte Opfer seinen Beweis erbracht hat. Das würde mit Sicherheit drei, vier Jahre dauern.

    Meurer: Wenn es nur noch um die allerletzten Opfer geht, aber wenn es um zehn Tausende geht, ist es eigentlich nachvollziehbar, Herr Evers, dass man zunächst nicht zu viel bezahlen will, weil man ja in dem Rahmen der zehn bis elf Milliarden bleiben muss?

    Evers: Man muss im Prinzip noch mal versuchen, ein bisschen verlässlicher zu ar-beiten. Man hat in der Tat sehr unterschiedliche Opfergruppen. Man hat Opfergruppen, die könnte man eigentlich jetzt auszahlen. Da ist eben nur das Problem, man weiß nicht genau, wie viele insgesamt existieren. Man hat andere, da braucht man bestimmt Zeit, weil die bisher von jeder Entschädigung ausgeschlossen waren. Ich denke, da muss man wirklich an den exakten Zahlen noch einmal arbeiten. Bisher steht ja auch noch nicht einmal exakt fest, welche Opfergruppe nun wie viel Mark bekommen soll. Da ist ein biss-chen Arbeit erforderlich. Ich hoffe nur, dass man mit Zahlungen beginnt, weil ja gerade in den Ländern Mittel- und Osteuropas auch schon kleinere Zahlungen ein Leben eines e-hemaligen Zwangsarbeiters sehr verändern können. Die leben ja in der Ukraine von Mo-natsrenten von 20 bis 35 Mark.

    Meurer: Über welche Zahlen reden wir eigentlich? Was soll welches Opfer bekom-men?

    Evers: Das ist eine der völlig offenen Fragen. Da müssen auch die verschiedenen Verfolgtengruppen aus den verschiedenen Ländern selber noch mal miteinander reden. Es steht mit Sicherheit fest, dass man den sogenannten Sklavenarbeitern - das sind die-jenigen, die in einem KZ, in einem Getto oder in einem Arbeitserziehungslager Arbeit ver-richten mussten - deutlich mehr auszahlen will, als die beiden deutschen Firmen VW und Siemens schon freiwillig bezahlt haben. Das waren 10.000 Mark. Im Gespräch sind 12.500 bis 15.000 Mark. Dann gibt es eine Kategorie der Zwangsarbeiter außerhalb der Landwirtschaft. Da sind im Gespräch vielleicht 5.000 bis 7.500 Mark. Bei der Landwirtschaft ist der Betrag sehr offen, weil es auch wirklich eine Menge Leute waren. Es gibt ein weiteres Problem bei diesem Stiftungsgeld, nämlich außer der Zwangsarbeit sollen damit noch ganz andere Vergehen, in die die deutsche Wirtschaft verwickelt war, insbesondere die Avisierungsgewinne der deutschen Banken, die pseudomedizinischen Versuche an Menschen in Konzentrations-lagern und die Ermordung von Kindern ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar-beiter in werkseigenen Kinderheimen entschädigt werden. Auch da muss man sehen, welche Summe man von diesen zehn bis elf Milliarden vorne wegreservieren muss für diese Teile. Das alles erfordert noch ein bisschen Arbeit, weil jetzt diese Lösung ja doch auch unter hohem Zeitdruck entstanden ist und nicht in allen Details schon nachgearbei-tet ist.

    Meurer: Das war Lothar Evers, Geschäftsführer des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte. - Danke Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview mit Wolfgang Gibowski

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