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Entschädigungszahlungen
Wie die NFL ihre Ex-Profis hinhält

2015 einigten sich die US-amerikanische National Football League und ehemalige Spieler auf eine Entschädigungszahlung für die Langzeitschäden, die die Profis während ihrer Karriere erlitten hatten. Doch die Auszahlung verläuft schleppend - die NFL wittert Betrug durch Simulanten. Opfer-Anwälte sind empört.

Von Jürgen Kalwa | 19.01.2019
    NFL-Gastspiel in London: New York Giants gegen Los Angeles Rams
    Football ist eine harte Sportart - mit langfristigen Folgen für den Körper. (dpa/picture-alliance/EPA/GERRY PENNY)
    In den besten Jahren seiner Karriere verkörperte der Football-Profi Mark Gastineau die Idealvorstellung des amerikanischen Athleten: Knapp zwei Meter groß, muskelbepackt und telegen, aggressiv auf dem Platz und freundlich zu den Medien. Leitbild für eine Sportart, in der furchtlose Männer ihre Gesundheit riskieren. Und sich gelegentlich mit den Gegnern prügeln.
    Alzheimer und Parkinson
    Er war Frauenschwarm, mehrfach verheiratet und hatte zwischendurch eine Beziehung zur Hollywood-Schauspielerin Brigitte Nielsen und spielte danach seinen Promi-Bonus beim Profiboxen aus. Und er geriet – nicht zum ersten Mal – mit dem Gesetz in Konflikt. Als er um die Jahrtausendwende nach anderthalb Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, war er zum gläubigen Christen konvertiert.
    "Geld und Ruhm bringen dir keinen inneren Frieden. Aber er ist immer bei dir", lautete sein Glaubensbekenntnis. "Er verlässt dich nicht", sagte er in einem Podcast. "Was ist besser als das?"
    Gastineau, inzwischen 62, hat seitdem massiv abgebaut. Er leidet unter der Alzheimer-Krankheit und unter Parkinson. Neulich schleppte er sich in ein Rundfunkstudio in New York und brach mitten im Interview in Tränen aus:
    "Nichts ist mehr gut. Nichts. Ich liege manchmal nachts bis drei, vier oder fünf Uhr wach. Und weshalb? Weil mir das passiert ist. Die NFL ist ungerecht. Ich will keine Millionen. Ich will einfach nur mit Respekt behandelt werden."
    Mark Gastineau in seiner aktiven Zeit 1984 (l.) und im Herbst 2017 als Zuschauer eines Football-Spiels in New York
    Mark Gastineau in seiner aktiven Zeit 1984 (l.) und im Herbst 2017 als Zuschauer eines Football-Spiels in New York (dpa/picture alliance/AP/Bill Kostroun/imago/ZUMA Press)
    Gastineau ist einer von Zehntausenden ehemaliger Profis der National Football League, die die Liga vor mehreren Jahren verklagt hatten. Und die dann einer außergerichtlichen Einigung zugestimmt hatten. Nun warten sie auf die in Aussicht gestellte finanzielle Hilfe. Doch das reichste Sportunternehmen der Welt steht auf der Bremse. Die Liga befürchtet offensichtlich, dass Ex-Spieler gesundheitliche Schäden nur simulieren und Geld erhalten, das ihnen nicht zusteht. Gastineaus Anwalt Jason Luckasevic reagiert auf solche Verdächtigungen mit Empörung:
    "Eine Organisation, die diese Spieler jahrzehntelang betrogen hat, macht sich Sorgen, dass sie betrogen wird? Die vor dem Kongress in Washington gelogen hat? Und die behauptet hat, diese Krankheit namens CTE gäbe es gar nicht? Was für eine Ironie."
    Rund eine Milliarde Dollar – auf diesen Betrag wurde die Vereinbarung zwischen beiden Seiten hochgerechnet, als sie 2015 abgezeichnet wurde. Was die NFL sich dafür erkaufte? Sie vermied eine Beweisaufnahme, in der ans Tageslicht gekommen wäre, ob die Liga ihr Wissen über die Langzeit-Risiken für die Spieler heruntergespielt oder verheimlicht hatte. Sie verfolgt damit die gleiche Strategie in den Auseinandersetzungen mit den Versicherungsfirmen, sich nicht bloßstellen zu müssen.
    Etwas was der Sportrechtler Dan Werly aus Nashville gegenüber dem Deutschlandfunk schon vor einer Weile prognostiziert hatte:
    "Versicherungen sind Wirtschaftsbetriebe. Wenn die NFL ein Angebot macht, dass sich rechnet, und man die Risiken teurer Prozesse dagegen stellt, dann steigt die Chance, dass sich die Seiten einigen."
    Kampf mit allen Mitteln eines PR-Feldzugs
    Trotzdem steht nicht nur die Liga in keinem guten Licht da. Auch einige der Anwälte, die sich mit ihren Mandanten spät in das Verfahren hineingedrängt hatten. Einer der Vorwürfe: Dass sie sich zu hohe Gebühren aus dem Topf der Entschädigungssummen gut schreiben. Sehr zum Leidwesen von Gastineaus Anwalt Jason Luckasevic. Er war es, der die Lawine ins Rollen brachte, als er den 2002 an den Spätfolgen verstorbenen Pittsburgh-Steelers-Spieler Mike Webster vertrat. Dessen Angehörige leiden darunter, dass die Einigung festlegte: Ansprüche auf Schadenersatz für Fälle von vor 2006 kommen nicht mehr zum Zuge.
    Luckasevic war machtlos, wie er dem Deutschlandfunk erklärt hat:
    "Ich war jung und hatte noch keine erfolgreiche Laufbahn als Anwalt vorzuweisen. Man hat mich an den Rand gedrängt."
    Inzwischen hat er dazu gelernt und kämpft für seinen Mandanten mit allen Mitteln eines PR-Feldzugs. Denn die NFL möchte Gastineau offensichtlich keinen Cent bezahlen.
    "Ein neutraler Arzt hat Marks Krankheiten diagnostiziert. Doch die NFL akzeptiert das nicht und sagt, er habe diese Probleme gar nicht. Stattdessen will man sich mit dem Arzt beschäftigen, weil sich mehrere Dutzend Ex-Profis an ihn gewandt haben. Man will herausfinden, ob da irgendetwas Anrüchiges gelaufen ist."
    Der Effekt? Von den mehr als 2.000 Spielern, die Forderungen stellen, wurden bislang gerade einmal rund zehn Prozent abgegolten.