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"Entscheidend wird die Sanierung des Bankensektors"

Gerhard Schick hält die 100 Millionen-Zusage von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für eine "nette Geste" an Griechenland. Richtiger wäre eine gemeinsame europäische Lösung, "damit die griechische Wirtschaft wieder ins Laufen komme," sagt der Grünen-Politiker.

Gerhard Schick im Gespräch mit Peter Kapern | 18.07.2013
    Peter Kapern: Die Mehrheit war knapp, aber sie stand. 153 von 293 Abgeordneten stimmten in Athen in der vergangenen Nacht für ein weiteres Sparpaket. Bis Ende kommenden Jahres werden nun 15.000 Staatsdiener ihren Job verlieren. Heute reist Wolfgang Schäuble nach Athen und im Gepäck hat er die Zusage einer deutschen Beteiligung an einem Fonds zur Förderung der griechischen Wirtschaft.
    Bei uns am Telefon ist Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Schick!

    Gerhard Schick: Guten Morgen!

    Kapern: Wie bewerten Sie den Beschluss des griechischen Parlaments von der vergangenen Nacht? Ist dies eine Vergrößerung des Elends der Massenarbeitslosigkeit oder die überfällige Stutzung eines völlig überdimensionierten öffentlichen Sektors?

    Schick: Es ist sicher unstrittig, dass der öffentliche Sektor überdimensioniert ist und dass hier etwas getan werden muss. Wenn das allerdings in dieser gegenwärtigen Situation der Rezession ist, haben die Leute ja wenig Chancen, im privaten Bereich dann wieder eine Arbeit zu finden, und deswegen ist es extrem wichtig, dass etwas getan wird, damit die griechische Wirtschaft wieder ins Laufen kommt. Die 100 Millionen, die jetzt zugesagt sind, sind da allerdings nicht viel mehr als eine nette Geste, mit der die Bundesregierung ja auch anerkennt, dass das, was die Opposition hier und viele andere Experten seit Langem gesagt haben, nämlich dass Griechenland auch einen Wachstumsimpuls braucht, eigentlich immer richtig war und jetzt viel zu spät mit einer kleinen Geste versucht wird.

    Kapern: Aber diese 100 Millionen sind immerhin genau diese Wachstumsgeste, die Sie und die SPD ja immer gefordert haben.

    Schick: Na ja. Sie müssen allerdings die Größenordnungen anschauen, und mit 100 Millionen wird man nicht sehr weit kommen. Von daher ist die Frage, soll es das jetzt gewesen sein, oder was ist eigentlich die Perspektive. Vor allem aber stellt sich die Frage, ob das eigentlich eine sinnvolle europäische Politik ist, wenn man jetzt bilateral mit Aktionen der einzelnen Länder untereinander versucht, gegen die Rezession im praktisch gesamten Euro-Raum vorzugehen. Richtig wäre hier ein europäischer Ansatz an dieser Stelle.

    Kapern: Welche weiteren Wachstumsanreize braucht Griechenland noch?

    Schick: Ganz entscheidend wird die Sanierung des Bankensektors sein. Da sind bisher massive Fehler gemacht worden. Die Rettung ist viel zu teuer organisiert worden. Wenn man die Gläubiger beteiligt hätte, hätte man wahrscheinlich 20 Milliarden Euro sparen können und dadurch wären die Schuldenprobleme Griechenlands nicht so groß gewesen. Vor allem aber ist jetzt das Problem, dass der Bankensektor nach wie vor nicht saniert ist und genau deswegen die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen auch nicht in Gang kommt. Das soll jetzt dieser neue Fonds ein wenig lösen, aber er kann natürlich das Gesamtproblem des griechischen Bankensektors nicht korrigieren.

    Kapern: Wie kann dieses Problem gelöst werden?

    Schick: Ich denke, dass das nur europäisch gelöst werden kann und dass man jetzt zügig an das Thema Bankenabwicklung auf europäischer Ebene herangehen muss. Da bremst die Bundesregierung, meines Erachtens aus einer völlig falschen Perspektive heraus, denn es würde den Steuerzahler schützen, wenn man die Sanierung und Abwicklung von Banken europäisch organisieren würde und dafür sorgen würde, dass eben nicht mehr die Gläubiger gerettet werden, sondern endlich stabile Strukturen geschaffen werden.
    Und dann gibt es ein zweites Problem, über das die Bundesregierung nicht reden will. Das ist die Tatsache, dass die Schuldenlast Griechenlands nach wie vor zu groß ist. Es wird nach der Bundestagswahl ganz sicher eine Diskussion um eine Schuldenentlastung für Griechenland gehen. Der Schuldenstand ist ja in den letzten Zeiten gestiegen auf 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Er ist also deutlich von dem Pfad weg, den man sich eigentlich vorgenommen hat, weil die Rezession stärker war und die Arbeitslosigkeit höher ist, als in den sehr optimistischen Annahmen der Troika vorgesehen war.

    Kapern: Wie könnte denn dieser griechische Schuldenberg so abgebaut werden, dass gleichzeitig noch Wachstum möglich ist?

    Schick: Das Entscheidende wird sein: Die öffentlichen Gläubiger – und um die handelt es sich ja im Wesentlichen jetzt -, also die europäischen Fonds, der Internationale Währungsfonds, die EZB, werden in irgendeiner Form auf einen Teil ihrer Kredite verzichten müssen. Es wird auch noch mal Belastungen für den Bundeshaushalt geben in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Diese Diskussion wird von der Bundesregierung allerdings auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben, weil man Wählerinnen und Wählern jetzt vor der Wahl nicht die Wahrheit sagen will, und deswegen arbeitet man weiter mit geschönten Prognosen. Wolfgang Schäuble redet sich ja geschickt darum herum, wenn er sagt, es wird ein neues Programm geben, aber er sieht jetzt keinen Schuldenschnitt. Na ja, dieses neue Programm steht genau dafür, dass es ohne eine Schuldenentlastung nicht gehen kann, denn der Schuldenstand heute ist nicht nachhaltig. Griechenland wird das Geld nicht zurückzahlen können.

    Kapern: Aber selbst die griechische Regierung sagt, dass ein Schuldenschnitt derzeit für sie kein Thema sei.

    Schick: Ja, darauf hat man sich verständigt. Aber wenn Sie hören oder sich anschauen, was der Internationale Währungsfonds sagt, der ja auch zugibt, dass man in der Vergangenheit die Prognosen geschönt hat, um das politisch irgendwie auf den Weg zu kriegen, wenn Sie sich anschauen, was zahlreiche Ökonomen sagen, jetzt zuletzt eine Untersuchung auch des Kieler Wirtschaftsinstituts, dann müssen wir damit rechnen, dass es dann nach der Bundestagswahl noch einmal Milliardenlasten geben wird, weil Griechenland einfach seine Kredite nicht wird zurückzahlen können.

    Kapern: Der Schuldenschnitt, den Sie da prognostizieren, wie viel kostet der den deutschen Steuerzahler?

    Schick: Das kann man heute noch nicht genau sagen. Ich kann mal eine Untergrenze nennen. Der Schuldenstand Griechenlands ist jetzt schon sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts höher, als eigentlich vorgesehen. Wenn man jetzt nur davon ausgeht, dass diese überhöhte Schuldenstandsgröße korrigiert werden muss, dann wären das für Deutschland allein 3,8 Milliarden Euro. Das ist aber sicher eine absolute Untergrenze, ich erwarte höhere Belastungen.

    Kapern: Wie würden Sie denn den deutschen Steuerzahlern erklären, dass sie nun tatsächlich zahlen müssen für die griechische Misswirtschaft, die zu diesen Schulden geführt hat?

    Schick: Die Entscheidung, vor der wir stehen, ist ja nicht, ob wir das Geld zurückkriegen oder nicht, sondern die Frage ist, wann man realisiert, dass man es nicht zurückkriegt. Sie können, wenn ein Land die Sache nicht zahlen kann, ja nicht hexen, sondern es wird dann irgendwann zur Realisierung dieser Verluste kommen. Und es ist besser, das früher zu tun, als es später zu tun. Deswegen ist ja die Verzögerungsstrategie der Bundesregierung so gefährlich, und zwar nicht nur für Griechenland gefährlich, sondern auch für Deutschland. Es wird dann nur noch teurer, wenn man das verschiebt.
    Wichtig ist allerdings, wie wir die Lasten auch in Deutschland verteilen. Deswegen sagen wir Grünen ja, es soll mit einer einmaligen Abgabe auf hohe Vermögen die Last aus dieser Krise gezahlt werden und nicht auf die breite Masse der Steuerzahler verteilt werden.

    Kapern: Die EU-Kommissarin Viviane Reding, Herr Schick, hat dieser Tage vorgeschlagen, den IWF aus den Euro-Rettungsaktivitäten hinauszukomplementieren. Hat sie damit recht?

    Schick:X! Ich war immer der Meinung, dass die europäischen Staaten diese Aufgabe der Bewältigung der Euro-Krise selbstständig lösen sollten. Allerdings muss man sagen, dass in der Vergangenheit der Internationale Währungsfonds ehrlicher war und eine bessere Analyse hatte als die europäischen Institutionen. Trotzdem ist aus grüner Perspektive es wichtig, dass wir eine demokratische Kontrolle hinkriegen derer, die jetzt diese Krisenpolitik machen, und die Konstruktion der Troika, wo der Internationale Währungsfonds dabei ist, führt dazu, dass eine demokratische Kontrolle praktisch unmöglich ist. Hinter verschlossenen Türen kommen irgendwelche Experten auf irgendwelche Maßnahmen, ohne dass das Europäische Parlament wirklich eine Kontrollmöglichkeit hätte, und das gilt ja auch für die nationalen Parlamente. Deswegen finde ich die Diskussion richtig, jetzt zu schauen, dass wir das europäisch organisieren und dann auch parlamentarische Kontrolle ermöglichen.

    Kapern: Kann es sein, dass Frau Reding dies nur vorschlägt, weil es vor allem der IWF war, der auf einen weiteren Schuldenschnitt gedrängt hat?

    Schick: Die Befürchtung teile ich. Deswegen bin ich auch skeptisch, was jetzt die Motivation ist. In der Sache allerdings muss man sagen, dass nur, wenn man diese Troika-Konstruktion überwindet, man eine effektive Kontrolle hinbekommt. Sie müssen sich ja vorstellen, dass weder europäische noch nationale Parlamentarier wie wir im Bundestag an Informationen herankommen über die einzelnen Programme, und wer da entscheidet, ist völlig intransparent. Das ist ja in einem demokratischen Staat absolut inakzeptabel. Und deswegen: Egal was die Motivation der Kommissarin ist, von der Richtung her ist es richtig, was sie beschreibt, und dann muss organisiert werden, dass hier klare Verantwortlichkeiten sind und Transparenz für die Öffentlichkeit, wer entscheidet hier was, und dann auch eine parlamentarische Kontrolle ermöglicht wird.

    Kapern: Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Schick, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Schick: Danke, das wünsche ich Ihnen auch.


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