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Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Rundfunkbeitrag steigt vorläufig auf 18,36 Euro

Der monatliche Rundfunkbeitrag steigt vorläufig um 86 Cent - bis zu einer staatsvertraglichen Neuregelung. Das hat das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag verkündet. Die öffentlich-rechtlichen Sender hatten es angerufen, nachdem Sachsen-Anhalt die Erhöhung blockiert hatte. Die wichtigsten Fragen, Antworten und Reaktionen.

Text: Annika Schneider | 05.08.2021
Überweisungsschein für den Rundfunkbeitrag
2013 ersetzte der Rundfunkbeitrag die Rundfunkgebühr, die umgangssprachlich oft "GEZ-Gebühr" genannt wurde (Imago/Hans Scherhaufer)
Monatlich 17,50 Euro Rundfunkbeitrag zahlt jeder Haushalt in Deutschland für öffentlich-rechtliches Programm im Fernsehen, im Radio, in den Mediatheken und online. Eigentlich hätte dieser Betrag zum 1. Januar 2021 um 86 Cent steigen sollen, auf dann 18,36 Euro. Zu dieser Erhöhung kam es vorerst aber nicht, weil das Land Sachsen-Anhalt gar nicht darüber abstimmte. Stattdessen landete der Fall vor dem Bundesverfassungsgericht, das die Erhöhung nun durchsetzte. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Die geplante Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf monatlich 18,36 Euro tritt vorläufig in Kraft, und das rückwirkend zum 20. Juli. Das verkündete das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag in einer schriftlichen Entscheidung. Die Erhöhung gilt vorläufig bis zu einer staatsvertraglichen Neuregelung.
Das Land Sachsen-Anhalt, das über die Erhöhung nicht abgestimmt und sie somit blockiert hatte, habe damit die Rundfunkfreiheit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verletzt, entschied das Gericht. Um die Rundfunkfinanzierung sicherzustellen, bestehe eine "konkrete verfassungsrechtliche Handlungspflicht" jedes einzelnen Landes, heißt es in der Pressemitteilung.
Sachsen-Anhalt habe außerdem keine tragfähige Begründung für sein Handeln geliefert: "Der Vortrag des Landes Sachsen-Anhalt, dass es sich seit Jahren unter den Ländern vergeblich um eine Strukturreform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bemüht habe, rechtfertigt die Abweichung von der Feststellung des Finanzbedarfs nicht", so das Gericht. Die Festsetzung des Rundfunkbeitrags müsse frei von medienpolitischen Zwecksetzungen erfolgen.
Damit gab das Gericht den Verfassungsbeschwerden von ARD, ZDF und Deutschlandradio recht. Die Richterinnen und Richter betonen die zunehmend wichtige Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender, "durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltsicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden". Dies gelte "gerade in Zeiten vermehrten komplexen Informationsaufkommens einerseits und von einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News, Deep Fakes andererseits".
In der Entscheidung stellt das Gericht auch klar, dass es die Regelung nur vorübergehend in Kraft setzt, jetzt aber die Länder die Erhöhung des Rundfunkbeitrags in einem neuen Staatsvertrag regeln müssen. Dabei müsse auch geprüft werden, ob die Sender für die verspätete Erhöhung kompensiert werden. Eine "kompensierende Mehrausstattung" stehe ihnen dem Grunde nach zu.
Wie reagierten die Sender auf den Beschluss?
Die öffentlich-rechtlichen Sender begrüßten die Karlsruher Entscheidung. Der Beschluss stärke die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sagte ZDF-Intendant Thomas Bellut einer Pressemitteilung zufolge.
Der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow zeigte sich dankbar für die Entscheidung. Die ARD sei im Reform-Modus, sagte er im Sender tagesschau24. Es sei nun wichtig, dass die Gesellschaft und die Politik sagten, was sie von den öffentlich-rechtlichen Sendern in den nächsten Jahrzehnten erwarteten.
Stefan Raue, Intendant der Deutschlandradios, steht im Schöneberger Funkhaus.
Deutschlandradio-Intendant: "Eigenes Interesse daran, wirtschaftlich zu handeln"
Die Sparbemühungen würden auch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags fortgesetzt, sagt Intendant Stefan Raue.
"Es ist legitim in einer Demokratie, dass die Bevölkerung und die dafür gewählten Politikerinnen und Politiker in den Landtagen sagen: ‚Hey, wir haben euch jetzt 70 Jahre so gewollt, jetzt wollen wir euch anders. Vielleicht wollen wir euch auch schlanker oder wir wollen, dass ihr diese oder jene Sachen mehr macht, andere weniger‘", sagte Buhrow.
Aber man müsse solche Entscheidungen transparent treffen und dafür gemeinsam geradestehen. Die Sender würden die Reformdiskussion konstruktiv begleiten und mitgestalten.
Auch Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue begrüßte den Beschluss als "bedeutende Entscheidung für die Rundfunkfreiheit in unserem Land". Dass die Richterinnen und Richter erneut die wachsende Bedeutung der öffentlich-rechtlichen Sender für authentische und sorgfältig recherchierte Informationen hervorhöben, sei Bestätigung und Anspruch zugleich.
Welche Reaktionen kamen aus der Politik?
Er respektiere den Beschluss, sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Es gebe aber einen Widerspruch zwischen der Freiheit der Abgeordneten auf der einen Seite und dem Zwang, einer vorgeschlagenen Erhöhung zuzustimmen, um verfassungskonform zu handeln, auf der anderen Seite. "Das ist ein Demokratieproblem, das wir hier haben", sagte Haseloff. Das könne in den nächsten fünf bis zehn Jahren immer wieder zu der gleichen Situation führen. Leider habe das Bundesverfassungsgericht keine weiterführenden Hinweise darauf gegeben, wie sich das Dilemma lösen lasse.
Die Grünenfraktion des Landtags in Sachsen-Anhalt warf der CDU vor, sie habe "den Rundfunkanstalten, aber auch dem Land Sachsen-Anhalt mit ihrem unverantwortlichen und eigenmächtigen Handeln, die Anpassung des Rundfunkbeitrags abzulehnen, immens geschadet", wie die dpa meldete.
Aus anderen Bundesländern kamen positive Reaktionen auf die Entscheidung des Gerichts. Die Landesregierungen im Saarland (CDU-geführt) und in Bremen (SPD-geführt), die die Verfassungsbeschwerden der Sender mit einer eigenen Stellungnahme unterstützt hatten, begrüßten den Beschluss mit einer gemeinsamen Erklärung.
Der bayerische Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) sagte laut dpa, der moderate Beitragsanstieg sei gerechtfertigt. Ein starkes und zukunftsfähiges duales Rundfunksystem sei unverzichtbar für politische und gesellschaftliche Teilhabe und den demokratischen Dialog. Die Rundfunkanstalten hätten nun endlich Planungssicherheit.
Der Hamburger Mediensenator Carsten Brosda (SPD) stellte in einem Statement klar, die Länder müssten medienpolitisch gemeinsam festlegen, wie der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in einer digitalen Medienwelt aussehen solle. Entscheidungen über die Höhe des Beitrags müssten von dieser Debatte klar getrennt werden. "Es muss unser Anspruch sein, diese Fragen ohne das Bundesverfassungsgericht als klärende Instanz lösen zu können", so Brosda.
Die Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder, die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab (SPD), betonte, das Gericht habe das bisherige KEF-Verfahren zur Festlegung der Beitragshöhe (mehr dazu hier) mit seinem Beschluss ausdrücklich bestätigt und als geeignet bewertet. "Ganz sicher bedeutet die Entscheidung aber auch einen Schub für die Beratungen zur Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt", erklärte Raab. Eine echte Reform könne aber nicht nur aus Sparvorgaben bestehen. Die Kommission wolle die digitale Transformation in den Anstalten weiter vorantreiben und das besondere öffentlich-rechtliche Angebotsprofil stärker in den Vordergrund rücken.
Der AfD-Vorsitzende Timo Chrupalla kritisierte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts laut dpa als "undemokratisch" und forderte ein Bezahlmodell für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, bei dem jeder frei entscheiden könne, ob er das Programm abonnieren wolle.
Warum hat sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit dem Rundfunkbeitrag beschäftigt?
Jeder Erhöhung des Rundfunkbeitrags müssen alle 16 Bundesländer zustimmen. Das galt auch für die geplante Steigerung um 86 Cent zum Jahresbeginn 2021. Fast alle Landesparlamente billigten die Anpassung im vergangenen Jahr rechtzeitig, nur in Sachsen-Anhalt kam es nicht zu der eigentlich für Dezember angesetzten Abstimmung. Der damalige CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff hatte den entsprechenden Gesetzesentwurf zurückgezogen, weil sich abzeichnete, dass seine eigene Partei dagegen stimmen würde. Das hätte vermutlich das Ende der regierenden Koalition aus CDU, SPD und Grünen bedeutet. CDU-Politiker hatten unter anderem kritisiert, dass die Öffentlich-Rechtlichen zu teuer seien und zu wenig über Ostdeutschland berichten würden.
Eine Kamera steht in der MDR-Wahlarena im MDR-Landesfunkhaus unter den Worten "Wahl 2021" die an die Wand projiziert sind.
Streit um die Öffentlich-Rechtlichen in Sachsen-Anhalt
Am 6. Juni wurde in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Beinahe wäre die Kenia-Koalition 2020 an der Rundfunkbeitragserhöhung gescheitert. Welche Rolle die Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen im Wahlkampf gespielt hat – ein Überblick.
Ohne die Zustimmung Sachsen-Anhalts konnte der Rundfunkbeitrag Anfang des Jahres nicht erhöht werden. Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und Deutschlandradio sahen sich dadurch in ihrer Rundfunkfreiheit verletzt und legten Verfassungsbeschwerden ein. Mit Eilanträgen versuchten sie, das Bundesverfassungsgericht noch im vergangenen Dezember zu einer Entscheidung zu bewegen. Die Karlsruher Richter sahen aber keinen Anlass, besonders schnell zu entscheiden, wiesen die Eilanträge kurz vor dem Jahreswechsel ab und ließen sich stattdessen Zeit bis Anfang August.
Welche Folgen hatte die ausgesetzte Erhöhung des Rundfunkbeitrags?
Von Januar an fehlten den öffentlich-rechtlichen Anstalten Einnahmen, die sie eigentlich einkalkuliert hatten. Einige Sender verzichteten deshalb auf geplante Infrastruktur- und Innovationsprojekte, der NDR und das Deutschlandradio stoppten bereits vereinbarte Tariferhöhungen für ihre Beschäftigten.
Heinz Fischer-Heidlberger, Vorsitzender der KEF, die den Finanzbedarf der Sender prüft (siehe unten), hatte im Januar gewarnt, die Sender könnten zwar Investitionen verschieben, ab 2022 gehe es dann aber "massiv ans Programm". Auch der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow hatte im Februar vor Einschnitten im Programm gewarnt.
Besonders betroffen sind die zwei kleinsten ARD-Anstalten: Radio Bremen und der Saarländische Rundfunk sollten im Zuge der Beitragserhöhung mehr Geld von größeren Sendern bekommen, weil auch der Finanzausgleich zwischen den Anstalten gleichzeitig neu geregelt werden sollte.
Die Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro ist die erste seit 2009. In den vergangenen Jahren haben die Sender ihre Ausgaben aber auch finanziert, indem sie Rücklagen abgebaut haben – de facto stand ihnen also mehr Geld zur Verfügung als 17,50 Euro pro Haushalt.
Wer legt die Höhe des Rundfunkbeitrags fest?
Damit die öffentlich-rechtlichen Programme unabhängig und regierungskritisch berichten können, wird ihre Finanzierung nicht von der Regierung selbst festgelegt. Stattdessen gibt es eine unabhängige Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). In ihr sitzen 16 Sachverständige – 15 Männer und eine Frau -, die von den Bundesländern entsendet werden.
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Die öffentlich-rechtlichen Sender melden bei der KEF ihren Finanzbedarf für jeweils vier Jahre an. Die KEF entscheidet dann, wie viel Geld tatsächlich notwendig ist, damit die Sender ihren vorgegebenen Auftrag erfüllen können. Sie orientiert sich daran an Kriterien wie Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie "an der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und der Entwicklung der öffentlichen Haushalte", wie es auf der Internetseite der Kommission heißt.
Auf dieser Basis hat die KEF zuletzt die geplante Anhebung des Rundfunkbeitrags auf 18,36 Euro für die Beitragsperiode von 2021 bis 2024 empfohlen. Damit blieb sie unter dem von den Sendern gemeldeten Bedarf, der einen Beitrag in Höhe von 19,24 Euro pro Haushalt und Monat bedeutet hätte.
Blau angestrahlter MDR-Turm am Augustusplatz in Leipzig bei Nacht.
Kritik an Berichterstattung über Ostdeutschland
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk würde zu wenig, zu einseitig und zu negativ über Ostdeutschland berichten: Diesen oft gehörten Vorwurf bestätigt ein Bericht der Bundesregierung.
Für die Umsetzung der KEF-Empfehlung sind die Landesparlamente zuständig, weil Medienpolitik in Deutschland Ländersache ist. Erst nach der Zustimmung aller 16 Länder tritt die empfohlene Erhöhung in Kraft. Die Länder dürfen sich der KEF-Empfehlung nur mit guten Gründen verweigern, schließlich könnten sie ihre finanzielle Macht sonst nutzen, um beispielsweise die Berichterstattung der Sender zu beeinflussen. Als guter Grund gilt unter anderem eine zu hohe Belastung der Bürgerinnen und Bürger durch den Rundfunkbeitrag.
Das Ergebnis ihrer Prüfungen veröffentlicht die KEF alle zwei Jahre in Form von öffentlich einsehbaren Berichten. Sie geben detailliert Auskunft darüber, welche Ausgaben die öffentlich-rechtlichen Sender planen. Der jüngste Bericht erschien 2020.
Was könnte sich in Zukunft ändern?
Seit Jahren wird darüber diskutiert, ob die Höhe des Rundfunkbeitrags nicht auch anders festgelegt werden könnte. Der CDU-Medienpolitiker Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt, stellte das bisherige Verfahren im Dlf in Frage: "Wenn man zwar einen parlamentarischen Rattenschwanz an die Beschlussfassung anhängt, aber doch eigentlich von den Abgeordneten erwarten muss, dass sie alle unbedingt und ausschließlich nur mit Ja stimmen würden: Wo bleibt da die Gewissensfreiheit und die freie Entscheidung des Abgeordneten?", fragte er im Dezember 2020 und schlug vor, dass die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder die KEF-Empfehlung absegnen – ohne auf die Zustimmung der Parlamente angewiesen zu sein.
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2
Denkbar ist aber auch eine grundsätzliche Reform: Die Rundfunkkommission der Länder, die die Medienpolitik der Bundesländer koordiniert, prüfte bereits 2019 das so genannte Index-Modell, demzufolge sich die Höhe des Rundfunkbeitrags an den Verbraucherpreisen, also an der Inflation, orientieren würde. Zu einer Einigung kam es nicht.
Nun steht das Thema erneut auf der Tagesordnung: Die Rundfunkkommission will sich in zwei Stufen mit der Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen auseinandersetzen. In einem ersten Schritt will sie den Programmauftrag anpassen, auch im Hinblick auf non-lineare Angebote in Mediatheken und auf anderen Plattformen. Dafür soll bis zum 1. Januar 2023 der Medienstaatsvertrag geändert werden. In einer zweiten Phase von 2023 bis 2025 soll es dann unter anderem um eine mögliche Reform des Verfahrens zur Beitragsfestsetzung gehen.