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Entscheidung im Senat
Argentinien lehnt Legalisierung der Abtreibung ab

Abtreibung bleibt in Argentinien vorerst illegal. Die Befürworter des gesetzlich erlaubten Schwangerschaftsabburchs sind über den Beschluss des Senats tief enttäuscht. Denn Frauen, die ihr Baby nicht bekommen wollen, bleibt nur der Weg in die Ilegalität.

Von Victoria Eglau | 09.08.2018
    Eine Aktivistin für die Legalisierung der Abtreibung demonstriert vor dem Kongress
    Eine Aktivistin für die Legalisierung der Abtreibung demonstriert vor dem Kongress (AFP)
    Zwei riesige Menschenmengen, die eine grün, die andere blau, demonstrieren vor dem Kongressgebäude in Buenos Aires – streng voneinander getrennt durch Absperrungen und Sicherheitskräfte. Die Frauen und Männer, die sich grüne Tücher um Hals, Stirn oder Handgelenk gewickelt haben, sind für das Abtreibungsgesetz, über das der argentinische Senat seit dem Vormittag debattiert. Die Demonstranten mit den blauen Tüchern lehnen es ab. Auf der grünen Seite trotzt eine Gruppe junger Frauen dem Dauerregen und fordert ausgelassen und kämpferisch singend einen legalen Schwangerschaftsabbruch.
    "Abtreibungen existieren in Argentinien. Viele Frauen, die ein Kind nicht bekommen wollen, entscheiden, im Verborgenen abzutreiben. Deswegen brauchen wir ein Gesetz", sagt Martina, eine 25jährige Schauspiel-Studentin mit knallgrün geschminkten Augen.
    Eine Demonstrantin hält ein Schild in die Höhe, auf dem ein blutiger Kleiderbügel und die Worte "Nunca Mas" ("Nie wieder") zu sehen sind.
    Bei illegalen Abtreibungen sterben immer wieder Frauen (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Drinnen im Parlament argumentiert die Senatorin Norma Durango aus der Provinz La Pampa in die gleiche Richtung:
    "Ich bin für ein Recht der Frauen auf einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch. Heute treiben viele Argentinierinnen unter zum Teil lebensgefährlichen Bedingungen ab - und der Staat ist abwesend. Das dürfen wir nicht zulassen. Die Frauen dort draußen mit ihren grünen Tüchern bitten uns, dass wir gesetzliche Bedingungen schaffen, die ihrer Realität entsprechen. Sie wollen, dass keine Frauen mehr bei Abtreibungen sterben."
    Frauen sterben immer wieder bei illegalen Abtreibungen
    In der Vergangenheit kamen in Argentinien mehrfach Frauen bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen ums Leben. Risiken bestünden besonders für mittellose Frauen, betont Maria, eine 33-jährige Ärztin, die vor dem Kongress demonstriert:
    "Wer Geld hat, kann sich eine illegale Abtreibung in einer sicheren Klinik oder Praxis leisten. Wir wollen, dass alle Frauen sich für einen sicheren Schwangerschaftsabbruch entscheiden können. Das heißt aber nicht, dass wir für die Abtreibung werben."
    Doch genau das glauben die Teilnehmer der blauen Demonstration, die sich gegen die Legalisierung wehren. Der Gesetzentwurf, der im Juni vom Abgeordnetenhaus abgesegnet wurde, will Abtreibungen innerhalb der ersten vierzehn Schwangerschaftswochen erlauben. Staatliche und private Kliniken sollen sie kostenlos vornehmen.
    Fehlende Hilfe des Staates
    Die 16-jährige Camila ist mit ihren Eltern und vier ihrer Geschwister zum Parlament gekommen. Zusammen mit ihrem Vater schwenkt sie ein blaues Transparent, auf dem der Satz steht: ‚Lasst uns beide Leben retten‘. Es ist der Slogan der Abtreibungsgegner, gemeint sind das Leben der Mutter und das des ungeborenen Kindes.
    "Das Problem ist, dass die Abtreibungs-Befürworterinnen über ihren Körper entscheiden wollen – aber das Leben, das eine Frau in sich trägt, gehört ihr nicht! Sie reden von einem freiwilligen Schwangerschaftsabbruch, aber für mich ist das ein freiwilliger Mord, den die Mutter begeht."
    Abtreibungsgegner demonstrieren gegen ein geplantes Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung in Argentinien
    Abtreibungsgegner bei der Demonstration (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Eine moralische, eine ethische Verpflichtung sei es, sowohl das Leben der Mutter als auch das des Embryos zu schützen, meint Camilas Vater. Während der Debatte im Kongress nennt die Senatorin Silvia Giacoppo aus der nordargentinischen Provinz Jujuy ähnliche Gründe für ihr Votum gegen das Abtreibungsgesetz. Aber sie räumt auch die fehlende Hilfe des Staates für schwangere Frauen in Notsituationen ein:
    "Eine Frau, die sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheidet, ist verzweifelt. Sie sieht keine Alternative und hätte Unterstützung vom Staat, von uns Parlamentariern nötig. Diese Hilfe müssen wir leisten, aber nicht durch den Tod eines Lebewesens."
    Kritik von Bischöfen und Priestern
    Im Laufe des Abends neigt sich die Waage immer mehr einer Ablehnung des Abtreibungsgesetzes zu. Die Mehrheit der Nein-Stimmen kommt von Senatoren aus den konservativen und ärmeren argentinischen Provinzen im Norden, die im Senat proportional stärker vertreten sind als in der Abgeordnetenkammer. In jenen Regionen ist der Einfluss des Katholizismus größer als in den städtischen Ballungsräumen. Bischöfe und Priester in der Heimat des Papstes hatten in den letzten Monaten wiederholt scharfe Kritik an dem geplanten Gesetz geübt.
    "Es empört mich sehr, dass sie die Messen dafür missbrauchen, um den Leuten einzutrichtern, dass ein Recht auf Abtreibung schlecht ist", sagt die Studentin Martina vor dem Kongressgebäude.
    Als der Senat schließlich gegen die Legalisierung stimmt, feiern die Abtreibungsgegner und die Befürworter stehen zutiefst enttäuscht im Regen. Frühestens im nächsten Jahr kann erneut ein Gesetz, dann vermutlich eine abgemilderte Version, ins Parlament eingebracht werden – vielleicht werde das auch erst nach den Wahlen passieren, die 2019 stattfinden, meint Ignacio, ein junger Biologe mit grünem Halstuch:
    "Aber ich glaube, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Schwangerschaftsabbrüche in Argentinien legal werden. Irgendwann wird es soweit sein."