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"Entscheidung ist Plädoyer für die deutsche Demokratie"

Markus Kerber sieht im Nein des Bundesverfassungsgerichts zum Euro-Sondergremium einen "großen Sieg für die parlamentarischen Statusrechte". Der Rettungsfonds sei "faktisch schon ein europäisches Finanzministerium" geworden, so der Finanzwissenschaftler.

Markus Kerber im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 29.10.2011
    Jürgen Zurheide: Der Euro ist gerettet. Wieder einmal, möchte man sagen, zumindest, wenn man den Staats- und Regierungschefs folgt, ist das so. Sie sind davon überzeugt, sie zeigen sich überzeugt. Die Aktienmärkte haben zunächst positiv reagiert, das war am Donnerstag. Am Freitag war es dann schon etwas schwieriger, man ist sich nicht mehr so ganz sicher: Ist der Euro denn wirklich gerettet? Die eine oder andere kritische Stimme kommt. Wir wollen das Thema weiter beleuchten und wollen darüber reden mit Markus Kerber, Finanzwissenschaftler der Technischen Universität Berlin, der jetzt am Telefon ist. Guten Morgen Herr Kerber!

    Markus Kerber: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Kerber, zunächst einmal, bevor wir über den Euro reden, wollen wir noch mal über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gestern sprechen, das ja gesagt hat, dieses Neuner-Gremium, das diskret und geheim die eine oder andere Entscheidung treffen sollte, kann das so nicht tun. Zumindest in einer einstweiligen Entscheidung haben die Bundesverfassungsrichter das so gesagt. Was sagen Sie dazu? Sie gehören ja auch zu Klägern auf anderer Ebene gegen den Eurorettungsfonds. Wie bewerten Sie die Entscheidung von Karlsruhe?

    Kerber: Dies ist ein großer Sieg für die parlamentarischen Statusrechte der Bundestagsabgeordneten, die ganz zu Recht dagegen protestiert hatten, dass bei den großen und wichtigen, also den Eilentscheidungen, immer nur ein Neuner-Gremium zu entscheiden hat, das in gar keiner Weise die Gesamtheit des Parlaments repräsentiert. Im Grunde genommen wird momentan in Brüssel bereits - und die Bundesregierung macht das mit - das deutsche Parlaments- und Budgetrecht aufgegeben. Die Franzosen sagen bereits: Das ist alles etwas altmodisch, wir wollen schnell entscheiden können, und zwar über große Milliarden, jetzt schon über Billionensummen. Da haben diese beiden sehr couragierten Berliner Abgeordneten, Herr Danckert, Herr Schulz, Nein gesagt und haben gesagt: Das kann nicht sein, dass gerade bei Großen - eilbedürftig sind die Entscheidungen ja immer - großen Entscheidungen, die Milliarden betreffen, die Entscheidungen nicht mehr vom Bundestag, nicht mal mehr vom Haushaltsausschuss getroffen wird, sondern nur von einem Neunergremium, und das Bundesverfassungsgericht hat ihnen recht gegeben. Das heißt für die praktische Politik: In absehbarer Zeit läuft gar nichts ohne die Gesamtheit des Haushaltsausschusses. Und die Bundesregierung wird damit zu leben haben.

    Zurheide: Was heißt denn das aber zum Beispiel für die Geheimhaltung: Denn in der Tat sagen ja manche - und so ganz falsch ist es nicht -: Zu viele Informationen über bestimmte Stützungsmaßnahmen rechtzeitig nach draußen geraten, dann können die Märkte wieder wunderbar spekulieren. Werden die Spekulanten also ermuntert durch so etwas? Müsste man die berechtigten Interessen des Bundestages nicht anders einbringen? Wie sehen Sie das?

    Kerber: Also die Entscheidung über Milliarden von Gewährleistungen betreffen nicht nur den Bundestag, sondern die finanzielle Souveränität des deutschen Volkes in toto. Der Bundestag hat also eine Treuhänderfunktion. Diese kann er nur ausüben, wenn über diese Maßnahmen, die von erheblicher Reichweite sind, und die nicht nur die Legislaturperiode für die jeweiligen Abgeordneten, sondern eine ganze Generation betreffen, wenn sie in entsprechender Pluralität auch diskutiert werden. Der Rettungsfonds wird immer sagen: Es geht ums Ganze, Ansteckungsgefahren, Eilbedürftigkeit, Vertraulichkeit. Der Rettungsfonds ist mittlerweile schon faktisch ein europäisches Finanzministerium geworden, das seine exekutive Gewalt zulasten der deutschen Demokratie ausüben will. Bei der Frage, retten wir den Euro oder opfern wir die deutsche Demokratie, sollten sich die Deutschen genau fragen, wie sie diese Frage beantworten werden. Jedenfalls ist die Entscheidung des Verfassungsgerichts und die Initiative der beiden Abgeordneten eindeutig ein Plädoyer für die deutsche Demokratie. Oder man muss sich diese Frage wirklich stellen: Wollen wir die deutsche Demokratie für den Euro opfern?

    Zurheide: Nur - das ist verständlich, was Sie sagen. Auf der anderen Seite: Diese Geheimhaltung und die Eilbedürftigkeit, bezogen auf die spekulativen Tendenzen auf der anderen Seite, das Argument ist ja so ganz falsch nicht, da haben Sie ja jetzt nicht drauf geantwortet.

    Kerber: Also, Herr Zurheide, der Rettungsfonds hat bisher durch seine Maßnahmen nichts gerettet, sondern die Situation ist in Griechenland eskaliert. Keine Rettung irgendeines Landes mit Ausnahme von Griechenland, von Irland, ist bisher so wenig erfolgreich gewesen wie die Initiativen des Rettungsfonds. Die gesamte Rettungsproblematik scheitert doch nicht an der Eilbedürftigkeit und der Geheimhaltung, sondern sie scheitert daran, dass die kompetitiven, also die industriellen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern in der Europäischen Währungsunion so groß sind, wie sie sind, und durch das immer größere Auftürmen von Schulden nicht beseitigt werden. Der Wunsch nach Geheimhaltung, Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit ist das Begehren des Rettungsfonds, machen zu können, was sie wollen. Dann sind sie im Grunde genommen dort, wo die EZB schon seit Jahren ist. Auch die EZB macht, was sie will, darum haben wir ja auch gegen die EZB-Klage erhoben, weil das nicht sein kann, dass Europa Rechtsstaat und Demokratie verdrängt.

    Zurheide: Wie sehen Sie die Gipfelbeschlüsse, muss ich Sie nach diesem Plädoyer kaum noch fragen, das heißt, Sie sagen: Nein, wir haben da nichts gerettet. Oder wie bewerten Sie das?

    Kerber: Also ich würde das differenzierter sehen. Sicherlich ein Verhandlungserfolg, dass man den Banken in einer Richtungsentscheidung den Verzicht auf 50 Prozent ihrer Forderungen gegenüber Griechenland abgerungen hat. Wer das nicht als einen Verhandlungserfolg, einen taktischen Erfolg wertet, der ist nicht gerecht in seinem Urteil. Aber dies wird die Probleme des Euroraums in toto nicht retten. Im Übrigen hat der Gipfel nichts entschieden, sondern nur Richtungsentscheidungen, Planungsentscheidungen getroffen. Im Grunde genommen ist dieser Gipfel das Eingeständnis des totalen Scheiterns der bisherigen Eurorettung und auch der Prognosen, die man getroffen hat. Ich darf Sie daran erinnern, dass Herr Schäuble im April 2010 sagte, er sei sich gar nicht sicher, ob Griechenland überhaupt den Dispokredit in Anspruch nehmen würde. Seitdem sind in Griechenland zwei große Kreditprogramme angelaufen, seitdem stellen wir fest, dass das Land entgegen der Erwartung nicht 2013 wieder in den Kapitalmarkt geführt werden kann, sondern allerbesten Falles 2025. Das heißt, wir werden diesen Aderlass noch lange Zeit haben. Deshalb wäre es notwendig und historisch bedeutend gewesen, einen Schnitt zu machen und zu sagen, Griechenland bekommt Geld, aber scheidet dann auch aus, Und dann auch die Frage zu stellen, wie man den Euroraum so zurechtschneiden kann, dass die Länder, die daran teilnehmen, ein Mindestmaß an Homogenität aufweisen. Diese Homogenität ist auch nicht bei Portugal vorhanden. Dann stellt sich die Frage - und das wird die große Bewährungsprobe dieser Rettungspolitik sein: Was macht man mit Spanien und Italien? Dafür ist kein Geld vorhanden, beziehungsweise nur dann, wenn man den französischen Vorschlägen folgt, und die sehen vor, dass der Rettungsfonds so gehebelt wird, dass er bis 1,3 Billionen Euro vergeben kann. Dies würde zu einer Inflation in absehbarer Zeit führen, die nicht zu verkraften ist, und die man den Deutschen nicht vermitteln kann. Das heißt, aus diesem Gipfel ist absolut nichts gewonnen, die Eurotragödie geht weiter, und die Deutschen müssen das schlimmste fürchten.

    Zurheide: Kommen wir noch mal auf Griechenland: Die Schulden sind das eine, die Wettbewerbsfähigkeit ist das andere, das haben Sie implizit gerade angesprochen. Sie sind der festen Überzeugung, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands kann, wenn überhaupt, nur ohne den Euro hergestellt werden.

    Kerber: Also erstens ist die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands für mich kein Thema von historischer Bedeutung. Das ganze Land Griechenland mit seinen elf Millionen Einwohnern, mit einem Fehlen an Staatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, das ist ein Problem, das hätte längst geregelt sein müssen, indem man ...

    Zurheide: Das sind drei Prozent der wirtschaftlichen Leistung in Europa.

    Kerber: Weniger, sehr viel weniger. Das heißt, wir wenden Summen auf, die in keinem Verhältnis stehen zu der Bedeutung Griechenlands für die europäische Integration und für das Zusammenwachsen der Europäischen Gemeinschaft. Wir riskieren die Desintegration, die politische Desintegration Europas wegen eines Landes, dem man also nun mit guten Gründen hätte sagen können: Nach dem, was ihr euch geleistet habt, legt ihr Mal für einige Jahre eine Europause ein, bekommt einen Scheck und saniert euch im Laufe einer Generation. Das heißt, das griechische Problem ist so schlimm, dass es die Glaubwürdigkeit der Führungsfähigkeit der Europäischen Union, der Gouvernance der Europäischen Union, stark beschädigt hat. Wer will denn anderen Ländern noch Hilfe abschlagen, nach dem, was die Griechen sich geleistet haben. Von daher ist das Kernproblem in der Europäischen Gemeinschaft ihre Unfähigkeit, die Schlüsse zu ziehen aus den Verwerfungen, die sich seit einigen Jahren eingestellt haben, das heißt, des Auseinanderdriftens der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Norden und Süden. Die entscheidende Rolle im Zusammenhang spielt Frankreich. Denn Frankreich ist nicht bereit zuzugestehen, dass es mental auf der Seite der Südländer steht und seine öffentlichen Finanzen sich in einer totalen Unordnung befinden. Frankreich hat Triple A, also die beste Note, völlig zu unrecht. Die einzige Fragestellung, die dann wirklich schicksalhaft sein wird: Was passiert, wenn Frankreich in den Strudel der berechtigten Marktzweifel kommt, ob Frankreich in der Lage sein wird, seine Schulden zurückzuzahlen. Dann wird die deutsch-französische Freundschaft wieder einmal stark belastet. Die Franzosen haben ein ganz anderes Verständnis von der Rolle der Europäischen Zentralbank. Sie meinen, es wäre eine Gelddruckmaschine, und wir Deutschen sähen das als etwas zu ökonomisch und kaufmännisch, und die Frage, beziehungsweise das Postulat nach Inflation wird hier in Frankreich sehr offen gestellt. Es wird überhaupt nicht mehr der Tabu, der deutsche Tabu einer inflationsflexibleren Bewältigung der Probleme aufgeworfen, sondern man ist der Meinung, man kann das mit Inflation regeln. Von daher sehe ich im deutsch-französischen Paar zwischen Herrn Sarkozy und Frau Merkel in absehbarer Zeit die Frage aufkommen, ob die Deutschen zu dem stehen, wofür sie stehen, oder ob sie nur noch eins können: Umfallen.

    Zurheide: Das war Markus Kerber zu der Frage, ob der Euro wirklich gerettet ist mit einer skeptischen Stimme. Ich bedanke mich, Herr Kerber, für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Kerber: Auf Wiederhören!

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