Engels: Herr Friedmann, Sie geben Herrn Diepgen die Schuld daran, daß die Entscheidung zumindest vertagt wurde. Hätte Bundeskanzler Kohl sich durchsetzen müssen?
Friedmann: Es wäre wohl schwer gewesen, sich in der jetzigen Situation gegen das Veto des Regierenden, dessen Stadt letztendlich das Mahnmal umsetzen muß, zu stellen. Insgesamt ist folgendes vielleicht zusammenzufassen: Es gab eine jahrzehntelange, jedenfalls jahrelange kritische, nachdenkliche Diskussion, eine wichtige Diskussion mit vielen Beiträgen, auch streitigen Beiträgen, und das war richtig so. In den letzten Monaten haben alle bemerkt, daß nichts Neues in diese Argumentation kam, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Es erschöpfte sich in Wiederholungen mit anderen Worten. Die Situation ist deswegen so unbefriedigend, nicht weil die eine oder die andere Entscheidung getroffen wird, sondern weil Monat für Monat eine Entscheidungslosigkeit dargestellt wird. Dies ist nicht zu rechtfertigen. Dafür gibt es auch keine Argumente, warum das so sein muß. Das ist jetzt der Zustand; schade darum! Ich hätte mir gewünscht, daß diejenigen, die Verantwortung tragen, die Auslober und vor allen Dingen hier das Land Berlin, Farbe bekennen. Und übrigens was machen wir nach dem 27. September? Ich bin gespannt, welche Vorwände für das Nichtentscheiden dann aus der Mottenkiste geholt werden. Das Projekt hat jedenfalls einen solchen Umgang nicht verdient.
Engels: Ignaz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, hat gesagt, wenn jetzt keine Entscheidung fällt, dann ist auch das eine Entscheidung. Ist die erneute Verschiebung letztlich möglicherweise als nein zum Mahnmal zu werten?
Friedmann: Wie auch immer präjudiziert es eine Entscheidung.
Engels: Die Entscheidung zum nein hin?
Friedmann: Ja, und ich glaube auch, daß wenn man zwei Konstellationen überlegt man auch weiß, wohin es zu Ende geht. Herr Diepgen wird wohl auch am 28. September dagegen sein, und sollte es zu einem Regierungswechsel kommen, hat ja Herr Naumann auch gesagt, er ist dagegen. Damit sind zwei Drittel der Auslober dagegen. Was Herr Diepgen macht, wenn Herr Kohl wieder Kanzler ist, der ja dafür ist, weiß ich immer noch nicht, aber alleine daß wir über diese identitätsstiftende Frage so reden müssen zeigt bereits, auf welchem untersten Niveau die Diskussion gelandet ist. Das ist eigentlich das Schändliche, und das ist das, wo über Verantwortung zu diskutieren ist, daß wir an einem Punkt gelandet sind, wo Herr Diepgen ja noch etwas organisiert hat. In den letzten Tagen und das fand ich mittlerweile eigentlich unterhalb aller Diskussionsgrenzen wurde in Berlin darüber diskutiert, daß dieses Mahnmal wahrscheinlich 28 oder 29 Millionen kosten wird und wie man das realisieren soll. Wenn ich mir überlege, daß wir von der zentralen Gedenkstätte für die Ermordung von sechs Millionen Juden diskutieren und dann eine Provinzargumentation eingeführt wird, wieviel wird das am Ende gekostet haben, so sehen wir, wessen Geistes Kind hier in der letzten Zeit diskutiert.
Engels: Befürworter und Kritiker dieses Mahnmals, Herr Friedmann, finden sich ja in allen Parteien. Sie haben gesagt, was passiert nach dem 27. September. Brauchen wir möglicherweise einen größeren politischen Konsens, also zum Beispiel eine Entscheidung des Bundestages, damit ein solches Denkmal Realität werden kann und auf breiten Füßen steht?
Friedmann: Ich kann mir viele Gremien vorstellen, auf die wir weiter die Verantwortung verlagern oder auch nicht verlagern. Das paradoxe ist doch, daß beispielsweise die Fraktionen, ob sie das jetzt im Bundestag formal diskutiert haben oder nicht, sich ausgesprochen haben. Die SPD-Bundestagsfraktion sowie auch Herr Schäuble als Vertreter der CDU-Fraktion, die GRÜNEN sowieso, auch die FDP haben alle als Bundespolitiker eigentlich signalisiert, ja zu diesem Mahnmal: mit differenzierten Argumenten und Aspekten, aber im Grundsatz ja. In Berlin stellt sich die Situation so dar, daß die SPD-Fraktion dafür ist, obwohl Herr Schröder skeptisch ist, und innerhalb der CDU eine Teilung ist zwischen Befürwortern und Ablehnern. Das Problem ist, daß man diese Entscheidung nun einmal treffen muß und daß es nie eine optimale Entscheidung geben wird. Die Argumente zu wiederholen, dies ist ja auch mittlerweile für jeden müßig geworden, Gegenargumente oder Befürworterargumente. Aber lassen Sie mich diese Frage doch einmal reduzieren auf das grundsätzliche des Themas. Diese Bundesrepublik Deutschland, vereinigt in einem vereinigten Berlin als Hauptstadt und Metropole, hat sich in die Diskussion eingebracht und entschieden, daß man ein zentrales Mahnmal will: nicht nur um die Erinnerungen des gesterns wachzuhalten, sondern aus der Erinnerung Motivation für junge Generationen zu schaffen, daß man es anders machen soll. Nun kann man über die künstlerischen Fragen immer wieder debattieren, aber dieses grundsätzliche ob, dieses Prinzip hat eine solche übergeordnete Bedeutung, daß man sich vergegenwärtigen muß, daß die Diskussion, wie wir sie jetzt führen, diesem Anspruch einfach nicht gerecht wird. Ich sage noch einmal: Jede Entscheidung, aber eine Entscheidung, damit man endlich über die Gesichter, die entschieden haben und ihr Gesicht gezeigt haben, diskutieren kann, statt daß diese Gesichter sich versuchen, in Gummiwatte zu verhüllen.
Engels: Das heißt, Sie könnten mit einem nein jetzt besser leben als mit einem später?
Friedmann: Ich bin ein Befürworter dieses Mahnmals, aber was ich nicht mag in politischen Debatten und was ich auch nicht vertrage und für dieses Thema auch nicht zulässig empfinde, ist Heuchelei, Strategie, Doppelmoral und Fortsetzung folgt-Romane. Eine Entscheidung ist zu treffen, wäre zu treffen gewesen, wird zu treffen sein. Und über eines sollten wir uns einig sein: So oder so, früher oder später, die Entscheidung wird wohl getroffen werden müssen. Warum denn nicht rechtzeitig in Würde und mit Argumenten und Aspekten, und so gesehen befinden wir uns vielleicht jetzt bereits im Epilog des Themas. Wie gesagt, ich würde mir wünschen, daß dieses Mahnmal gekommen wäre. Es wäre ein wichtiges Signal gewesen, eine weitere Perle in der Perlenkettenarbeit der Erinnerung. Und wenn es nicht kommt, dann ist dies auch ein Stück Realität des Bewußtseins der Bundesrepublik Deutschland 1998. Dann will ich es lieber wissen, als es nicht wissen!
Engels: Herr Friedmann, zehn Jahre ist es her, daß ein zentrales Holocaust-Mahnmal erstmals gefordert wurde, und die Initiatorin Lea Rosh erklärte gestern noch einmal, zwölf Jahre hat es gedauert, bis man sich in Israel für die Gedenkstätte Jad Waschem entschloß, und ebenfalls zwölf Jahre, bis in Washington die Entscheidung für ein Holocaust-Museum fiel. Zwei Entscheidungen, die erst nach langen erbitterten Debatten fielen. Müssen wir uns da schämen über die Debatte in Deutschland?
Friedmann: Nein. Die Debatte war richtig. Die Debatte war wichtig. Ihr Pluralismus war übrigens auch ein Beweis einer streitigen, offenen Diskussionskultur. Dies ist nicht das Problem. Ich glaube auch, daß die Zeit, die man sich genommen hat, ebenfalls wichtig war, konstruktiv war und daß sich alle Positionen, ob sie sich jetzt der künstlerischen oder der grundsätzlichen Frage gestellt haben, ausdiskutiert wurden, das war richtig und wichtig. Aber jede Diskussion ist irgendwann einmal erschöpft, und wenn sie in die Wiederholung verfällt, dann verfällt wiederum die Qualität dessen, was ich beschrieben habe. Schuld sind jetzt nicht die Diskutanten. Die Verantwortung tragen diejenigen, die diese Diskussion nicht zu einer Entscheidung umsetzen. Sie haben zwei Länder genannt. Nur in Israel gibt es Jad Waschem seit Jahrzehnten. In Washington gibt es ein fertiges Holocaust-Museum. Im Land der Täter scheint die Angst und die Verdrängung stärker zu sein als das sich stellen vor eine zugegeben schwierige Aufgabe, aber besser man stellt sich ihr, als man vertagt sie nur nächsten Generation.
Engels: Sollten sich die Bürger Deutschlands mehr als bisher in die Debatte einschalten?
Friedmann: Das sowieso, weil diese Debatte uns alle angeht: Juden und Nichtjuden, jung und alt, weil es eine Frage auch der Identitätsdefinition für die nächsten Jahre ist. Es geht nicht darum, diejenigen, die dafür sind, als gute Menschen und die, die dagegen sind, als schlechte Menschen zu diskutieren und zu difamieren. Es geht darum, daß wir Positionen austauschen und von denen, von denen wir es verlangen können, nämlich den politisch Verantwortlichen, Entscheidungen bekommen, um die nächste Etappe der Diskussion zu führen. Aber das Niemandsland ist nie gut für so wichtige Fragen!
Engels: Am 27. Januar 1999, das ist nicht mehr allzu lange hin, sollte die Grundsteinlegung in Berlin sein. Halten Sie diesen Termin trotz aller Bedenken, die Sie eben genannt haben, für haltbar?
Friedmann: Für haltbar auf jeden Fall. Ob wir es erleben, das sollten wir Herrn Diepgen fragen, das sollten wir den Bundeskanzler ab dem 27. September 18 Uhr fragen, ob es der gleiche ist oder ein anderer, das sollten wir die Auslober fragen. Ich würde es mir, wie gesagt, wünschen. Es wäre ein weiteres wichtiges Signal. Aber noch einmal: Das Unzumutbare ist das nicht entscheiden, und das ist eine Verantwortung, über die wir in den nächsten Wochen bestimmt lange diskutieren werden.
Engels: Streit um das geplante Holocaust-Mahnmal in Berlin. Das war Michel Friedmann, CDU und Präsidiumsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland.