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"Entscheidungsfreude heißt, zum Richtigen Ja zu sagen"

Kaum aus dem Urlaub zurück, musste Kanzlerin Merkel FDP-Chef Westerwelle in Sachen Steuersenkungen zurückpfeifen. Gehen Dauer-Koalitionszwist und Entscheidungsarmut also munter weiter? Hermann Gröhe gibt Probleme zu - jetzt müsse man über die "Erfolge" reden.

Hermann Gröhe im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die meisten Kabinettsmitglieder sind spätestens mit der Kanzlerin zum Wochenende aus dem Urlaub gekommen. Einer fehlt noch: Bundesumweltminister Norbert Röttgen. Auf seine Rückkehr warten viele, gerade auch in der CDU. Angeblich hat sich Röttgen entschieden, mehrere Zeitungen melden, er will antreten für den Landesvorsitz der CDU in Nordrhein-Westfalen und das morgen öffentlich verkünden.
    Angela Merkel ist aus dem Urlaub zurück, es gibt Personalspekulationen in der CDU, genug Gesprächsstoff also für ein Interview mit Hermann Gröhe, dem Generalsekretär der Bundes-CDU. Guten Morgen, Herr Gröhe.

    Hermann Gröhe: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Können Sie schon bestätigen, Norbert Röttgen will antreten als CDU-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen?

    Gröhe: Ich kann das nicht bestätigen. Sicher, die Berichte verdichten sich jetzt, aber bitte haben Sie Verständnis, es ist Aufgabe etwaiger Kandidaten, sich selbst zunächst zu erklären. Sie haben es selber eben berichtet: Man wird noch wenige Tage warten müssen, bis Klarheit herrscht. Und wenn das sich bewahrheitet, was jetzt berichtet wird, dann ist die CDU Nordrhein-Westfalen in der komfortablen Situation, zwischen zwei sehr geeigneten Persönlichkeiten auswählen zu können.

    Meurer: Wird das nicht eher auf eine Zerreißprobe in Nordrhein-Westfalen hinauslaufen, dem Landesverband, dem Sie auch angehören?

    Gröhe: Nein, und sehen Sie: Wir haben erst vor wenigen Wochen in der Landtagsfraktion auch zwischen zwei Bewerbern entscheiden können. Die Landtagsabgeordneten haben entscheiden können für den Fraktionsvorsitz, und das ist in fairer Weise geschehen. Es ist wichtig, dass jetzt – und daran habe ich keinen Zweifel – fair entschieden wird, denn die rot-grüne Minderheitsregierung braucht allemal eine starke Opposition und eine Partei, die sie bald ablösen kann. Darauf werden sich alle konzentrieren. Ich rechne nicht mit einer Zerreißprobe, ich rechne mit einem fairen Wettstreit.

    Meurer: Ist eine Opposition wirklich stark, wenn erst um den Fraktionsvorsitz ein Ringen stattfindet und dann jetzt um den Landesvorsitz?

    Gröhe: Ich bin froh, dass diese Landtagsfraktion, dass diese Landespartei über Persönlichkeiten verfügt, die im Falle von Norbert Röttgen und Armin Laschet ja mit sehr ähnlichem inhaltlichen Profil, aber natürlich mit persönlichen Unterschieden – jede Person bringt ihr Profil in die Waagschale – wählen kann. Da gefällt mir schon der Begriff Kampfabstimmung nicht. Das ist ein fairer Wettbewerb und wir haben uns immer auch als Partei des Wettbewerbs verstanden.

    Meurer: In der Tat beide, Armin Laschet, der Familienminister, Integrationsminister in Nordrhein-Westfalen, Norbert Röttgen, der Bundesumweltminister, gelten als Modernisierer. Könnte sich wieder die Frage stellen: Wo bleiben die Konservativen?

    Gröhe: Es ist ganz schwer, so etwas in Etiketten zu verteilen. Bei Armin Laschet und Norbert Röttgen handelt es sich um Persönlichkeiten, die immer auch, ob das die Umweltfrage ist bei Norbert Röttgen, die Schöpfungserhaltungsfrage, ob das bei Armin Laschet die Familienpolitik ist, ausgesprochen wertkonservative Positionen bezogen haben. Der Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann ist in gesellschaftspolitischen Fragen sicher eher konservativ. Die CDU in Nordrhein-Westfalen ist inhaltlich breit aufgestellt, so gehört sich das für eine Volkspartei. Aber es ist in der Tat richtig, dass Armin Laschet und Norbert Röttgen ja auch menschlich, freundschaftlich miteinander verbunden sehr ähnliche Positionen in vielen Fragen haben.

    Meurer: Wäre für Sie eigentlich denkbar, dass man hier eine Trennung herbeiführen kann, ein CDU-Politiker wird CDU-Landesvorsitzender, ein anderer stellvertretender Bundesvorsitzender?

    Gröhe: Jetzt muss zunächst entschieden werden, ob wir für den Landesvorsitz mehr als einen Bewerber haben. Das wird in den nächsten Tagen klarer werden. Dann sind die Mitglieder, dann sind die Gremien der CDU Nordrhein-Westfalen gefragt und anschließend sind auch die Gremien der CDU Nordrhein-Westfalen gefragt, die Entscheidung zu treffen, wer für die CDU Nordrhein-Westfalen in der Bundesparteispitze sitzt. Das steht noch nicht an. Sicher gehört allerdings ein Landesvorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalen kraft Gewicht dieses Landesverbandes auch zur Führungsgruppe innerhalb der CDU Deutschlands. Das ist für die Landespartei gut, aber auch für die Bundespartei.

    Meurer: Herr Gröhe, die Bundeskanzlerin ist gestern aus dem Urlaub zurückgekehrt. Urlaub, das ist eine Zeit, wo man ein bisschen abspannen kann, auch nachdenken kann. Ich gehe mal davon aus, dass Sie mit ihr Kontakt gehabt haben. Mit welchen Vorsätzen ist die Bundeskanzlerin und Parteivorsitzende aus dem Urlaub zurückgekehrt?

    Gröhe: Ich hoffe zunächst, denn das hat sie nach einem wahrlich anstrengenden ersten Halbjahr verdient, dass sie auch etwas erholt zurückgekehrt ist, denn wir haben uns gemeinsam viel vorgenommen. Es sind wichtige Dinge. Sie haben die Energiepolitik indirekt eben angesprochen. Ich könnte die Kommunalfinanzen, die Zukunft der Bundeswehr, vieles andere mehr nennen. Wir gehen das mit Zuversicht an. Die Zahlen am Arbeitsmarkt, die Zahlen in der Wirtschaftspolitik zeigen, dass die Politik dieser Koalition Erfolge zeitigt. Und insofern: Wir haben eine volle Tagesordnung, aber wir sind auch in der richtig guten Verfassung, dies jetzt nach der Sommerpause anzugehen.

    Meurer: Was spricht dafür, dass wir eine mutigere und entscheidungsfreudigere Bundeskanzlerin als zuletzt erleben werden?

    Gröhe: Wenn Sie sich ansehen, was in Europa notwendig war, um ein vernünftiges, ein gut geschnürtes Paket zur Euro-Rettung herbeizuführen, dann haben wir bei viel Gegenwind (mal im Land, mal in der Europäischen Union) vor der Sommerpause eine überaus entscheidungsfreudige Bundeskanzlerin erlebt.

    Meurer: Da war man in Europa anderer Meinung, sie zögere zu lange.

    Gröhe: Falsch! Sie hat nicht sofort zu allem Ja und Amen gesagt und ich glaube, der deutsche Steuerzahler und mit Verlaub längst auch mehr und mehr Menschen in anderen Hauptstädten Europas sagen dafür Dank, dass nicht dem ersten Ruf nach unkonditionierter Hilfe, sondern dann, als ein gemeinsam erarbeitetes überzeugendes Programm vorgelegt war, Ja gesagt wurde. Insofern: Entscheidungsfreude heißt, zum richtigen Ja zu sagen, nicht sofort zu allem.

    Meurer: Geht es jetzt endlich los mit dem Regieren, nach einem Jahr?

    Gröhe: Sehen Sie, wenn Sie die Zahlen auf dem Arbeitsmarkt sich ansehen, dann ist das nach Aussage ganz vieler Experten der Erfolg auch der Bundesregierung. Die Wochenzeitschrift "Die Zeit" hat gesagt, das ist der erste Aufschwung, der sich wesentlich politischen Maßnahmen verdankt, zum Teil bereits eingeleitet in der Großen Koalition unter Führung von Angela Merkel, dann Stichwort Mittelstandsentlastung, Stichwort Kurzarbeit und anderes mehr, von der christlich-liberalen Koalition verstärkt fortgesetzt. Also das Regieren geht weiter. Aber selbstverständlich ist das, was wir heute erleben, von der Bildungspolitik angefangen bis zu anderen Fragen, bereits Erfolg des Regierungshandelns in den letzten Monaten.

    Meurer: Ich spreche mit CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. – Wenn diese Erfolge da sind, Wachstum über zwei Prozent im letzten Quartal, vielleicht wird eine Drei vor dem Komma am Ende stehen, da stellt man sich aber die Frage: Warum ist das Image dieser Bundesregierung so schlecht und liegt die CDU unter 30 Prozent in den Umfragen?

    Gröhe: Weil wir viel zu wenig über diese Erfolge geredet haben und uns mitunter vor der Sommerpause durch gegenseitiges Beinchen stellen und unnötige Attacken in der Koalition das Leben selbst schwer gemacht haben. Richtig wäre jetzt, erstens über die eigenen Erfolge reden, zweitens deutlich machen, dass die Opposition keine Alternative ist, dass Gabriel jetzt populistisch die Rente mit 67 beerdigen will, die er selbst in der Großen Koalition mit als Beitrag zur Generationengerechtigkeit vorangebracht hat. Also wenn wir mehr über unsere Erfolge reden und diese Erfolge jetzt auch spürbarer werden, dann, bin ich zuversichtlich, steigen auch wieder Umfragewerte, wobei klar ist, dass man Vertrauen sich auch hart zurückarbeiten muss. Das ist nicht mit ein oder zwei politischen Entscheidungen getan. Vor uns steht eine Menge Arbeit.

    Meurer: Das Publikum will Taten sehen. Sind Sie dafür, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wird?

    Gröhe: Ich will hier nichts übers Knie brechen. Die CDU ist in besonderer Weise Partei der Bundeswehr, einer starken Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, und wir haben uns aus guten Gründen zur Wehrpflicht bekannt. Aber es gibt eine veränderte Sicherheitslage. Deutschland ist nicht unmittelbar von einem Nachbarn oder aus der unmittelbaren Nähe bedroht, sondern durch vielfältige internationale Entwicklung. Da muss es möglich sein und da ist es auch sinnvoll, wenn jetzt zu Guttenberg, der Verteidigungsminister, verschiedene Modelle vorlegt. Es kann keine Vorentscheidungen geben und vor Regierungshandeln muss bei einer solchen grundsätzlichen Frage die Partei das Wort haben, und wir haben in unserer Partei längst einen ausgesprochen lebhaften Diskussionsprozess. Viele Kreisverbände äußern sich. Also ich bin zuversichtlich, auch da werden wir im Herbst eine Entscheidung treffen, die dann für die Zukunft der Sicherheit unseres Landes eine gute Grundlage ist.

    Meurer: Verstehe ich das richtig, Herr Gröhe, dass auch da die Kanzlerin jetzt erst mal abwartet und nicht Ende der Woche beispielsweise sagt, jawohl, ich sehe das genauso, Wehrpflicht setzen wir jetzt aus?

    Gröhe: Wir haben uns ja bewusst verpflichtet, mehrere Modelle einer denkbaren Bundeswehr der Zukunft vorzulegen, und ich glaube, dass es richtig ist, dass nach einer Phase, in der bei der Euro-Rettung, bei der Bankenrettung, bei der Griechenland-Krise Regierungshandeln sehr schnell vorangehen musste, in einer solchen Grundsatzfrage auch Partei und Fraktion intensiv diskutieren, bevor eine Entscheidung fällt. Insofern können Sie nicht davon ausgehen, dass diese Entscheidung in dieser Woche von oben verkündet und dann nur noch vollzogen wird. Nein, wir stehen vor einer wichtigen Diskussion und dann einer Entscheidung.

    Meurer: CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Gröhe, schönen Dank. Auf Wiederhören!

    Gröhe: Auf Wiederhören, Herr Meurer.