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Enttäuscht von Hollande

Frankreichs sozialistischer Präsident Francois Hollande wollte sich vor allem in moralischen Fragen von seinen konservativen Vorgängern unterscheiden. Jetzt steckt die Regierung wegen einer Schwarzgeldkontenaffäre in der Krise. Die Jungsozialisten sind ernüchtert, hoffen aber auf Reformen und das geplante Gesetz zur "Moralisierung" der Politik.

Von Bettina Kaps | 10.04.2013
    Ein Bistro in der Pariser Vorstadt Vincennes, Stammlokal der jungen Sozialisten. Vor elf Monaten haben Maeva, Clément und ihre Freunde hier den Wahlsieg von Francois Hollande gefeiert. Auch im Juni herrschte eine tolle Stimmung, erinnert sich Maeva wehmütig. Damals hatten die Sozialisten die Parlamentswahlen gewonnen und sogar die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erobert. Heute ist jegliche Euphorie verflogen.

    "Ich bin total schockiert. Francois Hollande hatte im Wahlkampf extra betont, dass er Steuerbetrug scharf bekämpfen wolle. Und jetzt wissen wir, dass ausgerechnet unser Haushaltsminister, der die Steuersünder verfolgen sollte, selbst einer ist. Das macht die Sozialistische Partei völlig unglaubwürdig."

    Die 22-Jährige studiert Medizin. An ihrer Fakultät, sagt sie, seien die meisten jungen Leute eher konservativ oder apolitisch. Maeva aber glaubt an soziale Gerechtigkeit. Vor drei Jahren ist sie der Jugendorganisation der Sozialisten beigetreten, weil sie ihre Werte dort am besten vertreten sieht.

    "Ich war es satt, zuzusehen, wie Nicolas Sarkozy die Reichen bevorzugte und wie viele Affären es damals unter seinen Parteifreunden gab. Deshalb habe ich für Hollande Wahlkampf gemacht. Über mein Engagement habe ich einige Politiker kennengelernt, die uns jetzt im Parlament vertreten. Es ist gut, wenn wir unsere Abgeordneten persönlich kennen, ganz egal, in welcher Partei wir aktiv sind. Denn dann wissen wir, dass wir ihnen vertrauen können. Ich bedauere mein Engagement nicht."

    Wie Maeva lebt auch Clément in einer Stadt östlich von Paris. Der 25-Jährige ist schon seit elf Jahren bei den Jungsozialisten aktiv, und seit sechs Jahren auch in der PS. Inzwischen gehört er zu den örtlichen Führungskräften.

    "Mich hat der Schock von 2002 in die Politik gebracht, als Jean-Marie Le Pen 16 Prozent der Stimmen erobert hat. Heute, ein Jahrzehnt später, liegt seine Tochter Marine sogar bei 18 Prozent. Und vor zwei Wochen hat der Front National bei einer Nachwahl fast 49 Prozent der Stimmen erhalten."

    Der Skandal um den ehemaligen Haushaltsminister werde jetzt noch mehr Wähler in die Arme der Rechtsextremen treiben, befürchtet auch Maeva.

    Seit der Wahl ihres Kandidaten Hollande haben die beiden Jungpolitiker auch persönlich allerhand Enttäuschungen erlebt: Die Medizinstudentin bedauert, dass die Regierung vor der Ärztelobby eingeknickt sei und keine mutige Gesundheitsreform in die Wege leite. Ihr missfällt auch, dass der Präsident vor zwei Wochen erneut von einem Wahlkampfversprechen abgerückt ist und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters in Aussicht gestellt hat. Clement kritisiert, dass sich die Regierung nicht – wie versprochen – für das lokale Ausländerwahlrecht starkmacht.

    Aber um die Regierungskrise zu überwinden, die der ehemalige Haushaltsminister mit seinen Schwarzgeldkonten und den dreisten Lügen ausgelöst hat, gibt es für die beiden Jungsozialisten nur drei Prioritäten: Der Kampf gegen die Wirtschaftskrise, die enorm hohe Arbeitslosigkeit und eine durchgreifende Reform des politischen Systems.
    Clément:
    "Rechte und Linke – die beiden großen politischen Parteien haben allerhand Skandale, die an ihnen haften. Nicolas Sarkozy ist in die Affäre um die L'Oréal-Erbin Bettencourt verstrickt. Wir haben einen sozialistischen Senator aus Marseille, dem Korruption und Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen werden. Wir müssen jetzt unbedingt zusammen handeln und die Gesetze ändern, sonst werden die extremen Parteien noch mehr Stimmen ernten."

    Als Anzeichen dafür, dass die Regierung jetzt die richtigen Weichen stellen wird, sieht er die heutige Tagesordnung des Ministerrats: Das Kabinett soll über einen Gesetzesvorschlag zur Moralisierung des öffentlichen Lebens beraten. Die Rede ist von einem besonders strengen Gesetz, das Transparenz und Rechtschaffenheit garantieren soll. Clément und Maeva jedenfalls haben den Glauben an die Politik noch nicht verloren.

    Clément:

    ""Der Skandal kann auch etwas Gutes bewirken für Frankreich, aber da müssen wir jetzt erst einmal durch."