Dienstag, 07. Mai 2024

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"Entwicklungspolitik ist die kostengünstigste Sicherheitspolitik"

Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat sich dafür ausgesprochen, mehr Mittel für die Bekämpfung der weltweiten Armut einzusetzen. Das sei der beste Beitrag zur Verhinderung von künftigen Auseinandersetzungen und Krisen, sagte die SPD-Politikerin. Zugleich sprach sie sich dagegen aus, einen "Teil von militärischen Leistungen in Entwicklungshilfe umzudefinieren".

Moderation: Elke Durak | 10.02.2007
    Elke Durak: Die G7-Finanzminister bereiten zurzeit in Essen der G8-Gipfel vor. In München beraten auf der Sicherheitskonferenz hochrangige Politiker, Militärs und andere Experten aus aller Welt globale Verantwortung in globalen Krisen, das ist das Motto der Tagung. Und eines mindestens verbindet die drei Ereignisse: Das Thema Globalisierung. Ich will darüber sprechen mit der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, SPD. Guten Morgen!

    Heidemarie Wieczorek-Zeul: Guten Morgen!

    Durak: Frau Wieczorek-Zeul, Entwicklungshilfe, das hat die Bundeskanzlerin dieser Tage gesagt, hat eine Schlüsselrolle für eine gerechte Globalisierung. Das hört sich gut an, aber gerechte Globalisierung, schließt das eine das andere nicht eigentlich aus?

    Wieczorek-Zeul: Es ist schwierig das zu verwirklichen, aber es ist meine feste Überzeugung: Wenn uns diese gerechte Globalisierung nicht gelingt, dann wird die Welt von mehr Gewalt und von mehr Auseinandersetzungen geprägt sein. Wir müssen immer bedenken, es ist so, dass in den nächsten, ja, 20 Jahren sicher an die zwei Milliarden Menschen mehr auf der Welt geboren werden, und sie werden in Entwicklungs- und Schwellenländern geboren, und die Frage, ob sie Hoffnungen und Perspektiven und eigene Lebenschancen in ihrer Region haben, entscheidet mit über die Frage, wie friedlich und wie zukunftsorientiert ist die Welt.

    Durak: Darüber will ja das G8-Treffen im Frühsommer in Heiligendamm auch beraten, vielleicht ja auch beschließen, Globalisierungsfolgen, darüber, wie Fehlentwicklungen verhindert werden können, wie Sie sie eben genannt haben, wie man ihnen begegnen kann, diesen Fehlentwicklungen, und man will die soziale Dimension stärken. Also das ganz, ganz große Programm. Frau Wieczorek-Zeul, einige der gravierendsten Fehlentwicklungen der Globalisierung zurzeit, welche sind das?

    Wieczorek-Zeul: Also zunächst mal ist es schon so, dass es immer noch 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt gibt, die von weniger als einem Dollar am Tag leben, die also extrem arm sind, und deshalb hat sich die internationale Gemeinschaft, und das ist auch der Maßstab, im Jahr 2000 vorgenommen, bis zum Jahr 2015 den Umfang, den Anteil von Menschen, der in extremer Armut lebt, zu halbieren, und wir sind jetzt im Jahr 2007 genau in dieser Halbzeit. Daran werden alle gemessen, und ich denke, Fortschritte sind erreicht, zum Beispiel dabei, dass doch Hunderttausende von Kindern, wenn nicht Millionen Kinder mehr in die Schule gehen können. Das ist wirklich ein wichtiger Fortschritt. Aber es bedarf immer noch massiven Handelns, zum Beispiel bei der Frage der Bekämpfung von HIV-AIDS. Das wird, wenn es nach mir geht, auch eines der zentralen Themen bei den Verhandlungen der G8 sein, und ich dränge darauf, dass es zusätzliche Finanzmittel gibt und Programme, die vor allen Dingen Frauen schützen und die vor allen Dingen auch Kinder schützen.

    Durak: Zusätzliche Finanzmittel, wo sollen die aufgetan werden, haben Sie da auch einen Vorschlag?

    Wieczorek-Zeul: Ich propagiere, dass die G8 auch sagen, dass sie eine stärkere finanzielle Unterstützung für den globalen Fonds, der ja HIV-AIDS, Malaria und Tuberkulose bekämpfen soll, dass es hier eine zusätzliche Zusage gibt.

    Durak: Es gibt ja auch eine andere interessante Entwicklung, Frau Wieczorek-Zeul, im politischen Bereich: Entwicklungshilfe, Entwicklungspolitik ist auch Sicherheitspolitik, wenn man nach den neuen außenpolitischen Vorstellungen der SPD geht, die Ihr Vorsitzender Beck heute in München auf der Sicherheitskonferenz vorstellen will. Da heißt es, der Sicherheitsbegriff beziehe auch den weltweiten Kampf gegen die Armut ein. So ganz neu ist das ja nicht, das kann man auch nachlesen im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr. Kann es sein, Frau Wieczorek-Zeul, dass Entwicklungshilfe, Entwicklungspolitik peu a peu politisch umgedeutet wird?

    Wieczorek-Zeul: Nein. Die Bekämpfung von Armut, das ist das zentrale Milleniumsentwicklungsziel, das ich vorhin angesprochen habe, und meine Überzeugung und auch das, was ich immer in der Begründung noch einmal für die Notwendigkeit von Entwicklungspolitik sage, ist: Entwicklungspolitik ist die kostengünstigste Sicherheitspolitik auch für uns. Wenn wir dazu beitragen, in afrikanischen Ländern bessere Lebenschancen zu schaffen, gibt es weniger Notwendigkeiten der Migration. Wenn wir dazu beitragen, was wir dringend machen müssen, den afrikanischen Ländern einen Ausgleich auch dafür zu geben, dass sie vom Klimawandel besonders durch Naturkatastrophen betroffen sind, dann leisten wir einen Beitrag zur Verhinderung von künftigen Auseinandersetzungen und Krisen. Und im Übrigen ist Entwicklungspolitik, Prävention immer besser, als nachträglich mit Milliardenbeträgen militärisch zu agieren oder Schäden zu beseitigen. Man muss sich immer nur mal daran erinnern, damit man die Relation sieht: Zwei Wochen, ein halber Monat Einsatz amerikanischer Soldaten im Irak macht so viel aus mit 4,5 Milliarden US-Dollar, wie der Haushalt des Entwicklungsministeriums Deutschlands für die ganze Welt für das ganze Jahr ausmacht.

    Durak: Und der ist ja nicht gering. Frau Wieczorek-Zeul, je näher sich Entwicklungspolitik und Sicherheitspolitik kommen, desto größer ist vielleicht auch das Bedürfnis, wenn es dann ums Geld geht, und da hört ja bekanntlich die Freundschaft auf, dass aus dem einen Etat genommen und dem anderen gegeben wird. Ich frage das auch deshalb oder sage das auch deshalb, weil ich gehört habe, die Bundeskanzlerin will prüfen, welche Ausgaben im Bundeshaushalt künftig als offizielle Entwicklungshilfe angerechnet werden sollen. Das kann man auch so kurz nennen: Sie will eine Neudefinition der Entwicklungspolitik, zum Beispiel könnten ganz bestimmte Militäreinsätze wie im Kongo dazu gerechnet und finanziert werden. Müssen Sie sich Sorgen machen um Ihr Geld?

    Wieczorek-Zeul: Also mir sind derartige, so wie Sie es eben dargestellt haben, Äußerungen der Bundeskanzlerin nicht bekannt. Wir haben es auch nie miteinander so diskutiert. Jedenfalls das, was official developement assistance, als Mittel für Entwicklungszusammenarbeit der Staaten gerechnet wird, wird nach festen Kategorien innerhalb der OECD festgelegt, und ich sehe keine Situation, in der dort die Kategorien anders definiert werden. Etwas anderes ist es, dass man auch mal Vergleiche bei den finanziellen Leistungen, zum Beispiel für Friedensmissionen oder auch für militärische Missionen wie etwa beim Kongo, auch mal darstellen sollte. Aber auf keinen Fall kann man den Versuch machen, sozusagen einen Teil von militärischen Leistungen in Entwicklungshilfe umzudefinieren. Das läuft auch mit mir sowieso nicht.

    Durak: Zum Beispiel auch nicht in Afghanistan, dort wird es ja praktiziert, die Wiederaufbauhilfen dort der Bundeswehr, die sind ja eigentlich klassische Entwicklungspolitik.

    Wieczorek-Zeul: Ja. Aber gerade in Afghanistan haben wir ja sehr frühzeitig dafür gesorgt, das ist ja ein Fall, wo es um den Wiederaufbau eines zerfallenden und zerfallenen Staates ging, und da ging es ja um die Grundsatzfrage: Gibt es eigentlich die Unterordnung von Entwicklungspolitik und Wiederaufbau unter das Militär? Das ist der amerikanische Ansatz. Und unser Ansatz ist: Es gibt die gemeinsame Verantwortung der Bundesregierung für die Hilfe für Afghanistan, aber es gibt die getrennten Verantwortlichkeiten der jeweiligen Ressorts, und die jeweiligen Aktionen werden dann auch, das heißt, unser Wiederaufbau wird aus den Mitteln unseres Ministeriums finanziert und die militärischen Einsätze und die militärischen Aktionen durch das Verteidigungsministerium.

    Durak: Dankeschön. Das war Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.