Montag, 29. April 2024

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Eppelmann: Die SED war der Bestimmer

Beim CDU-Parteitag in Stuttgart geht es auch um die DDR-Vergangenheit der Partei. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, Rainer Eppelmann, haben sich die Christdemokraten nichts vorzuwerfen. "Die einzige bundesdeutsche Partei, die sich mit den unterschiedlichen Biografien auseinandergesetzt hat, ist die CDU gewesen", sagte der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete. Es müssten aber weiter Einzelfallprüfungen möglich sein.

Rainer Eppelmann im Gespräch mit Bettina Klein | 01.12.2008
    Klein: Wir blicken jetzt noch einmal auf den CDU-Parteitag und wollen das Stichwort herausgreifen, das zuletzt im Gespräch mit Christoph Heinemann fiel, nämlich die CDU will sich nun auch ihrer eigenen Geschichte stellen, sprich der Tatsache, dass sie nach der Wende die DDR-Blockpartei CDU in ihre Reihen aufgenommen hat. In den vergangenen Tagen hat das Thema hohe Wellen geschlagen und ich möchte darüber jetzt sprechen mit Pfarrer a. D. Rainer Eppelmann. Er war CDU-Politiker, ist noch CDU-Mitglied und ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung des SED-Regimes. Ich grüße Sie, Herr Eppelmann.

    Rainer Eppelmann: Schönen guten Morgen, Frau Klein.

    Bettina Klein: Was hat sich Ihre Partei in diesem Zusammenhang vorzuwerfen?

    Eppelmann: Ich glaube, dass sie sich als Partei da gar nichts vorzuwerfen hat. Wir führen im Grunde ja immer wieder verständlicherweise in Einzelfällen Debatten, die wir grundsätzlich und nahezu flächendeckend in den 90er Jahren geführt haben. Ich erinnere mich daran, dass wir einen Bundesparteitag in Dresden allein unter dieses Thema gestellt haben, wie gehen wir mit unserer unterschiedlichen politischen Biographie um, also die einen, die Mitglieder in der CDU des Konrad Adenauer waren, und die anderen, die es in der CDU des Gerald Götting gewesen sind. Das hat letztlich dazu geführt, dass ein damals noch als aktiver Ministerpräsident aus Thüringen auf diesen Parteitag angereister nach diesem Bundesparteitag als thüringischer Ministerpräsident zurückgetreten ist, weil er eben eine nach Meinung vieler CDU-Mitglieder belastete DDR-Vergangenheit als CDU-Politiker gehabt hat. Ich bin selber jahrelang Landesvorsitzender der CDU in Brandenburg gewesen und Kreisvorsitzender in dem Kreis, für den ich im Deutschen Bundestag war, und wir haben uns monatelang leidenschaftliche Auseinandersetzungen geleistet. Ich weiß oder vermute, dass das nicht in jedem Fall so intensiv war wie in dem Kreisverband, in dem ich nun als ein dann Neudazugekommener geführt habe. Ich bin ja vorher nie in der Ost-CDU gewesen, wäre ich auch nie reingegangen. Sagen wir mal in Kreisverbänden, in die keine neuen reingekommen sind, entweder Bürgerrechtler oder solche aus der alten Bundesrepublik, wo also nur die alten Ostblockflöten gesessen haben, die werden sich keine leidenschaftliche Auseinandersetzung untereinander geleistet haben, vermute ich.

    Klein: Herr Eppelmann, ich würde es gerne mal auf die Frage zuspitzen. Es wird jetzt auch in der Öffentlichkeit eine Abrechnung der CDU gefordert. Ich frage mal so: CDU ist gleich SED ohne Abstriche. Kann man das so sagen aus Ihrer Perspektive eines Oppositionsmannes?

    Eppelmann: Nein, kann man natürlich nicht sagen. Ich glaube, der Begriff, den der Herr Heinemann vorhin aus Stuttgart genannt hat, dass da ein Papier auf dem Tisch liegt, worin das Wort "mitwirkt" steht, meinetwegen auch unterstrichen, das ist, glaube ich, die angemessene Bezeichnung dafür. Es hat in der Verfassung grundsätzlich festgelegt eine bestimmende Partei gegeben, und das ist die SED gewesen. Die ist letztlich für das System und die Strukturen in der DDR verantwortlich gewesen. Das wurde zum Beispiel daran deutlich, dass an allen entscheidenden Stellen SED-Genossen gesessen haben, dass mindestens 95 Prozent aller Offiziere in Armee, Staatssicherheit und Polizei Mitglieder der SED gewesen sind und eben nicht der befreundeten Blockparteien. Aber die haben (zumindest ihre führenden Mitglieder und Leiter) alles willfähig abgenickt, alles einschließlich des Mauerbaus. Das gilt aber ganz sicher nicht für jedes einzelne Mitglied. Darunter hat es auch eine ganze Reihe gegeben, die politisch in dieser sozialistischen DDR aktiv sein wollten und dies aber nicht als Mitglied der SED tun wollten. Die haben dann quasi als so ein Stück Lendenschurz die Mitgliedschaft in der CDU oder in der LDPD oder NDPD oder Bauernpartei gesucht. In jedem einzelnen Fall wird sich jemand, der damals eine Funktion auf mittlerer Ebene in der DDR hatte, auch weiterhin die Frage gefallen lassen müssen - von daher kann ich die Debatte auch weiterhin verstehen -, was hast Du damals als CDU-Mitglied gemacht.

    Klein: Ich kenne Geschichten, in denen Menschen erzählten, wie sie dafür in der DDR von SED-Genossen angegriffen wurden, dass sie ihre Kinder zum Beispiel zum Konfirmandenunterricht geschickt haben, und das Argument für sie war, in die CDU einzutreten, nun konnten sie den Genossen entgegenhalten, Moment, ihr greift eure eigene Blockpartei an, denn es gibt eine Partei, die die christliche Weltanschauung als Realität anerkennt. Muss man das in der historischen Betrachtung auch berücksichtigen?

    Eppelmann: Ja, natürlich. Das spielt ganz sicher mit eine Rolle. Das versuchte ich zu sagen. Die jeweils Leitenden dieser Blockparteien, die haben zumindest nach außen - in sie reingucken konnte ich nicht - den Eindruck vermittelt, wir sind ja so dankbar, dass die SED uns die ganze führende Arbeit abnimmt und vertrauensvoll arbeiten wir mit ihnen zusammen. Das gilt ganz sicher nicht für jedes einzelne Mitglied, aber auch das lassen Sie mich sagen: die einzige bundesdeutsche Partei, die sich mit den dazugekommenen und den unterschiedlichen Biographien auseinandergesetzt hat, ist die CDU gewesen - mit Bundesparteitag, mit gewaltigen Auseinandersetzungen in den einzelnen Landes- und Kreisverbänden. Das hat die FDP zum Beispiel mit den dazugekommenen aus der LDPD und NPD nie getan. Und ich kann mich noch erinnern, das hat dem brandenburgischen Landesverband in schwere finanzielle Schwierigkeiten gebracht. Die Immobilien, die der Landesverband Brandenburg der CDU hatte, hat er nicht übernommen. Wir haben gesagt nein, den einzelnen Mitgliedern wollen wir eine Chance geben - so mancher tausendprozentige Götting-Anhänger ist ja gar nicht in die CDU des Helmut Kohl hineingegangen -, aber die Immobilien als Bereicherung haben wir nicht genommen.

    Klein: Herr Eppelmann, von der CDU wird sehr stark und sicherlich nicht zu Unrecht Aufarbeitung der Vergangenheit von der PdS-Linkspartei gefordert. Jetzt hört man auch von Stimmen von Christdemokraten Moment, man muss Verständnis dafür haben, man kann eben Demokratie und Diktatur nicht in eins setzen und man muss Verständnis haben für die Besonderheiten ostdeutscher Biographien.

    Eppelmann: Richtig.

    Klein: Wie überzeugend ist das, wenn dieses Argument bisher für andere Parteien nicht gegolten hat?

    Eppelmann: Na ja, ich bin der Meinung, eine Einzelfallprüfung muss sein. Wir werden aber die unterschiedlichen strukturellen Bedingungen, die die einzelnen Parteien vorgefunden haben, schon zur Kenntnis nehmen müssen. Noch mal: in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik hat sich die SED die Garantie geben lassen, selber gegeben, sie werden immer regieren, sie werden immer die Bestimmer sein. Die anderen sind die Aktentaschenträger gewesen und haben sich dem leider, kann ich bloß sagen, ausgesetzt und haben das mitgemacht, was 44 zwischen Stalin und Ulbricht schon verabredet worden ist, es muss nur wie Demokratie aussehen. Wir müssen also aufpassen, dass wir mit den berechtigten Kriterien und Maßstäben der Demokratie nicht die Menschen in der Diktatur beurteilen, die da auch nicht mehr rausgekommen sind nach dem 13. August 1961. Fest steht aber, es gab nur eine Partei, die die entscheidenden Posten inne hatten und die die Bestimmer waren, und das war eben die SED und nicht die CDU.

    Klein: Die Einschätzungen von Pfarrer a. D. Rainer Eppelmann. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Eppelmann.

    Eppelmann: Ja, bitte schön.