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"Er hat beinahe gesprochen wie ein Korangelehrter"

Der Journalist Peter Scholl-Latour hat die Ansprache von US-Präsident Barack Obama an die muslimische Welt als "grandios" und "mutig" bezeichnet. Obama sei den Muslimen "sentimental entgegengekommen". Der Präsident habe keines der schwierigen Themen, wie Nahost-Konflikt oder Afghanistan, ausgelassen und sei dabei "weit über das hinausgegangen, was man aus Amerika jemals gehört hat", betonte Scholl-Latour.

Peter Scholl-Latour im Gespräch mit Christoph Heinemann | 04.06.2009
    Christoph Heinemann: US-Präsident Barack Obama hat zu einem Neuanfang im Verhältnis zur muslimischen Welt aufgerufen. In seiner mit Spannung erwarteten Rede an der Universität von Kairo sagte er - wir haben es gerade gehört -, die Beziehungen sollten auf gegenseitigem Respekt und gemeinsamen Interessen beruhen. Am Telefon ist der Journalist und Buchautor Peter Scholl-Latour, einer der besten Kenner der islamischen Welt. Guten Tag.

    Peter Scholl-Latour: Guten Tag.

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, hat Obama den richtigen Ton getroffen?

    Scholl-Latour: Ja. Dieses war eine grandiose Rede, muss ich sagen, und es war auch eine sehr mutige Rede. Er ist auf den Islam eingegangen. Er hat beinahe gesprochen - ich muss es sagen - wie ein Korangelehrter. Er hat die Gemeinde auch begrüßt mit dem Gruß "Salam aleikum", was an und für sich ein Gruß ist, den man nur unter Muslimen austauscht, und er hat oft den Koran zitiert. Er hat immer gesagt, der heilige Koran. Er ist den Muslimen sagen wir auch sentimental entgegengekommen, indem er auf seine eigenen Ursprünge und sein intimes Zusammenleben mit dem Islam durch seinen Vater, der ja Moslem war, durch seinen Aufenthalt in Indonesien und auch durch die islamische Gemeinde in Chicago eingegangen ist. Er ist da wirklich weit über das hinausgegangen, was man aus Amerika jemals gehört hat.

    Heinemann: Was kann und was wird vielleicht auch Ihrer Einschätzung nach diese Rede bewirken?

    Scholl-Latour: Er hat verschiedene Themen angerührt, er hat aber kein Thema ausgelassen. Was man zum Beispiel festhalten muss: Er hat dafür plädiert und sich darauf festgelegt, dass zwei palästinensische Staaten entstehen sollen. Wie das geschehen soll, wird natürlich außerordentlich schwierig sein, genauso wie die Realisierung seiner Versprechen im Hinblick auf die Friedensschaffung in Afghanistan, eine Verbesserung in den Beziehungen zu allen islamischen Staaten, die er genannt hat. Er hat ja auch die Schiiten mit erwähnt, auch die Iraner, auch ein Übereinkommen in Atomfragen. All dies ist erwähnt worden, aber es ist in einem Ton vorgetragen worden, der beinahe der eines muslimischen Predigers hätte sein können, nämlich der Islam sieht ja die drei Völker des Buches, Muslime, Juden und Christen, als eine doch gemeinsame Familie an.

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, Sie haben den Iran angesprochen. Mit welchen Reaktionen in Teheran rechnen Sie? Dort wird bald gewählt.

    Scholl-Latour: Von Seiten der Extremisten, wie er sie nennt, wird es natürlich negative Reaktionen geben. Man wird sagen, das ist ein großes Täuschungsmanöver. Aber Amerika hat an diesem Tag in der arabischen, in der islamischen Welt insgesamt ungeheuer viel Terrain gewonnen. Es ist ja eine gewisse Sympathie von Amerika wohl überall vorhanden, auch in Iran. In seiner Ansprache ist Obama wirklich über sich selbst hinausgewachsen.

    Heinemann: Sie haben gerade eben den Nahost-Konflikt erwähnt. Wird der US-Präsident der israelischen Regierung jetzt Daumenschrauben anlegen? Wird er Druck machen?

    Scholl-Latour: Da sieht man natürlich schwer, wie eine Vereinbarung zu Stande kommen will, denn der Plan, auf den immer zurückgegriffen wird, das ist der saudische Vorschlag gewesen -, auf die Grenzen von 1967 zurückzukommen. Das ist natürlich von israelischer Seite, selbst wenn sie eine Zwei-Staaten-Lösung von israelischer Seite akzeptieren sollten: Wo will man ihn denn gründen? Nämlich jetzt geht es nicht mehr um 5000 Siedler, die im Gazastreifen sitzen, die man evakuiert, sondern auf der Westbank, auf dem Westjordan-Ufer leben 250.000 Juden inzwischen und vor allem im Ostteil Jerusalems leben noch mal 200.000. Also das ist eine Frage, die ungeheuer schwer zu verkraften sein wird, und da wird er natürlich auch innenpolitische Schwierigkeiten haben.

    Heinemann: Kann man von einem Kurswechsel reden? Früher bestand der Vorwurf, die US-Politik vertrete zu stark Israels Meinung, zu stark Israels Interessen. Geschieht unter Obama das Gegenteil?

    Scholl-Latour: Das hat sich eben grundlegend geändert. Er hat von der unverbrüchlichen, der dauerhaften Bindung zwischen USA und Israel gesprochen. Er hat also von den Leiden der Juden gesprochen und hat den Holocaust mehrfach erwähnt. Er hat aber auch von den Leiden der Palästinenser gesprochen. Er hat wie gesagt auch versucht, nach der israelischen Seite auszuweiten. Das ist ja auch ein Zeichen, dass sein Staatschef, den er mit nach Saudi-Arabien genommen hat und der sich mit dem Außenminister dort unterhalten hat, nicht nur amerikanischer Jude ist, sondern auch noch gleichzeitig israelischer Staatsbürger.

    Heinemann: Herr Scholl-Latour, unterm Strich: Kann eine solche Rede die Bilder mit posierenden US-Soldaten vor misshandelten Gefangenen im Abu-Ghraib-Gefängnis vergessen machen?

    Scholl-Latour: Er hat gesagt, dass Folter nicht akzeptabel sei, dass Guantanamo aufgelöst werden soll, Dinge, die er schon gesagt hat, die sehr schwer zu realisieren sind. Aber er hat sich ganz offen auch eben dazu bekannt, dass Amerika gefoltert hat und Fehler begangen hat. Vor allem hat er dieses Wort "Salam", das Wort "Frieden", was ja auch in der islamischen Welt einen ungeheueren Widerhall hat, mehrfach wiederholt. Wie gesagt, diese häufigen Koran-Zitate - er hat ja einmal am Ende noch mal die Tora zitiert und auch das Evangelium -, diese Zitate des Korans haben schon gleich am Anfang gestanden. Wie gesagt, der Rahmen in der Al-Azhar-Moschee ist ja ein mehr oder weniger religiöser Rahmen. Es ist ja die älteste islamische Universität der Welt, die größte vor allem und angesehenste. Ein weltweites Echo wird das haben.

    Heinemann: Wie schätzen Sie die innenpolitische Wirkung ein? Können die Landsleute des US-Präsidenten mit dieser Rede etwas anfangen?

    Scholl-Latour: Ich frage mich, wie die Amerikaner das aufnehmen. Nun sind die Amerikaner ja im Grunde ein idealistisches Volk und lassen sich sagen wir mal auch durch solche - wie soll ich sagen? - Wünsche des Friedens, des Fortschritts - er hat kein Thema ausgelassen; er hat sogar über die Frauen gesprochen, die Frauenrechte, die im Islam vorhanden seien, die anders gestaltet werden können, aber die respektiert werden müssen. Er sagt zum Beispiel: In Amerika, wenn eine Frau einen Schleier tragen will, kann sie ihn tragen, und so weiter. Er ist da weiter gegangen als gewisse europäische Staaten. Ich könnte mir vorstellen, dass ein großer Teil in Amerika ihm zustimmen wird. Es wird natürlich auch sehr starke, vor allem jüdische Kreise geben, die mit Israel und Netanjahu eng verbunden sind, die daran eventuell befürchten, dass dies der Anfang vom Ende Israels sein könnte, und daher könnte natürlich eine erhebliche Opposition kommen.

    Heinemann: Der Journalist und Buchautor Peter Scholl-Latour. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.