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"Er hat eine klare Agenda vorgelegt"

US-Präsident Barack Obama möchte in Zukunft mit weniger Atomwaffen auskommen. Walther Stützle, Publizist und ehemaliger Chef des Friedensforschungsinstituts SIPRI, sagt, die Existenz von Atomwaffen habe niemals mehr Sicherheit gebracht, sondern weniger.

Walther Stützle im Gespräch mit Dirk Müller | 07.04.2010
    Dirk Müller: Hat sich wirklich etwas verändert? Wird sich etwas verändern an der Nuklearpolitik, an der Nuklearstrategie der Atommächte? Barack Obama hatte ein Angebot gemacht, mit weniger Atomwaffen in der Zukunft auszukommen, und dazu Staaten, die nicht über diese Waffensysteme verfügen, künftig nicht mehr zu bedrohen. Morgen trifft der amerikanische Präsident seinen Amtskollegen Dmitri Medwedew in Prag, um den Abrüstungsvertrag für Kontinentalraketen zu unterzeichnen. Heute geht es aber in der Diskussion noch vorrangig um die neue Nukleardoktrin aus Washington. Die neue Nuklearstrategie von Barack Obama, darüber sprechen wollen wir nun mit dem Publizisten und Sicherheitsexperten Walther Stützle. Guten Tag!

    Walther Stützle: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Stützle, macht das wirklich einen Unterschied, wie viele Atomwaffen ein Land hat?

    Stützle: Ja, das macht zumindest einen atmosphärischen und politisch-symbolischen Unterschied, und es ist ja nun seit langem klar, dass die Vereinigten Staaten und Russland, die beiden größten Atommächte, über ein Arsenal verfügen, das in den Zeiten des Kalten Krieges aufgewachsen ist in unvernünftige Dimensionen, und es ist aus den Äußerungen und Erklärungen von Obama sehr ersichtlich und sehr deutlich, dass eines seiner vorrangigen Ziele ist, das Verhältnis zu Russland in eine neue Kategorie zu bringen, auf eine neue positive Ebene zu heben, und dazu dient jetzt auch die Reduzierung der viel zu großen Nuklearwaffenarsenale.

    Müller: Wollen auch beide Seiten reduzieren, weil diese Arsenale zu teuer sind?

    Stützle: Ich glaube, der Kostengesichtspunkt ist hier nicht entscheidend. Entscheidend ist für Obama etwas anderes. Das hat er ja mehrfach gesagt und jetzt auch im Zusammenhang mit der Überprüfung der Nukleardoktrin erneut betont. Er möchte der Gefahr begegnen, dass nukleares spaltbares Material, Plutonium und hoch angereichertes Uran, in die Hände von Terroristen gelangt. Er bezeichnet selbst die Gefahr des nuklearen Terrorismus als die größte Gefahr für die Vereinigten Staaten und für die internationale Sicherheit und setzt sein ganzes Augenmerk darauf und sagt – und das ist überzeugend und es ist vernünftig und ist übrigens auch aus der wissenschaftlichen Arbeit sehr begründet -, dass einer der Wege, um dieser Gefahr zu begegnen, ist, die Atomwaffenarsenale der Atomwaffenmächte herunterzufahren, um zu verhindern, dass neue Atomwaffenmächte entstehen.

    Müller: Herr Stützle, ist das ein überzeugendes Argument, ich will, wie Sie es aus Sicht von Barack Obama gesagt haben, die Verbreitungsoptionen gerade in Händen von Terroristen reduzieren, ausschließen? Ist es ein überzeugendes Argument zu sagen, statt 400 Nuklearwaffen haben wir demnächst nur noch 200?

    Stützle: Ja, das ist eine Frage der Vereinbarung. Niemand kann sagen, welche Zahl eigentlich wirklich Sicherheit garantiert, sprich nukleare Abschreckung garantiert. Das sind ja Einschätzungsfragen, das sind ja keine objektiven Größen, und Obama hat daraus die meines Erachtens völlig richtige Schlussfolgerung gezogen. Das einzige, was man vernünftigerweise ansteuern muss, auch wenn es sehr, sehr lange dauern wird, dieses Ziel zu erreichen, ist eine Welt ohne Atomwaffen, aber dazu bedarf es einzelner einschneidender Schritte. Dieses Programm hat er vorgelegt und das Abkommen mit Russland ist ein Schritt dazu. Der andere wesentliche Schritt ist die Erhöhung der Sicherheit im Umgang mit Nuklearmaterial. Dazu wird ja in der nächsten Woche in Washington eine große Konferenz stattfinden, an der auch die Bundeskanzlerin teilnehmen soll. Ein dritter Schritt ist, keine neuen Atomwaffen zu entwickeln, den Teststoppvertrag endlich zu ratifizieren. Also er hat eine klare Agenda vorgelegt, die wird sehr schwer sein umzusetzen, insbesondere weil andere Nuklearwaffenstaaten wie Frankreich, England und China sich ja bisher der Abrüstung verweigern. Aber es ist vernünftig, damit endlich zu beginnen.

    Müller: Jetzt könnten, Herr Stützle, ja viele überrascht sein, die die Atomwaffen-Diskussion, Atomwaffen-Strategie in den vergangenen Jahrzehnten verfolgt haben. Da hat es immer geheißen, wir brauchen Atomwaffen, um die internationale Sicherheit zu gewährleisten, gerade auch aus Sicht des Westens. Brauchen wir heute keine Atomwaffen mehr, um Sicherheit zu gewährleisten?

    Stützle: Wir brauchen keine Atomwaffen, um Sicherheit zu gewährleisten in einer Welt, in der es neun Atomwaffenmächte gibt und in der die Atomwaffen allenfalls noch die Funktion haben, andere von dem Einsatz ihrer Atomwaffen abzuhalten.

    Müller: Aber das ist ja nicht wenig.

    Stützle: Das ist nicht wenig. Wenn aber die anderen bereit sind, auf die Atomwaffen zu verzichten, dann können alle darauf verzichten, und das wäre ja ein sehr, sehr vernünftiger Schritt.

    Müller: Aber dann hätten wir das Problem Iran und Nordkorea gar nicht?

    Stützle: Das Problem Iran und Nordkorea haben wir, es sind erstens zwei sehr unterschiedliche Probleme. Zweitens haben wir dieses, weil es zwei Staaten sind, die sich offenbar und nachweislich nicht an ihre Verpflichtungen halten, auf Atomwaffen zu verzichten und alles, was sie an nuklearer Tätigkeit entwickeln, einer internationalen Kontrolle zu unterwerfen. Nur diesem Problem begegnet man nicht mit der Drohung, Atomwaffen einzusetzen, sondern diesem Problem muss man mit diplomatischen, wirtschaftlichen, politischen Mitteln begegnen. Und die, die Obama deswegen jetzt kritisieren, insbesondere aus der republikanischen Ecke, aber auch bei uns in Deutschland aus einer sehr, sehr konservativen Ecke, die haben völlig vergessen und übersehen, dass die Politik, die Bush gegenüber dem Iran verfolgt hat, ja völlig versagt hat. Obama versucht einen neuen Ansatz, einen politisch-diplomatischen Ansatz, und das ist sehr überzeugend, auch wenn es keine Garantie dafür gibt, dass es glückt.

    Müller: Jetzt könnten wir auf die alt bewährten Thesen zurückgreifen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten, Herr Stützle, immer wieder gehört haben. Auf die heutige Situation, auf die heutige Perspektive übertragen könnte, die lauten: wenn wir keine Atomwaffen mehr haben, sind konventionelle Kriege wieder möglich.

    Stützle: Konventionelle Kriege finden ja bereits statt – zwar weniger zwischen Staaten als vielmehr zwischen Gruppen innerhalb von Staaten, zwischen Gruppen, die sich Staatsautorität anmaßen. Diese Kriege, diese sogenannten asymmetrischen Kriege sind ja nicht dadurch verhindert worden, dass es Atomwaffen gibt – leider nicht. Das dramatische Beispiel sehen wir ja in Afghanistan, aber wir sehen es auch in Afrika, im Kongo, und sehen es an anderen Konfliktherden dieser Welt.

    Müller: Aber dann reden wir über die "big player", also diejenigen, die sich bisher – so war ja die Argumentation – wegen des Atomschirms nicht getraut haben, aufeinander potenziell loszugehen. Was ist mit denen?

    Stützle: Nehmen Sie Indien und Pakistan. Beide haben Atomwaffen. Was haben sie dadurch gewonnen? Sie haben gar nichts dadurch gewonnen. Die regionale Unsicherheit ist so groß, wie sie vorher war, sie ist sogar noch etwas gefährlicher geworden, dadurch dass beide über Atomwaffen verfügen. Verfügten beide nicht über Atomwaffen, gibt es überhaupt keine Garantie dafür, keine garantierte Schlussfolgerung, dass sie sich dann konventionell gegenseitig an die Gurgel gingen, respektive die Tatsache, dass sie Atomwaffen haben, hat sie ja auch nicht daran gehindert, sich konventionelle Scharmützel zu liefern.

    Müller: Scharmützel?

    Stützle: Wie bitte?

    Müller: Scharmützel, sagen Sie, aber eben keinen Krieg?

    Stützle: Ja. Ich habe das vielleicht jetzt ein bisschen sehr lässig formuliert. Natürlich sind es kriegerische Handlungen, die nicht die Dimension eines großen regionalen Brandes haben, aber sie brauchen ja Waffen. Also die Existenz von Atomwaffen hat zum Beispiel in der Region, über die ja täglich geredet wird wegen des Afghanistan-Krieges, nicht mehr Sicherheit gebracht, sondern in Wahrheit weniger Sicherheit.

    Müller: Herr Stützle, ich muss Sie das abschließend noch mal fragen, obwohl wir jetzt nicht mehr viel Zeit haben. Sie plädieren für eine atomwaffenfreie Welt?

    Stützle: Ich plädiere für eine Politik, die die Vision Obamas teilt, eine atomwaffenfreie Welt, und es ist seit mehr als 25 Jahren – das Stockholmer Institut für internationale Friedensforschung hat als erstes vor 25 Jahren eine gründlichste Untersuchung dafür vorgelegt – ein notwendiges und es ist ein mögliches Ziel, das erreicht werden kann, wenn es eine vernünftige Politik dorthin gibt, und die hat Obama entworfen mit dem Zusatz, er werde möglicherweise selber gar nicht erleben, dass dieses Ziel erreicht wird.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der Publizist und Sicherheitsexperte Walther Stützle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Stützle: Danke Ihnen, Herr Müller.