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"Er hat ganz recht, dass man manchmal Krieg führen muss"

"Es gab schon verlogenere" Reden, resümiert Dagmar Herzog von der City University New York - doch die Historikerin nimmt US-Präsident Barack Obama nach dessen überraschend offensiver Nobelpreisrede in Schutz: Er könne es eigentlich niemanden recht machen.

    Christoph Heinemann: Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an US-Präsident Obama haben gestern Abend in Oslo mehrere Tausend Menschen für Frieden demonstriert. Nach Polizeiangaben zogen mehr als 6000 Demonstranten zu Obamas Hotel in der norwegischen Hauptstadt. An einer weiteren Protestkundgebung der norwegischen Friedensinitiative nahmen rund 3000 Menschen teil. Sie forderten ein Ende des Afghanistan-Krieges, ein Verbot von Atomwaffen und ein Stopp des israelischen Siedlungsbaus in den Palästinenser-Gebieten.
    Wir bleiben bei der Auszeichnung für Barack Obama. Über die Verleihung des Friedensnobelpreises an den US-Präsidenten sprach mein Kollege Tobias Armbrüster mit der Historikerin Dagmar Herzog von der City University of New York. Erste Frage: Ist dieser vor dem Hintergrund des Krieges in Afghanistan der verlogenste Nobelpreis, der jemals zuerkannt wurde?

    Dagmar Herzog: Nein, es gab schon verlogenere. Henry Kissinger hat ja auch den Nobelpreis bekommen und der hatte noch viel Schlimmeres am Kragen. Also ich denke, dieser Nobelpreis ist gegeben worden in der Hoffnung, dass Obama in der Zukunft was Gutes machen würde. Natürlich ist die Linke in den USA momentan überhaupt sehr schwer von Obama enttäuscht, nicht nur wegen der Erweiterung des Krieges, sondern im Allgemeinen auch bei anderen innenpolitischen Themen. Es ist momentan eine sehr heikle Situation in den USA. Die Republikaner lachen sich ins Fäustchen. Sie hoffen ja nur, dass er bei allem scheitert. Und die Linke ist sehr schwer von ihm enttäuscht. Obwohl die Republikaner in der Minderheit sind, haben sie es geschafft, ihn in die Enge zu drängen, denn die konservativen Demokraten haben jetzt gemerkt, sie können sich wichtig machen, indem sie nach rechts ziehen, und die Konservativen haben sehr auf diese Erweiterung des Krieges gedrängt. Wenn er das nicht gemacht hätte, hätten sie gezetert, das würde die Sicherheit der USA bedrohen. Andererseits nehmen sie jetzt den Nobelpreis zum Anlass, ihn zu kritisieren, und sagen, das ist ja alles verlogen, er ist jetzt der Kriegspräsident. 41 Prozent der Amerikaner haben bei einer Umfrage gesagt, dass ihre Meinung vom Nobelpreis angekratzt sei, weil er ihn bekommen hat, und zwei Drittel sagen, er hat ihn nicht verdient.

    Tobias Armbrüster: Frau Herzog, wird dann dieser Preis Präsident Obama eher nützen, oder schaden?

    Herzog: Ich denke, es kann ihm in Zukunft den Rücken stärken, wenn er etwas machen möchte beim Thema Klimawandel, was ja auch mit sozialer Gerechtigkeit und damit auch mit Frieden zu tun hat. Es kann ihm helfen bei diplomatischen Verhandlungen mit Gegnern. Es könnte in Zukunft schon was Gutes bringen, aber der Druck auf ihn muss bleiben.

    Armbrüster: Ich frage Sie jetzt mal als Historikerin. Es klingt doch paradox, dass ein Mann, der gerade beschlossen hat, 30.000 weitere Soldaten in einen Krieg zu schicken, dass der einen Preis für Friedensbemühungen erhält?

    Herzog: Richtig, aber ich denke, die Rede ist eigentlich eine gute Rede und keine verlogene Rede und eine sehr nachdenkliche, und er hat ganz recht, dass man manchmal Krieg führen muss. Dieser Krieg ist ein Problem und wie gesagt, die Linksliberalen sind furchtbar enttäuscht. Erst mal wissen sie eigentlich gar nicht, wie man diesen Krieg bezahlen kann. Zweitens sind die Soldaten wegen dem Irak-Krieg schon so kaputt, körperlich, aber eben auch, dass sie mit psychischen Krisen nach Hause kommen. Wir haben eine katastrophale Situation in der Armee selber. Drittens wird der Krieg schlecht geführt und durch Pakistan fließen unsere Pentagon-Gelder an die Gegner. Es ist also problematisch von vorne bis hinten. Andererseits hat er recht, dass man manchmal Krieg führen muss, und das Problem ist, dass er in einer Situation ist, wo er es allen Leuten recht machen will und eben niemand recht machen kann.

    Armbrüster: Verstehe ich Sie da jetzt richtig, dass die Entscheidung, weitere Soldaten in diesen Krieg zu schicken, darauf beruht, zum Teil zumindest, dass Obama die Konservativen in den USA beruhigen will? Also steckt dahinter Parteitaktik?

    Herzog: Ich denke, das hat unglaublich viel mit amerikanischer Innenpolitik zu tun. Er war so geschockt, alle waren geschockt, als eine aggressive lügnerische Attacke auf ihn losging im Sommer wegen der Gesundheitsreform. Das hat man noch nie so gesehen und darauf war er völlig unvorbereitet. Ich denke, beim Amtsantritt hat er sich in der Fantasie gewiegt, er will der große Brückenbauer sein und die Hand über die Parteigrenze strecken, und das ist natürlich nicht passiert, die wird ihm dauernd abgebissen. Ich denke, ein ganz großes Motiv bei der Entscheidung für diesen Krieg, so tragisch und grotesk das ist, hat damit zu tun, dass er die Kategorien durcheinanderwirbeln will und in dieser Sache wenigstens den Konservativen nicht die Öffnung geben will.

    Armbrüster: Obama hat nun in dieser Rede unter anderem an das Dritte Reich, an den Kampf gegen Hitler erinnert. Kann man die Kriege im Irak und in Afghanistan tatsächlich mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen?

    Herzog: Ich finde diese Vergleiche immer unmöglich und furchtbar und unangebracht, aber ich denke, es stimmt schon: der Zweite Weltkrieg hätte nicht beendet werden können ohne Waffen und in dem Sinne ist das ein sehr moralisch erhebendes Beispiel, was natürlich nicht passt, aber trotzdem verständlich ist.

    Armbrüster: Nun kommt Präsident Obama hier in Europa sehr gut an. Sie erklären uns gerade, wie schwer er es in den USA hat. Ist dieser Preis ein weiteres Beispiel dafür, dass Obama hier in Europa wesentlich populärer ist als bei Ihnen in den USA?

    Herzog: Ja. Die erste Reaktion auf diese Ankündigung, dass der Preis überhaupt kommen würde, wurde empfangen mit den fürchterlichen Bemerkungen, das sind ja nur fünf ???, die diese Entscheidung gemacht haben. Man hat sich einfach darüber mokiert und war baff, dass es passiert ist. Er ist sehr unbeliebt momentan, er hat jetzt einen Tiefpunkt, eine Zustimmungsrate bei 50 Prozent. Die konservative Lügnerei hat es erreicht, dass die Leute völlig verwirrt sind, und jeden Tag macht das Weiße Haus jetzt eine andere Botschaft bei allen möglichen Themen und versucht, permanent einen Mittelweg zu finden, aber man kann mit aggressiven Gegnern schwerlich einen Mittelweg finden.

    Armbrüster: Er ist ja unter anderem auch eingegangen auf eine Stärkung der Vereinten Nationen und hat gesagt, dass auch die USA mehr Rücksicht nehmen müssten auf andere Länder, gerade wenn es um Kriege geht. Hat er sich damit nicht eigentlich noch unpopulärer gemacht bei ihnen?

    Herzog: Ja, das ist richtig. Das Interessante ist, dass die Amerikaner für diese Erweiterung des Krieges sind. Das ist populär. Er selbst ist nicht populär, aber die Erweiterung des Krieges ist populär. Das ist das Paradoxe und Tragische. Ich finde es unmöglich, dass es so ist, aber ich muss es ja einfach berichten, dass es so ist. Diese Sache mit den Vereinten Nationen ist eigentlich sehr interessant, denn er sagt ja auch, man müsse viel mehr international zusammenarbeiten. Das ist nicht nur eine Hoffnung, dass sich die Deutschen und die Franzosen mit den Hindus verstehen, sondern es ist auch wirklich so, dass er gerne international arbeiten möchte. Das ist ganz ernsthaft gemeint. Und er sagt ja auch, er will die Kriegsregeln wieder einhalten, die Bush nicht gehalten hat, also keine Folter mehr, Guantanamo schließen und sich besser benehmen, wenn man im Kriegsgebiet ist, und ich denke, das ist schon etwas, was er gerne machen möchte.

    Armbrüster: Das heißt, nehmen Sie ihm das ab? Werden wir das in den nächsten Jahren tatsächlich sehen?

    Herzog: Ich hoffe doch sehr und er ist jetzt wirklich unter Druck, das auch einzuhalten. Da ist er kein Lügner.

    Heinemann: Mein Kollege Tobias Armbrüster im Gespräch mit der Historikerin Dagmar Herzog von der City University of New York.